liege, denn dies ist schon tragisch. Es thut sich im Bösen der Abgrund der Subjectivität in der Form der entsetzlichsten Abstraction auf; die un- geheuren Kräfte die darin walten, verkehrt freilich, bewirken ein Staunen vor den Untiefen, die im Zuschauer selbst schlummern, welches allerdings energisch erhebender Art ist. Die Sehnsucht des untergehenden Bösewichts nach Liebe und der Gedanke, wie schade es um so viel Kraft sey, bewirken (vergl. §. 108, 2 und 131, 2) sogar Mitleiden: dieses aber löst sich nicht in Ehrfurcht vor dem im Leiden sich verklärenden Subjecte, sondern in Ehrfurcht vor dem Schicksal. In dem Uebergang aus dem Mitleiden mit dem edeln Subjecte dagegen zur Lust verschwindet zunächst das vor- angehende Gefühl der Furcht. Dieses Gefühl kann hier nicht wie da, wo die blose Kraft der Gegenstand ist, für sich zur Lust werden durch Zusammenströmen eigenen Kraftgefühls mit der Kraft im Gegenstande, denn diese Seite wird ganz verlassen, die Theilnahme kehrt ein in das Innere des leidenden Subjects und nun tritt das Positive und Lust- erregende in der Ehrfurcht hervor: der Zuschauer hebt sich an der Stärke des Leidenden, an der Ruhe des Würdigen hinauf und fühlt in sich die- selbe Tiefe sittlicher Ueberwindung.
§. 143.
Das Tragische erregt durch seinen Vordergrund zunächst dieselben Ge- fühle, wie das Erhabene des Subjects; allein diese sind von Anfang an durch den drohenden Hintergrund, auf welchem die Subjecte stehen, unter ein Ge- fühl dunkler Furcht befaßt und diese Furcht unterscheidet sich von der obigen (§. 142), wie sie auch zunächst durch einzelne drohende Umstände und Subjecte erregt seyn mag, dadurch, daß sie allgemeiner Art ist, denn auch dem drohen- den Subjecte und jedem Einzelnen droht das erwartete Uebel und das an- schauende Subject, das überhaupt nur fürchten kann als ein im angeschauten mitgesetztes, befaßt auch sich unter die absolute Drohung. Allein der Eindruck des noch in der Fülle seiner Erhabenheit glänzenden Subjects, worin der un- endliche Abstand zwischen der sittlichen Macht, von der es durchdrungen ist, und der einzelnen Subjectivität noch verborgen ist, stellt den drohenden Hinter- grund in Dunkel und läßt ihn als einen Abgrund von Kraft erscheinen, dessen sittliche Bedeutung erst geahnt wird. Die Unlust, die in der Furcht liegt, schließt indessen bereits ein Gefühl der Lust in sich, indem sich der Zuschauer zu- gleich auf die Seite der Kraft schlägt, auf deren Entladung er gespannt ist.
liege, denn dies iſt ſchon tragiſch. Es thut ſich im Böſen der Abgrund der Subjectivität in der Form der entſetzlichſten Abſtraction auf; die un- geheuren Kräfte die darin walten, verkehrt freilich, bewirken ein Staunen vor den Untiefen, die im Zuſchauer ſelbſt ſchlummern, welches allerdings energiſch erhebender Art iſt. Die Sehnſucht des untergehenden Böſewichts nach Liebe und der Gedanke, wie ſchade es um ſo viel Kraft ſey, bewirken (vergl. §. 108, 2 und 131, 2) ſogar Mitleiden: dieſes aber löst ſich nicht in Ehrfurcht vor dem im Leiden ſich verklärenden Subjecte, ſondern in Ehrfurcht vor dem Schickſal. In dem Uebergang aus dem Mitleiden mit dem edeln Subjecte dagegen zur Luſt verſchwindet zunächſt das vor- angehende Gefühl der Furcht. Dieſes Gefühl kann hier nicht wie da, wo die bloſe Kraft der Gegenſtand iſt, für ſich zur Luſt werden durch Zuſammenſtrömen eigenen Kraftgefühls mit der Kraft im Gegenſtande, denn dieſe Seite wird ganz verlaſſen, die Theilnahme kehrt ein in das Innere des leidenden Subjects und nun tritt das Poſitive und Luſt- erregende in der Ehrfurcht hervor: der Zuſchauer hebt ſich an der Stärke des Leidenden, an der Ruhe des Würdigen hinauf und fühlt in ſich die- ſelbe Tiefe ſittlicher Ueberwindung.
§. 143.
Das Tragiſche erregt durch ſeinen Vordergrund zunächſt dieſelben Ge- fühle, wie das Erhabene des Subjects; allein dieſe ſind von Anfang an durch den drohenden Hintergrund, auf welchem die Subjecte ſtehen, unter ein Ge- fühl dunkler Furcht befaßt und dieſe Furcht unterſcheidet ſich von der obigen (§. 142), wie ſie auch zunächſt durch einzelne drohende Umſtände und Subjecte erregt ſeyn mag, dadurch, daß ſie allgemeiner Art iſt, denn auch dem drohen- den Subjecte und jedem Einzelnen droht das erwartete Uebel und das an- ſchauende Subject, das überhaupt nur fürchten kann als ein im angeſchauten mitgeſetztes, befaßt auch ſich unter die abſolute Drohung. Allein der Eindruck des noch in der Fülle ſeiner Erhabenheit glänzenden Subjects, worin der un- endliche Abſtand zwiſchen der ſittlichen Macht, von der es durchdrungen iſt, und der einzelnen Subjectivität noch verborgen iſt, ſtellt den drohenden Hinter- grund in Dunkel und läßt ihn als einen Abgrund von Kraft erſcheinen, deſſen ſittliche Bedeutung erſt geahnt wird. Die Unluſt, die in der Furcht liegt, ſchließt indeſſen bereits ein Gefühl der Luſt in ſich, indem ſich der Zuſchauer zu- gleich auf die Seite der Kraft ſchlägt, auf deren Entladung er geſpannt iſt.
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geheuren Kräfte die darin walten, verkehrt freilich, bewirken ein Staunen
vor den Untiefen, die im Zuſchauer ſelbſt ſchlummern, welches allerdings
energiſch erhebender Art iſt. Die Sehnſucht des untergehenden Böſewichts
nach Liebe und der Gedanke, wie ſchade es um ſo viel Kraft ſey, bewirken
(vergl. §. 108, 2 und 131, 2) ſogar Mitleiden: dieſes aber löst ſich nicht
in Ehrfurcht vor dem im Leiden ſich verklärenden Subjecte, ſondern in
Ehrfurcht vor dem Schickſal. In dem Uebergang aus dem Mitleiden
mit dem edeln Subjecte dagegen zur Luſt verſchwindet zunächſt das vor-
angehende Gefühl der Furcht. Dieſes Gefühl kann hier nicht wie da,
wo die bloſe Kraft der Gegenſtand iſt, für ſich zur Luſt werden durch
Zuſammenſtrömen eigenen Kraftgefühls mit der Kraft im Gegenſtande,
denn dieſe Seite wird ganz verlaſſen, die Theilnahme kehrt ein in das
Innere des leidenden Subjects und nun tritt das Poſitive und Luſt-
erregende in der Ehrfurcht hervor: der Zuſchauer hebt ſich an der Stärke
des Leidenden, an der Ruhe des Würdigen hinauf und fühlt in ſich die-
ſelbe Tiefe ſittlicher Ueberwindung.
§. 143.
Das Tragiſche erregt durch ſeinen Vordergrund zunächſt dieſelben Ge-
fühle, wie das Erhabene des Subjects; allein dieſe ſind von Anfang an durch
den drohenden Hintergrund, auf welchem die Subjecte ſtehen, unter ein Ge-
fühl dunkler Furcht befaßt und dieſe Furcht unterſcheidet ſich von der obigen
(§. 142), wie ſie auch zunächſt durch einzelne drohende Umſtände und Subjecte
erregt ſeyn mag, dadurch, daß ſie allgemeiner Art iſt, denn auch dem drohen-
den Subjecte und jedem Einzelnen droht das erwartete Uebel und das an-
ſchauende Subject, das überhaupt nur fürchten kann als ein im angeſchauten
mitgeſetztes, befaßt auch ſich unter die abſolute Drohung. Allein der Eindruck
des noch in der Fülle ſeiner Erhabenheit glänzenden Subjects, worin der un-
endliche Abſtand zwiſchen der ſittlichen Macht, von der es durchdrungen iſt,
und der einzelnen Subjectivität noch verborgen iſt, ſtellt den drohenden Hinter-
grund in Dunkel und läßt ihn als einen Abgrund von Kraft erſcheinen, deſſen
ſittliche Bedeutung erſt geahnt wird. Die Unluſt, die in der Furcht liegt,
ſchließt indeſſen bereits ein Gefühl der Luſt in ſich, indem ſich der Zuſchauer zu-
gleich auf die Seite der Kraft ſchlägt, auf deren Entladung er geſpannt iſt.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/342>, abgerufen am 22.12.2024.
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