erste die im Ganzen enthaltenen Momente in dunkler Verhüllung so zusammen- gefaßt enthält, daß das Sittliche als blos nahe gelegte Möglichkeit einer Schuld und ihrer Strafe im Grunde bleibt und daher das absolute Subject erst in der unmittelbaren Form einer blinden Macht erscheint, welche an dem ein- zelnen Subjecte, das mehr durch Güter als durch Tugenden hervorglänzt, ein Beispiel aufstellt, daß das Einzelne zu Grunde gehen muß, weil es Einzelnes ist. Da Ueberhebung dem so bevorzugten Subject zwar nahe liegt, aber noch nicht eingetreten ist, so bleibt die Schuld Urschuld (§. 122). Das Uebel kommt eben- daher nicht von einem verletzten sittlichen Willen, sondern vom Zufall, der in dieser Form am wenigsten ausgeschieden ist, dennoch aber seinen Sinn in der versöhnenden Idee der nothwendigen Allgemeinheit des Todes findet. Die ganze Bewegung geschieht auf dem Boden der strengen, objectiven Nothwendigkeit (§. 119), worin die Welt der sittlichen Nothwendigkeit noch unentfaltet schlummert.
Hegel hat die Formen des Tragischen zu wenig unterschieden, sondern im Grunde nur die vollendetste im Auge gehabt, die wir als die dritte nennen werden. Auch hier beginnt der Stufen-Unterschied wieder mit dem Unmittelbaren: ein Gang, der hier keiner besonderen Begründung bedarf. Diese erste Form ist als das Tragische das Universums be- zeichnet. Universum heißt hier der tragische Complex, weil die Natur- basis (§. 119) in den Vordergrund tritt, die Welt der sittlichen Noth- wendigkeit aber, die sich über ihr erhebt, nur unentfaltet im Keime sich andeutet, so daß mehr ein Natur-Verhältniß als ein ethisches vorliegt. Der in §. 119 angegebene, in §. 121 und 123 aber sofort gelöste Widerspruch zwischen den zwei Hauptformen der Nothwendigkeit tritt aber hier darum eigentlich gar nicht ein, weil noch kein Sittliches als solches da ist, das sich gegen den dunkeln Lebensgrund in Gegensatz stellen könnte. Man erinnere sich nun hier an das allgemeine Gefühl, das durch frühen Untergang der Schönheit, der Macht, des Reichthums erregt wird, und das Schiller in seiner Nänie niedergelegt hat: auch das Schöne muß sterben u. s. w. Zunächst sey bemerkt, daß, wenn hier das untergehende Subject das Schöne heißt, dadurch keineswegs die in §. 127 abgewiesene Ansicht Weißes gerechtfertigt wird. Die Schönheit muß nämlich hier in einer Umgebung hervortreten, die sie überragt, die aber selbst in diesem oder jenem Sinne schön ist; dadurch tritt ein Vergleichungs-Verhältniß ein, wodurch das, was sonst blos schön ge- heißen hätte, unter den Standpunkt des Erhabenen fällt. Wirklich aber
erſte die im Ganzen enthaltenen Momente in dunkler Verhüllung ſo zuſammen- gefaßt enthält, daß das Sittliche als blos nahe gelegte Möglichkeit einer Schuld und ihrer Strafe im Grunde bleibt und daher das abſolute Subject erſt in der unmittelbaren Form einer blinden Macht erſcheint, welche an dem ein- zelnen Subjecte, das mehr durch Güter als durch Tugenden hervorglänzt, ein Beiſpiel aufſtellt, daß das Einzelne zu Grunde gehen muß, weil es Einzelnes iſt. Da Ueberhebung dem ſo bevorzugten Subject zwar nahe liegt, aber noch nicht eingetreten iſt, ſo bleibt die Schuld Urſchuld (§. 122). Das Uebel kommt eben- daher nicht von einem verletzten ſittlichen Willen, ſondern vom Zufall, der in dieſer Form am wenigſten ausgeſchieden iſt, dennoch aber ſeinen Sinn in der verſöhnenden Idee der nothwendigen Allgemeinheit des Todes findet. Die ganze Bewegung geſchieht auf dem Boden der ſtrengen, objectiven Nothwendigkeit (§. 119), worin die Welt der ſittlichen Nothwendigkeit noch unentfaltet ſchlummert.
Hegel hat die Formen des Tragiſchen zu wenig unterſchieden, ſondern im Grunde nur die vollendetſte im Auge gehabt, die wir als die dritte nennen werden. Auch hier beginnt der Stufen-Unterſchied wieder mit dem Unmittelbaren: ein Gang, der hier keiner beſonderen Begründung bedarf. Dieſe erſte Form iſt als das Tragiſche das Univerſums be- zeichnet. Univerſum heißt hier der tragiſche Complex, weil die Natur- baſis (§. 119) in den Vordergrund tritt, die Welt der ſittlichen Noth- wendigkeit aber, die ſich über ihr erhebt, nur unentfaltet im Keime ſich andeutet, ſo daß mehr ein Natur-Verhältniß als ein ethiſches vorliegt. Der in §. 119 angegebene, in §. 121 und 123 aber ſofort gelöste Widerſpruch zwiſchen den zwei Hauptformen der Nothwendigkeit tritt aber hier darum eigentlich gar nicht ein, weil noch kein Sittliches als ſolches da iſt, das ſich gegen den dunkeln Lebensgrund in Gegenſatz ſtellen könnte. Man erinnere ſich nun hier an das allgemeine Gefühl, das durch frühen Untergang der Schönheit, der Macht, des Reichthums erregt wird, und das Schiller in ſeiner Nänie niedergelegt hat: auch das Schöne muß ſterben u. ſ. w. Zunächſt ſey bemerkt, daß, wenn hier das untergehende Subject das Schöne heißt, dadurch keineswegs die in §. 127 abgewieſene Anſicht Weißes gerechtfertigt wird. Die Schönheit muß nämlich hier in einer Umgebung hervortreten, die ſie überragt, die aber ſelbſt in dieſem oder jenem Sinne ſchön iſt; dadurch tritt ein Vergleichungs-Verhältniß ein, wodurch das, was ſonſt blos ſchön ge- heißen hätte, unter den Standpunkt des Erhabenen fällt. Wirklich aber
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erſte die im Ganzen enthaltenen Momente in dunkler Verhüllung ſo zuſammen-
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in der unmittelbaren Form einer blinden Macht erſcheint, welche an dem ein-
zelnen Subjecte, das mehr durch Güter als durch Tugenden hervorglänzt, ein
Beiſpiel aufſtellt, daß das Einzelne zu Grunde gehen muß, weil es Einzelnes iſt.
Da Ueberhebung dem ſo bevorzugten Subject zwar nahe liegt, aber noch nicht
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daher nicht von einem verletzten ſittlichen Willen, ſondern vom Zufall, der
in dieſer Form am wenigſten ausgeſchieden iſt, dennoch aber ſeinen Sinn in
der verſöhnenden Idee der nothwendigen Allgemeinheit des Todes findet. Die
ganze Bewegung geſchieht auf dem Boden der ſtrengen, objectiven Nothwendigkeit
(§. 119), worin die Welt der ſittlichen Nothwendigkeit noch unentfaltet ſchlummert.
Hegel hat die Formen des Tragiſchen zu wenig unterſchieden, ſondern
im Grunde nur die vollendetſte im Auge gehabt, die wir als die dritte
nennen werden. Auch hier beginnt der Stufen-Unterſchied wieder mit
dem Unmittelbaren: ein Gang, der hier keiner beſonderen Begründung
bedarf. Dieſe erſte Form iſt als das Tragiſche das Univerſums be-
zeichnet. Univerſum heißt hier der tragiſche Complex, weil die Natur-
baſis (§. 119) in den Vordergrund tritt, die Welt der ſittlichen Noth-
wendigkeit aber, die ſich über ihr erhebt, nur unentfaltet im Keime
ſich andeutet, ſo daß mehr ein Natur-Verhältniß als ein ethiſches
vorliegt. Der in §. 119 angegebene, in §. 121 und 123 aber ſofort
gelöste Widerſpruch zwiſchen den zwei Hauptformen der Nothwendigkeit
tritt aber hier darum eigentlich gar nicht ein, weil noch kein Sittliches
als ſolches da iſt, das ſich gegen den dunkeln Lebensgrund in Gegenſatz
ſtellen könnte. Man erinnere ſich nun hier an das allgemeine Gefühl,
das durch frühen Untergang der Schönheit, der Macht, des Reichthums
erregt wird, und das Schiller in ſeiner Nänie niedergelegt hat: auch
das Schöne muß ſterben u. ſ. w. Zunächſt ſey bemerkt, daß, wenn hier
das untergehende Subject das Schöne heißt, dadurch keineswegs die in
§. 127 abgewieſene Anſicht Weißes gerechtfertigt wird. Die Schönheit
muß nämlich hier in einer Umgebung hervortreten, die ſie überragt, die
aber ſelbſt in dieſem oder jenem Sinne ſchön iſt; dadurch tritt ein
Vergleichungs-Verhältniß ein, wodurch das, was ſonſt blos ſchön ge-
heißen hätte, unter den Standpunkt des Erhabenen fällt. Wirklich aber
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/315>, abgerufen am 22.11.2024.
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