auswies, in sie als ihre Einheit ein; diese höchste Form erweist sich nun als diejenige, welche jene als die ihrigen sich vorausschickte. Sie selbst aber kann sich in keine höhere verlieren und das Hinausgehen über sich selbst, worin das Wesen der erhabenen Erscheinung liegt, besteht hier darin, daß dieses absolut Erhabene zuerst den ganzen Boden der auftretenden Erscheinungen als verbor- gene Macht einnimmt, hierauf den Schein erzeugt, als wären diese das Subject der Erhabenheit, aber dann als hervortretende Macht sie in sich auflöst. Es wird aus dem Verschwinden in ein Anderes Ernst, aber dies Andere offenbart sich vielmehr als das Eine, das Allem, was in den früheren Formen in An- deres zu verschwinden nur schien, wirklich zu Grunde liegt, sich in ihnen setzt und dieses Setzen als Beschränkung ebensosehr wieder aufhebt. Es ist ein analytischer Gang, durch dessen End-Ergebniß das Letzte als das Erste gesetzt wird.
Wenn die nun in ihrem allgemeinen Wesen dargestellte Form des Erhabenen jetzt ausdrücklich das Schicksal oder das Tragische genannt wird, so wende man nicht ein, dies sey eine Form, welche erst in die Lehre von der Kunst oder gar nur von der dramatischen Poesie gehöre. Sie tritt in der letzteren nur in der durchsichtigsten und schärfsten Gestalt hervor, aber ebenso in der lyrischen Poesie als Empfindung über einen solchen Vorgang und das allgemeine, darin sich spiegelnde, Menschenloos, in der epischen als erzählte Begebenheit. Die anderen Künste aber sind sämmtlich, nur freilich jede in ihrer Weise, dieser Form des Schönen mächtig. Die Musik bringt sie zum Ausdruck wie die lyrische Poesie, voller und objectiver in der Oper; die Malerei stellt sie in Historie und Genre dar, die Plastik kennt ihre Niobe und auch die Grund- Empfindung religiöser Baukunst kann man tragisch nennen. Das Tragische tritt aber auch überall, wo Schönheit außer der Kunst angeschaut wird, als allgemeine Macht hervor. Es ist also ein Moment, das sich wesentlich durch das ganze Schöne hindurchzieht und daher durchaus nothwendig in der Metaphysik des Schönen zu entwickeln ist. Weiße ist anders verfahren, er hat das Tragische erst in die Lehre vom Drama aufge- nommen. Es läßt sich aber in dem Begriffe des Tragischen, den er hier (Aesth. Th. 2, §. 68) aufstellt, kein Grund für diese Stellung finden, vielmehr gerade diesem gemäß hätte er es in die allgemeine Be- grifflehre des Schönen aufnehmen müssen. Er greift nämlich auf, was Solger unbestimmt neben anderen Wendungen vorbringt: im Tragischen gehe das Schöne zu Grunde, und bildet sich nun die Theorie, das
auswies, in ſie als ihre Einheit ein; dieſe höchſte Form erweist ſich nun als diejenige, welche jene als die ihrigen ſich vorausſchickte. Sie ſelbſt aber kann ſich in keine höhere verlieren und das Hinausgehen über ſich ſelbſt, worin das Weſen der erhabenen Erſcheinung liegt, beſteht hier darin, daß dieſes abſolut Erhabene zuerſt den ganzen Boden der auftretenden Erſcheinungen als verbor- gene Macht einnimmt, hierauf den Schein erzeugt, als wären dieſe das Subject der Erhabenheit, aber dann als hervortretende Macht ſie in ſich auflöst. Es wird aus dem Verſchwinden in ein Anderes Ernſt, aber dies Andere offenbart ſich vielmehr als das Eine, das Allem, was in den früheren Formen in An- deres zu verſchwinden nur ſchien, wirklich zu Grunde liegt, ſich in ihnen ſetzt und dieſes Setzen als Beſchränkung ebenſoſehr wieder aufhebt. Es iſt ein analytiſcher Gang, durch deſſen End-Ergebniß das Letzte als das Erſte geſetzt wird.
Wenn die nun in ihrem allgemeinen Weſen dargeſtellte Form des Erhabenen jetzt ausdrücklich das Schickſal oder das Tragiſche genannt wird, ſo wende man nicht ein, dies ſey eine Form, welche erſt in die Lehre von der Kunſt oder gar nur von der dramatiſchen Poeſie gehöre. Sie tritt in der letzteren nur in der durchſichtigſten und ſchärfſten Geſtalt hervor, aber ebenſo in der lyriſchen Poeſie als Empfindung über einen ſolchen Vorgang und das allgemeine, darin ſich ſpiegelnde, Menſchenloos, in der epiſchen als erzählte Begebenheit. Die anderen Künſte aber ſind ſämmtlich, nur freilich jede in ihrer Weiſe, dieſer Form des Schönen mächtig. Die Muſik bringt ſie zum Ausdruck wie die lyriſche Poeſie, voller und objectiver in der Oper; die Malerei ſtellt ſie in Hiſtorie und Genre dar, die Plaſtik kennt ihre Niobe und auch die Grund- Empfindung religiöſer Baukunſt kann man tragiſch nennen. Das Tragiſche tritt aber auch überall, wo Schönheit außer der Kunſt angeſchaut wird, als allgemeine Macht hervor. Es iſt alſo ein Moment, das ſich weſentlich durch das ganze Schöne hindurchzieht und daher durchaus nothwendig in der Metaphyſik des Schönen zu entwickeln iſt. Weiße iſt anders verfahren, er hat das Tragiſche erſt in die Lehre vom Drama aufge- nommen. Es läßt ſich aber in dem Begriffe des Tragiſchen, den er hier (Aeſth. Th. 2, §. 68) aufſtellt, kein Grund für dieſe Stellung finden, vielmehr gerade dieſem gemäß hätte er es in die allgemeine Be- grifflehre des Schönen aufnehmen müſſen. Er greift nämlich auf, was Solger unbeſtimmt neben anderen Wendungen vorbringt: im Tragiſchen gehe das Schöne zu Grunde, und bildet ſich nun die Theorie, das
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Weſen der erhabenen Erſcheinung liegt, beſteht hier darin, daß dieſes abſolut
Erhabene zuerſt den ganzen Boden der auftretenden Erſcheinungen als verbor-
gene Macht einnimmt, hierauf den Schein erzeugt, als wären dieſe das Subject
der Erhabenheit, aber dann als hervortretende Macht ſie in ſich auflöst. Es
wird aus dem Verſchwinden in ein Anderes Ernſt, aber dies Andere offenbart
ſich vielmehr als das Eine, das Allem, was in den früheren Formen in An-
deres zu verſchwinden nur ſchien, wirklich zu Grunde liegt, ſich in ihnen ſetzt
und dieſes Setzen als Beſchränkung ebenſoſehr wieder aufhebt. Es iſt ein
analytiſcher Gang, durch deſſen End-Ergebniß das Letzte als das Erſte geſetzt
wird.
Wenn die nun in ihrem allgemeinen Weſen dargeſtellte Form des
Erhabenen jetzt ausdrücklich das Schickſal oder das Tragiſche genannt
wird, ſo wende man nicht ein, dies ſey eine Form, welche erſt in die
Lehre von der Kunſt oder gar nur von der dramatiſchen Poeſie gehöre.
Sie tritt in der letzteren nur in der durchſichtigſten und ſchärfſten Geſtalt
hervor, aber ebenſo in der lyriſchen Poeſie als Empfindung über einen
ſolchen Vorgang und das allgemeine, darin ſich ſpiegelnde, Menſchenloos,
in der epiſchen als erzählte Begebenheit. Die anderen Künſte aber ſind
ſämmtlich, nur freilich jede in ihrer Weiſe, dieſer Form des Schönen
mächtig. Die Muſik bringt ſie zum Ausdruck wie die lyriſche Poeſie,
voller und objectiver in der Oper; die Malerei ſtellt ſie in Hiſtorie
und Genre dar, die Plaſtik kennt ihre Niobe und auch die Grund-
Empfindung religiöſer Baukunſt kann man tragiſch nennen. Das Tragiſche
tritt aber auch überall, wo Schönheit außer der Kunſt angeſchaut wird,
als allgemeine Macht hervor. Es iſt alſo ein Moment, das ſich weſentlich
durch das ganze Schöne hindurchzieht und daher durchaus nothwendig
in der Metaphyſik des Schönen zu entwickeln iſt. Weiße iſt anders
verfahren, er hat das Tragiſche erſt in die Lehre vom Drama aufge-
nommen. Es läßt ſich aber in dem Begriffe des Tragiſchen, den er
hier (Aeſth. Th. 2, §. 68) aufſtellt, kein Grund für dieſe Stellung
finden, vielmehr gerade dieſem gemäß hätte er es in die allgemeine Be-
grifflehre des Schönen aufnehmen müſſen. Er greift nämlich auf, was
Solger unbeſtimmt neben anderen Wendungen vorbringt: im Tragiſchen
gehe das Schöne zu Grunde, und bildet ſich nun die Theorie, das
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/309>, abgerufen am 22.11.2024.
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