stehende, noch in sich zusammengehaltene Kraftentwicklung zu erkennen, und beidemal wirkt dieser Rückhalt doppelt stark durch die Unendlichkeit des Hinter- grunds.
1. Die Idee ist das absolut Thätige; wo daher das Gewicht auf ihrer Seite ist, muß die ganze Erscheinung wesentlich als ein Act der von der positiven Macht ausgehenden Bewegung sich darstellen. Solger hat vorzüglich dies Moment hervorgehoben (Aesth. S. 86 ff.). "Das Er- habene ist das Schöne, insofern wir darin die lebendige Thätigkeit der Idee finden" -- "Weil die Erscheinung des Erhabenen als von der Idee ausgehend erkannt wird, so erscheint es uns immer als Thätigkeit in der Form eines Actes, einer Wirksamkeit." Muß diese Bewegung die Form eines plötzlichen Hervorbrechens haben? Ist Ueberraschung im Erhabenen wesentlich? Longin peri ipsous Sect. I, 4 behauptet es zunächst vom rhetorisch Erhabenen, man kann aber überhaupt sagen: wenn die Idee nur allmählich fortwächst und ebenso allmählich die Er- scheinung mit sich emporhebt, so wird niemals das negative Verhältniß jener zu dieser ganz einleuchtend. Einmal muß es reißen und einleuchten, daß alles Endliche unzulänglich ist. Die Frage ist interessant, weil sie parallel wiederkehrt im Begriffe des Komischen, sie kann aber ganz beantwortet werden, erst wenn von dem subjectiven Eindrucke die Rede seyn wird. Objectiv nämlich ist der plötzliche Stoß nicht nothwendig; ja es wird z. B. Niemand eine Rede erhaben nennen, welche nur durch das Mittel der Ueberraschung und nicht ebenso durch ruhige Würde wirkt. Allein der Zuhörer fühlt es der Würde an, daß sie als eine Negation des Gemeinen mit diesem nicht nur gebrochen hat, sondern, wenn dieser Bruch in der Gesinnung des Redners auch die Frucht allmählicher Bildung war, doch mit dem Gemeinen, das ihm von außen kommt, jeden Au- genblick bereit ist, plötzlich und gewaltsam zu brechen. So ahnt der Zuschauer überhaupt auch im allmählichen Aufschwung und in der völligen Ruhe wenn nicht einen vorhergegangenen, einen stets möglichen Bruch und es liegt daher in dem Eindruck alles Erhabenen, wenn nicht ein wirklicher, doch ein imaginirter oder anticipirter Schrecken. Man sieht aber, daß diese Frage schon zu N.2 und 3 im §. führt.
2. Daß beide Formen negativ sind durch Position (der Idee), leuchtet ein. Es sind aber auch beide positiv nur durch Negation (des Bildes). Ein Gebirge z. B., neben welchem alles Umliegende sich als unendlich klein darstellt, scheint für sich positiv erhaben. Allein in Wahrheit
Vischer's Aesthetik. 1. Bd. 15
ſtehende, noch in ſich zuſammengehaltene Kraftentwicklung zu erkennen, und beidemal wirkt dieſer Rückhalt doppelt ſtark durch die Unendlichkeit des Hinter- grunds.
1. Die Idee iſt das abſolut Thätige; wo daher das Gewicht auf ihrer Seite iſt, muß die ganze Erſcheinung weſentlich als ein Act der von der poſitiven Macht ausgehenden Bewegung ſich darſtellen. Solger hat vorzüglich dies Moment hervorgehoben (Aeſth. S. 86 ff.). „Das Er- habene iſt das Schöne, inſofern wir darin die lebendige Thätigkeit der Idee finden“ — „Weil die Erſcheinung des Erhabenen als von der Idee ausgehend erkannt wird, ſo erſcheint es uns immer als Thätigkeit in der Form eines Actes, einer Wirkſamkeit.“ Muß dieſe Bewegung die Form eines plötzlichen Hervorbrechens haben? Iſt Ueberraſchung im Erhabenen weſentlich? Longin περὶ ἵψȣς Sect. I, 4 behauptet es zunächſt vom rhetoriſch Erhabenen, man kann aber überhaupt ſagen: wenn die Idee nur allmählich fortwächst und ebenſo allmählich die Er- ſcheinung mit ſich emporhebt, ſo wird niemals das negative Verhältniß jener zu dieſer ganz einleuchtend. Einmal muß es reißen und einleuchten, daß alles Endliche unzulänglich iſt. Die Frage iſt intereſſant, weil ſie parallel wiederkehrt im Begriffe des Komiſchen, ſie kann aber ganz beantwortet werden, erſt wenn von dem ſubjectiven Eindrucke die Rede ſeyn wird. Objectiv nämlich iſt der plötzliche Stoß nicht nothwendig; ja es wird z. B. Niemand eine Rede erhaben nennen, welche nur durch das Mittel der Ueberraſchung und nicht ebenſo durch ruhige Würde wirkt. Allein der Zuhörer fühlt es der Würde an, daß ſie als eine Negation des Gemeinen mit dieſem nicht nur gebrochen hat, ſondern, wenn dieſer Bruch in der Geſinnung des Redners auch die Frucht allmählicher Bildung war, doch mit dem Gemeinen, das ihm von außen kommt, jeden Au- genblick bereit iſt, plötzlich und gewaltſam zu brechen. So ahnt der Zuſchauer überhaupt auch im allmählichen Aufſchwung und in der völligen Ruhe wenn nicht einen vorhergegangenen, einen ſtets möglichen Bruch und es liegt daher in dem Eindruck alles Erhabenen, wenn nicht ein wirklicher, doch ein imaginirter oder anticipirter Schrecken. Man ſieht aber, daß dieſe Frage ſchon zu N.2 und 3 im §. führt.
2. Daß beide Formen negativ ſind durch Poſition (der Idee), leuchtet ein. Es ſind aber auch beide poſitiv nur durch Negation (des Bildes). Ein Gebirge z. B., neben welchem alles Umliegende ſich als unendlich klein darſtellt, ſcheint für ſich poſitiv erhaben. Allein in Wahrheit
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 15
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><hirendition="#fr"><pbfacs="#f0239"n="225"/>ſtehende, noch in ſich zuſammengehaltene Kraftentwicklung zu erkennen, und<lb/>
beidemal wirkt dieſer Rückhalt doppelt ſtark durch die Unendlichkeit des Hinter-<lb/>
grunds.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">1. Die Idee iſt das abſolut Thätige; wo daher das Gewicht auf<lb/>
ihrer Seite iſt, muß die ganze Erſcheinung weſentlich als ein Act der von<lb/>
der poſitiven Macht ausgehenden Bewegung ſich darſtellen. <hirendition="#g">Solger</hi> hat<lb/>
vorzüglich dies Moment hervorgehoben (Aeſth. S. 86 ff.). „Das Er-<lb/>
habene iſt das Schöne, inſofern wir darin die lebendige Thätigkeit der<lb/>
Idee finden“—„Weil die Erſcheinung des Erhabenen als von der<lb/>
Idee ausgehend erkannt wird, ſo erſcheint es uns immer als Thätigkeit<lb/>
in der Form eines Actes, einer Wirkſamkeit.“ Muß dieſe Bewegung<lb/>
die Form eines <hirendition="#g">plötzlichen</hi> Hervorbrechens haben? Iſt <hirendition="#g">Ueberraſchung</hi><lb/>
im Erhabenen weſentlich? <hirendition="#g">Longin</hi>περὶἵψȣς<hirendition="#aq">Sect. I,</hi> 4 behauptet es<lb/>
zunächſt vom rhetoriſch Erhabenen, man kann aber überhaupt ſagen:<lb/>
wenn die Idee nur allmählich fortwächst und ebenſo allmählich die Er-<lb/>ſcheinung mit ſich emporhebt, ſo wird niemals das negative Verhältniß<lb/>
jener zu dieſer ganz einleuchtend. Einmal muß es reißen und einleuchten,<lb/>
daß alles Endliche unzulänglich iſt. Die Frage iſt intereſſant, weil ſie<lb/>
parallel wiederkehrt im Begriffe des Komiſchen, ſie kann aber ganz<lb/>
beantwortet werden, erſt wenn von dem ſubjectiven Eindrucke die Rede<lb/>ſeyn wird. Objectiv nämlich iſt der plötzliche Stoß nicht nothwendig;<lb/>
ja es wird z. B. Niemand eine Rede erhaben nennen, welche nur durch<lb/>
das Mittel der Ueberraſchung und nicht ebenſo durch ruhige Würde wirkt.<lb/>
Allein der Zuhörer fühlt es der Würde an, daß ſie als eine Negation des<lb/>
Gemeinen mit dieſem nicht nur gebrochen hat, ſondern, wenn dieſer<lb/>
Bruch in der Geſinnung des Redners auch die Frucht allmählicher Bildung<lb/>
war, doch mit dem Gemeinen, das ihm von außen kommt, jeden Au-<lb/>
genblick bereit iſt, <hirendition="#g">plötzlich</hi> und <hirendition="#g">gewaltſam</hi> zu brechen. So ahnt der<lb/>
Zuſchauer überhaupt auch im allmählichen Aufſchwung und in der völligen<lb/>
Ruhe wenn nicht einen vorhergegangenen, einen ſtets möglichen<lb/>
Bruch und es liegt daher in dem Eindruck alles Erhabenen, wenn nicht<lb/>
ein wirklicher, doch ein imaginirter oder anticipirter Schrecken. Man<lb/>ſieht aber, daß dieſe Frage ſchon zu <hirendition="#aq">N.</hi><hirendition="#sub">2</hi> und <hirendition="#sub">3</hi> im §. führt.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">2. Daß beide Formen negativ ſind durch Poſition (der Idee),<lb/>
leuchtet ein. Es ſind aber auch beide poſitiv nur durch Negation (des<lb/>
Bildes). Ein Gebirge z. B., neben welchem alles Umliegende ſich als<lb/>
unendlich klein darſtellt, ſcheint für ſich poſitiv erhaben. Allein in Wahrheit</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Viſcher’s</hi> Aeſthetik. 1. Bd. 15</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[225/0239]
ſtehende, noch in ſich zuſammengehaltene Kraftentwicklung zu erkennen, und
beidemal wirkt dieſer Rückhalt doppelt ſtark durch die Unendlichkeit des Hinter-
grunds.
1. Die Idee iſt das abſolut Thätige; wo daher das Gewicht auf
ihrer Seite iſt, muß die ganze Erſcheinung weſentlich als ein Act der von
der poſitiven Macht ausgehenden Bewegung ſich darſtellen. Solger hat
vorzüglich dies Moment hervorgehoben (Aeſth. S. 86 ff.). „Das Er-
habene iſt das Schöne, inſofern wir darin die lebendige Thätigkeit der
Idee finden“ — „Weil die Erſcheinung des Erhabenen als von der
Idee ausgehend erkannt wird, ſo erſcheint es uns immer als Thätigkeit
in der Form eines Actes, einer Wirkſamkeit.“ Muß dieſe Bewegung
die Form eines plötzlichen Hervorbrechens haben? Iſt Ueberraſchung
im Erhabenen weſentlich? Longin περὶ ἵψȣς Sect. I, 4 behauptet es
zunächſt vom rhetoriſch Erhabenen, man kann aber überhaupt ſagen:
wenn die Idee nur allmählich fortwächst und ebenſo allmählich die Er-
ſcheinung mit ſich emporhebt, ſo wird niemals das negative Verhältniß
jener zu dieſer ganz einleuchtend. Einmal muß es reißen und einleuchten,
daß alles Endliche unzulänglich iſt. Die Frage iſt intereſſant, weil ſie
parallel wiederkehrt im Begriffe des Komiſchen, ſie kann aber ganz
beantwortet werden, erſt wenn von dem ſubjectiven Eindrucke die Rede
ſeyn wird. Objectiv nämlich iſt der plötzliche Stoß nicht nothwendig;
ja es wird z. B. Niemand eine Rede erhaben nennen, welche nur durch
das Mittel der Ueberraſchung und nicht ebenſo durch ruhige Würde wirkt.
Allein der Zuhörer fühlt es der Würde an, daß ſie als eine Negation des
Gemeinen mit dieſem nicht nur gebrochen hat, ſondern, wenn dieſer
Bruch in der Geſinnung des Redners auch die Frucht allmählicher Bildung
war, doch mit dem Gemeinen, das ihm von außen kommt, jeden Au-
genblick bereit iſt, plötzlich und gewaltſam zu brechen. So ahnt der
Zuſchauer überhaupt auch im allmählichen Aufſchwung und in der völligen
Ruhe wenn nicht einen vorhergegangenen, einen ſtets möglichen
Bruch und es liegt daher in dem Eindruck alles Erhabenen, wenn nicht
ein wirklicher, doch ein imaginirter oder anticipirter Schrecken. Man
ſieht aber, daß dieſe Frage ſchon zu N. 2 und 3 im §. führt.
2. Daß beide Formen negativ ſind durch Poſition (der Idee),
leuchtet ein. Es ſind aber auch beide poſitiv nur durch Negation (des
Bildes). Ein Gebirge z. B., neben welchem alles Umliegende ſich als
unendlich klein darſtellt, ſcheint für ſich poſitiv erhaben. Allein in Wahrheit
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 15
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/239>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.