nennen. Uebrigens hat Schiller auch die Wahrheit schon ausge- sprochen, daß das Schöne, indem es angeschaut wird, aufhört, bloser Gegenstand zu seyn (a. a. O. Brief 25): "die Schönheit ist zugleich Gegenstand für uns und Zustand unseres Subjects. Sie ist zwar Form, weil wir sie betrachten, zugleich aber ist sie Leben, weil wir sie fühlen. Mit einem Wort: sie ist zugleich unser Zustand und unsere That". Nur hat er dies blos psychologisch erklärt. --
1. Die speculativ zusammenfassende Schlußbestimmung ist von Ruge: "Das Sinnliche und Aeußerliche der Erscheinungswelt, welches die Idee zeigt, ist schön, es kann sie aber nicht zeigen, als in der Anschauung des Geistes; die Schönheit also ist die Idee, sofern sie sich selbst durch ihr Aeußeres erscheint" (Neue Vorsch. d. Aesth. S. 33). "Die Idee, welche sich selbst ausdrückt, ist die Schönheit. Die Idee kann sich aber nicht ausdrücken, ohne sich ausgedrückt zu finden, darum ist es dasselbe, ob ich sage: die sich ausdrückende oder die sich anschauende Idee" (S. 33. 34). "Die Schönheit ist Geist für den Geist, durch die Außenwelt sich bewirkend" (S. 43). Diese Sätze begründet Ruge durch jene Dialektik (vgl. §. 70, 2), worin er zeigt, daß und wie in dem Object das Subject sich selbst findet, der Geist, der sich in jenem ausdrückt und der diesen Ausdruck anschaut, derselbe ist. Spiegel und Spiegelbild sind hier Eines. Wir können diese Bestimmungen hier aufnehmen, obwohl Ruge den Geist, der das Aeußere zum reinen Ausdrucke des Inneren umbildet, in seiner Entwicklung aus- drücklich als die Thätigkeit der Phantasie oder Kunst einführt; denn es genügt in diesem abstracten Theile des Systems, zu wissen, erstens, daß der Gehalt im Schönen die lebendige Idee ist, zweitens, daß diese Idee in der sinnlich bestimmten Einzelheit rein aufgehen muß, so daß es "keine selbständige Außenwelt, kein dem Geiste fremdes Aeußeres mehr gibt", wie Ruge sagt; obwohl wir noch nicht wissen, wie das Organ heißt und beschaffen ist, das diese Tilgung des Fremden bewerkstelligt, oder ob nicht sogar ohne ein solches Organ von selbst jenes Geschehen eintreten könne, wodurch mit Beseitigung des störenden Zufalls die günstigen Bedingungen zur Herstellung eines vollkommenen Individuums sich frei entwickeln können. Wenn uns aber unser Gang zur Genesis dessen führen wird, was diese Vollkommenheit wahrhaft be- werkstelligt, so werden wir durch den Begriff des reinen Scheins und die strenge Abgrenzung des Schönen gegen das Gute gewonnen haben, daß wir diesen realen Grund nicht ethisirend fassen, wie dies (§. 19, 2) an Ruge's Darstellung getadelt wurde; ein Tadel, der sich insbesondere
nennen. Uebrigens hat Schiller auch die Wahrheit ſchon ausge- ſprochen, daß das Schöne, indem es angeſchaut wird, aufhört, bloſer Gegenſtand zu ſeyn (a. a. O. Brief 25): „die Schönheit iſt zugleich Gegenſtand für uns und Zuſtand unſeres Subjects. Sie iſt zwar Form, weil wir ſie betrachten, zugleich aber iſt ſie Leben, weil wir ſie fühlen. Mit einem Wort: ſie iſt zugleich unſer Zuſtand und unſere That“. Nur hat er dies blos pſychologiſch erklärt. —
1. Die ſpeculativ zuſammenfaſſende Schlußbeſtimmung iſt von Ruge: „Das Sinnliche und Aeußerliche der Erſcheinungswelt, welches die Idee zeigt, iſt ſchön, es kann ſie aber nicht zeigen, als in der Anſchauung des Geiſtes; die Schönheit alſo iſt die Idee, ſofern ſie ſich ſelbſt durch ihr Aeußeres erſcheint“ (Neue Vorſch. d. Aeſth. S. 33). „Die Idee, welche ſich ſelbſt ausdrückt, iſt die Schönheit. Die Idee kann ſich aber nicht ausdrücken, ohne ſich ausgedrückt zu finden, darum iſt es daſſelbe, ob ich ſage: die ſich ausdrückende oder die ſich anſchauende Idee“ (S. 33. 34). „Die Schönheit iſt Geiſt für den Geiſt, durch die Außenwelt ſich bewirkend“ (S. 43). Dieſe Sätze begründet Ruge durch jene Dialektik (vgl. §. 70, 2), worin er zeigt, daß und wie in dem Object das Subject ſich ſelbſt findet, der Geiſt, der ſich in jenem ausdrückt und der dieſen Ausdruck anſchaut, derſelbe iſt. Spiegel und Spiegelbild ſind hier Eines. Wir können dieſe Beſtimmungen hier aufnehmen, obwohl Ruge den Geiſt, der das Aeußere zum reinen Ausdrucke des Inneren umbildet, in ſeiner Entwicklung aus- drücklich als die Thätigkeit der Phantaſie oder Kunſt einführt; denn es genügt in dieſem abſtracten Theile des Syſtems, zu wiſſen, erſtens, daß der Gehalt im Schönen die lebendige Idee iſt, zweitens, daß dieſe Idee in der ſinnlich beſtimmten Einzelheit rein aufgehen muß, ſo daß es „keine ſelbſtändige Außenwelt, kein dem Geiſte fremdes Aeußeres mehr gibt“, wie Ruge ſagt; obwohl wir noch nicht wiſſen, wie das Organ heißt und beſchaffen iſt, das dieſe Tilgung des Fremden bewerkſtelligt, oder ob nicht ſogar ohne ein ſolches Organ von ſelbſt jenes Geſchehen eintreten könne, wodurch mit Beſeitigung des ſtörenden Zufalls die günſtigen Bedingungen zur Herſtellung eines vollkommenen Individuums ſich frei entwickeln können. Wenn uns aber unſer Gang zur Geneſis deſſen führen wird, was dieſe Vollkommenheit wahrhaft be- werkſtelligt, ſo werden wir durch den Begriff des reinen Scheins und die ſtrenge Abgrenzung des Schönen gegen das Gute gewonnen haben, daß wir dieſen realen Grund nicht ethiſirend faſſen, wie dies (§. 19, 2) an Ruge’s Darſtellung getadelt wurde; ein Tadel, der ſich insbeſondere
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nennen. Uebrigens hat Schiller auch die Wahrheit ſchon ausge-
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Gegenſtand zu ſeyn (a. a. O. Brief 25): „die Schönheit iſt zugleich
Gegenſtand für uns und Zuſtand unſeres Subjects. Sie iſt zwar
Form, weil wir ſie betrachten, zugleich aber iſt ſie Leben, weil wir ſie
fühlen. Mit einem Wort: ſie iſt zugleich unſer Zuſtand und unſere
That“. Nur hat er dies blos pſychologiſch erklärt. —
1. Die ſpeculativ zuſammenfaſſende Schlußbeſtimmung iſt von Ruge:
„Das Sinnliche und Aeußerliche der Erſcheinungswelt, welches die Idee
zeigt, iſt ſchön, es kann ſie aber nicht zeigen, als in der Anſchauung
des Geiſtes; die Schönheit alſo iſt die Idee, ſofern ſie ſich ſelbſt durch ihr
Aeußeres erſcheint“ (Neue Vorſch. d. Aeſth. S. 33). „Die Idee, welche ſich
ſelbſt ausdrückt, iſt die Schönheit. Die Idee kann ſich aber nicht ausdrücken,
ohne ſich ausgedrückt zu finden, darum iſt es daſſelbe, ob ich ſage: die
ſich ausdrückende oder die ſich anſchauende Idee“ (S. 33. 34). „Die
Schönheit iſt Geiſt für den Geiſt, durch die Außenwelt ſich bewirkend“
(S. 43). Dieſe Sätze begründet Ruge durch jene Dialektik (vgl. §. 70, 2),
worin er zeigt, daß und wie in dem Object das Subject ſich ſelbſt findet,
der Geiſt, der ſich in jenem ausdrückt und der dieſen Ausdruck anſchaut,
derſelbe iſt. Spiegel und Spiegelbild ſind hier Eines. Wir können dieſe
Beſtimmungen hier aufnehmen, obwohl Ruge den Geiſt, der das Aeußere
zum reinen Ausdrucke des Inneren umbildet, in ſeiner Entwicklung aus-
drücklich als die Thätigkeit der Phantaſie oder Kunſt einführt; denn es
genügt in dieſem abſtracten Theile des Syſtems, zu wiſſen, erſtens,
daß der Gehalt im Schönen die lebendige Idee iſt, zweitens, daß dieſe
Idee in der ſinnlich beſtimmten Einzelheit rein aufgehen muß, ſo daß es
„keine ſelbſtändige Außenwelt, kein dem Geiſte fremdes Aeußeres mehr
gibt“, wie Ruge ſagt; obwohl wir noch nicht wiſſen, wie das Organ
heißt und beſchaffen iſt, das dieſe Tilgung des Fremden bewerkſtelligt,
oder ob nicht ſogar ohne ein ſolches Organ von ſelbſt jenes
Geſchehen eintreten könne, wodurch mit Beſeitigung des ſtörenden
Zufalls die günſtigen Bedingungen zur Herſtellung eines vollkommenen
Individuums ſich frei entwickeln können. Wenn uns aber unſer Gang
zur Geneſis deſſen führen wird, was dieſe Vollkommenheit wahrhaft be-
werkſtelligt, ſo werden wir durch den Begriff des reinen Scheins und
die ſtrenge Abgrenzung des Schönen gegen das Gute gewonnen haben,
daß wir dieſen realen Grund nicht ethiſirend faſſen, wie dies (§. 19, 2)
an Ruge’s Darſtellung getadelt wurde; ein Tadel, der ſich insbeſondere
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/205>, abgerufen am 04.12.2024.
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