in die Form aufgeht. Nachdem diese Entwicklung erfolgt ist, hat Persön- lichkeit, wenn das Schöne als solche bestimmt wird, einen anderen Sinn. Im Ethischen nämlich führt sich der Wille durch die sinnliche Bestimmtheit nur mit Widerstand und Kampf durch. Dieser Kampf kann und muß auch Inhalt des Schönen seyn, aber die Darstellung dieses und jedes anderen Gehalts im Schönen ist kampflos, ist (vgl. §. 72) völlig liberal. Es ist keine Nothwendigkeit vorhanden, den Begriff der Persönlichkeit wesentlich in diesem Sinne kampfloser Harmonie zu fassen, denn eigentlich bleibt er ein ethischer Begriff, und wenn die Ethik als höchstes Ziel allerdings auch die höchste Leichtigkeit des Guten hinstellt, so stellt sie doch auch dieses Ziel unter den Gesichtspunkt des Sollens; aber er kann so gefaßt werden und es ist hier am Orte, weil dadurch ein sehr zweckmäßiger Ausdruck für die Wirkung des Schönen gewonnen wird, der Ausdruck nämlich, den Schleiermacher von der Wirkung des religiösen Urbildes braucht: personbildend. Wie durch dieses die Einheit zwischen dem absoluten und dem relativen Bewußtseyn, zwar innerlich und ohne Rücksicht auf Form, so wird durch das Schöne die Einheit des geistigen Gehalts mit aller sinnlichen Erregung durch die reine Form und als reine Form im Subjecte begründet. In der empirischen Wirk- lichkeit sind wir abwechselnd sinnlich auf Kosten des Geistes und geistig auf Kosten der Sinnlichkeit; jenes ist wild, dieses barbarisch. Im Schönen sehen wir diesen Zwiespalt, ehe er in uns ethisch-praktisch ge- löst ist, aufgehoben. Dies ist zunächst rein anticipirender Genuß. Der reale Mensch "schwankt zwischen seinem Urbild und seinem Zerrbild" sagt Schleiermacher. Dies Schwanken ist aufgehoben im Schönen; der momentane Genuß dieser Anschauung muß aber nothwendig auch praktisch in uns fortwirken. Das Schöne tritt ausfüllend in jene Kluft; es spannt an und löst zugleich, es stählt und erweicht, es weist ab und lockt an, es erschreckt, wie nach Plato der Weise erschrickt, wenn er durch das Abbild des Schönen an das Urbild erinnert wird, und es löst diesen Schrecken in volle Vertraulichkeit auf, es bildet ganze Menschen. Vergl. die treffliche Darstellung Schillers am Schlusse des 15ten Briefes in s. Abhandlung über die ästhet. Erz. des Menschen, besonders die geistvollen Worte über die Juno Ludovisi. Uebrigens faßt Schiller in Br. 11 den Begriff: Person anders als wir. Die reine Freiheit, das beharrende Ich im Subjecte nennt er Persönlichkeit, das Wechselnde der sinnlichen Bestimmtheit Zustand: die Schönheit soll beides versöhnen. Es muß aber erlaubt seyn, auch diese versöhnte Einheit Persönlichkeit zu
in die Form aufgeht. Nachdem dieſe Entwicklung erfolgt iſt, hat Perſön- lichkeit, wenn das Schöne als ſolche beſtimmt wird, einen anderen Sinn. Im Ethiſchen nämlich führt ſich der Wille durch die ſinnliche Beſtimmtheit nur mit Widerſtand und Kampf durch. Dieſer Kampf kann und muß auch Inhalt des Schönen ſeyn, aber die Darſtellung dieſes und jedes anderen Gehalts im Schönen iſt kampflos, iſt (vgl. §. 72) völlig liberal. Es iſt keine Nothwendigkeit vorhanden, den Begriff der Perſönlichkeit weſentlich in dieſem Sinne kampfloſer Harmonie zu faſſen, denn eigentlich bleibt er ein ethiſcher Begriff, und wenn die Ethik als höchſtes Ziel allerdings auch die höchſte Leichtigkeit des Guten hinſtellt, ſo ſtellt ſie doch auch dieſes Ziel unter den Geſichtspunkt des Sollens; aber er kann ſo gefaßt werden und es iſt hier am Orte, weil dadurch ein ſehr zweckmäßiger Ausdruck für die Wirkung des Schönen gewonnen wird, der Ausdruck nämlich, den Schleiermacher von der Wirkung des religiöſen Urbildes braucht: perſonbildend. Wie durch dieſes die Einheit zwiſchen dem abſoluten und dem relativen Bewußtſeyn, zwar innerlich und ohne Rückſicht auf Form, ſo wird durch das Schöne die Einheit des geiſtigen Gehalts mit aller ſinnlichen Erregung durch die reine Form und als reine Form im Subjecte begründet. In der empiriſchen Wirk- lichkeit ſind wir abwechſelnd ſinnlich auf Koſten des Geiſtes und geiſtig auf Koſten der Sinnlichkeit; jenes iſt wild, dieſes barbariſch. Im Schönen ſehen wir dieſen Zwieſpalt, ehe er in uns ethiſch-praktiſch ge- löst iſt, aufgehoben. Dies iſt zunächſt rein anticipirender Genuß. Der reale Menſch „ſchwankt zwiſchen ſeinem Urbild und ſeinem Zerrbild“ ſagt Schleiermacher. Dies Schwanken iſt aufgehoben im Schönen; der momentane Genuß dieſer Anſchauung muß aber nothwendig auch praktiſch in uns fortwirken. Das Schöne tritt ausfüllend in jene Kluft; es ſpannt an und löst zugleich, es ſtählt und erweicht, es weist ab und lockt an, es erſchreckt, wie nach Plato der Weiſe erſchrickt, wenn er durch das Abbild des Schönen an das Urbild erinnert wird, und es löst dieſen Schrecken in volle Vertraulichkeit auf, es bildet ganze Menſchen. Vergl. die treffliche Darſtellung Schillers am Schluſſe des 15ten Briefes in ſ. Abhandlung über die äſthet. Erz. des Menſchen, beſonders die geiſtvollen Worte über die Juno Ludoviſi. Uebrigens faßt Schiller in Br. 11 den Begriff: Perſon anders als wir. Die reine Freiheit, das beharrende Ich im Subjecte nennt er Perſönlichkeit, das Wechſelnde der ſinnlichen Beſtimmtheit Zuſtand: die Schönheit ſoll beides verſöhnen. Es muß aber erlaubt ſeyn, auch dieſe verſöhnte Einheit Perſönlichkeit zu
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in die Form aufgeht. Nachdem dieſe Entwicklung erfolgt iſt, hat Perſön-
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Beſtimmtheit nur mit Widerſtand und Kampf durch. Dieſer Kampf
kann und muß auch Inhalt des Schönen ſeyn, aber die Darſtellung
dieſes und jedes anderen Gehalts im Schönen iſt kampflos, iſt (vgl. §. 72)
völlig liberal. Es iſt keine Nothwendigkeit vorhanden, den Begriff der
Perſönlichkeit weſentlich in dieſem Sinne kampfloſer Harmonie zu faſſen,
denn eigentlich bleibt er ein ethiſcher Begriff, und wenn die Ethik als
höchſtes Ziel allerdings auch die höchſte Leichtigkeit des Guten hinſtellt,
ſo ſtellt ſie doch auch dieſes Ziel unter den Geſichtspunkt des Sollens;
aber er kann ſo gefaßt werden und es iſt hier am Orte, weil dadurch
ein ſehr zweckmäßiger Ausdruck für die Wirkung des Schönen gewonnen
wird, der Ausdruck nämlich, den Schleiermacher von der Wirkung des
religiöſen Urbildes braucht: perſonbildend. Wie durch dieſes die Einheit
zwiſchen dem abſoluten und dem relativen Bewußtſeyn, zwar innerlich
und ohne Rückſicht auf Form, ſo wird durch das Schöne die Einheit
des geiſtigen Gehalts mit aller ſinnlichen Erregung durch die reine Form
und als reine Form im Subjecte begründet. In der empiriſchen Wirk-
lichkeit ſind wir abwechſelnd ſinnlich auf Koſten des Geiſtes und geiſtig
auf Koſten der Sinnlichkeit; jenes iſt wild, dieſes barbariſch. Im
Schönen ſehen wir dieſen Zwieſpalt, ehe er in uns ethiſch-praktiſch ge-
löst iſt, aufgehoben. Dies iſt zunächſt rein anticipirender Genuß. Der
reale Menſch „ſchwankt zwiſchen ſeinem Urbild und ſeinem Zerrbild“ ſagt
Schleiermacher. Dies Schwanken iſt aufgehoben im Schönen; der
momentane Genuß dieſer Anſchauung muß aber nothwendig auch praktiſch
in uns fortwirken. Das Schöne tritt ausfüllend in jene Kluft; es
ſpannt an und löst zugleich, es ſtählt und erweicht, es weist ab und
lockt an, es erſchreckt, wie nach Plato der Weiſe erſchrickt, wenn er
durch das Abbild des Schönen an das Urbild erinnert wird, und es
löst dieſen Schrecken in volle Vertraulichkeit auf, es bildet ganze Menſchen.
Vergl. die treffliche Darſtellung Schillers am Schluſſe des 15ten Briefes
in ſ. Abhandlung über die äſthet. Erz. des Menſchen, beſonders die
geiſtvollen Worte über die Juno Ludoviſi. Uebrigens faßt Schiller
in Br. 11 den Begriff: Perſon anders als wir. Die reine Freiheit,
das beharrende Ich im Subjecte nennt er Perſönlichkeit, das Wechſelnde
der ſinnlichen Beſtimmtheit Zuſtand: die Schönheit ſoll beides verſöhnen.
Es muß aber erlaubt ſeyn, auch dieſe verſöhnte Einheit Perſönlichkeit zu
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/204>, abgerufen am 04.12.2024.
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