zugleich, daher von der gemeinen sinnlichen Erkenntniß unendlich ver- schieden ist, ohne Weiteres zusammengeworfen werden könne. Sogleich der erste §. der Einleitung in seiner Aesthetik heißt: Aesthetica (theoria liberalium artium, gnoseologia inferior, ars pulcre cogitandi, ars analogi rationis) est scientia cognitionis sensitivae. Eine ganz verworrene An- deutung einer Vermittlung zwischen jenen zwei so verschiedenen Thätigkeiten enthält §. 14. Aesthetices finis est perfectio cognitionis sensitivae qua talis. Haec antem est pulcritudo; et cavenda ejusdem qua talis imperfectio. Haec autem est deformitas. Man könnte dies nämlich so erklären: die sinnliche Anschauung wird innerhalb ihrer selbst über sich erhoben, indem eine ideale Harmonie in sie eindringt, wodurch sie dieselben Gegenstände, die sie als gemeine sinnliche Anschauung in ihrer Endlichkeit auffaßt, als reine Erscheinung der Idee anschaut und in diesem Sinne selbst Gestalten schafft. Dies wäre die Phantasie und so diejenige moderne Anlegung der Aesthetik vorbereitet, welche von der Phantasie ausgeht. Es scheint etwas der Art allerdings Baumgarten vorzuschweben. Es soll in der Aesthetik der Charakter der sinnlichen Anschauung als einer unterschieds- (reflexions-) losen nicht aufgehoben werden (complexus repraesentationum infra distinctionem subsistentium §. 17); innerhalb desselben aber soll ein consensus cogitationum inter se ad unum, qui phaenomenon sit (§. 18) gewonnen werden; und dieser consensus, der sich nach der Seite des Gedankens als innere Ordnung (§. 19), nach der Seite des Ausdrucks als Einklang der Zeichen oder Bilder (pulcritudo signi- ficationis §. 20) darstellen soll, ist Schönheit. Allein Baumgarten hat nur Poetik und Rhetorik in damaliger Weise, nur clegantia cognitionis (§. 29) im Auge; er verlangt zwar ingenium als dispositio naturalis ad imaginandum (§. 31), aber er denkt nur an zierliche Aus- schmückung eines Gedankengehalts, fühlt, sich selbst widersprechend, den Gegensatz zwischen repraesentatio oder imaginatio und cognitatio nicht und man darf daher eine solche Theorie der Anschauung, wie sie sich zur Phantasie erhebt, nicht bei ihm suchen. Dies erhellt schon daraus, daß er sich die Frage nicht aufwirft, ob es dieselben Gegenstände seyen, welche durch die gemeine Anschauung als gewöhnliche, durch die voll- kommene als schöne angeschaut werden oder nicht, und daß er die bildenden Künste ganz vergessen hat. Auch Kant gebraucht ganz unbefangen den Namen Aesthetik sowohl von der gemeinen sinnlichen Erkenntniß, als von der Betrachtung des Schönen. In der transcendentalen Aesthetik erhebt er zwar (Kritik der r. V. §. 1 Anm.) Einsprache gegen die von
zugleich, daher von der gemeinen ſinnlichen Erkenntniß unendlich ver- ſchieden iſt, ohne Weiteres zuſammengeworfen werden könne. Sogleich der erſte §. der Einleitung in ſeiner Aeſthetik heißt: Aesthetica (theoria liberalium artium, gnoseologia inferior, ars pulcre cogitandi, ars analogi rationis) est scientia cognitionis sensitivae. Eine ganz verworrene An- deutung einer Vermittlung zwiſchen jenen zwei ſo verſchiedenen Thätigkeiten enthält §. 14. Aesthetices finis est perfectio cognitionis sensitivae qua talis. Haec antem est pulcritudo; et cavenda ejusdem qua talis imperfectio. Haec autem est deformitas. Man könnte dies nämlich ſo erklären: die ſinnliche Anſchauung wird innerhalb ihrer ſelbſt über ſich erhoben, indem eine ideale Harmonie in ſie eindringt, wodurch ſie dieſelben Gegenſtände, die ſie als gemeine ſinnliche Anſchauung in ihrer Endlichkeit auffaßt, als reine Erſcheinung der Idee anſchaut und in dieſem Sinne ſelbſt Geſtalten ſchafft. Dies wäre die Phantaſie und ſo diejenige moderne Anlegung der Aeſthetik vorbereitet, welche von der Phantaſie ausgeht. Es ſcheint etwas der Art allerdings Baumgarten vorzuſchweben. Es ſoll in der Aeſthetik der Charakter der ſinnlichen Anſchauung als einer unterſchieds- (reflexions-) loſen nicht aufgehoben werden (complexus repraesentationum infra distinctionem subsistentium §. 17); innerhalb desſelben aber ſoll ein consensus cogitationum inter se ad unum, qui phaenomenon sit (§. 18) gewonnen werden; und dieſer consensus, der ſich nach der Seite des Gedankens als innere Ordnung (§. 19), nach der Seite des Ausdrucks als Einklang der Zeichen oder Bilder (pulcritudo signi- ficationis §. 20) darſtellen ſoll, iſt Schönheit. Allein Baumgarten hat nur Poetik und Rhetorik in damaliger Weiſe, nur clegantia cognitionis (§. 29) im Auge; er verlangt zwar ingenium als dispositio naturalis ad imaginandum (§. 31), aber er denkt nur an zierliche Aus- ſchmückung eines Gedankengehalts, fühlt, ſich ſelbſt widerſprechend, den Gegenſatz zwiſchen repraesentatio oder imaginatio und cognitatio nicht und man darf daher eine ſolche Theorie der Anſchauung, wie ſie ſich zur Phantaſie erhebt, nicht bei ihm ſuchen. Dies erhellt ſchon daraus, daß er ſich die Frage nicht aufwirft, ob es dieſelben Gegenſtände ſeyen, welche durch die gemeine Anſchauung als gewöhnliche, durch die voll- kommene als ſchöne angeſchaut werden oder nicht, und daß er die bildenden Künſte ganz vergeſſen hat. Auch Kant gebraucht ganz unbefangen den Namen Aeſthetik ſowohl von der gemeinen ſinnlichen Erkenntniß, als von der Betrachtung des Schönen. In der tranſcendentalen Aeſthetik erhebt er zwar (Kritik der r. V. §. 1 Anm.) Einſprache gegen die von
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[5/0019]
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deutung einer Vermittlung zwiſchen jenen zwei ſo verſchiedenen Thätigkeiten
enthält §. 14. Aesthetices finis est perfectio cognitionis sensitivae qua
talis. Haec antem est pulcritudo; et cavenda ejusdem qua talis imperfectio.
Haec autem est deformitas. Man könnte dies nämlich ſo erklären: die
ſinnliche Anſchauung wird innerhalb ihrer ſelbſt über ſich erhoben, indem
eine ideale Harmonie in ſie eindringt, wodurch ſie dieſelben Gegenſtände,
die ſie als gemeine ſinnliche Anſchauung in ihrer Endlichkeit auffaßt,
als reine Erſcheinung der Idee anſchaut und in dieſem Sinne ſelbſt
Geſtalten ſchafft. Dies wäre die Phantaſie und ſo diejenige moderne
Anlegung der Aeſthetik vorbereitet, welche von der Phantaſie ausgeht.
Es ſcheint etwas der Art allerdings Baumgarten vorzuſchweben. Es
ſoll in der Aeſthetik der Charakter der ſinnlichen Anſchauung als einer
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nach der Seite des Gedankens als innere Ordnung (§. 19), nach der Seite
des Ausdrucks als Einklang der Zeichen oder Bilder (pulcritudo signi-
ficationis §. 20) darſtellen ſoll, iſt Schönheit. Allein Baumgarten
hat nur Poetik und Rhetorik in damaliger Weiſe, nur clegantia
cognitionis (§. 29) im Auge; er verlangt zwar ingenium als dispositio
naturalis ad imaginandum (§. 31), aber er denkt nur an zierliche Aus-
ſchmückung eines Gedankengehalts, fühlt, ſich ſelbſt widerſprechend, den
Gegenſatz zwiſchen repraesentatio oder imaginatio und cognitatio nicht
und man darf daher eine ſolche Theorie der Anſchauung, wie ſie ſich
zur Phantaſie erhebt, nicht bei ihm ſuchen. Dies erhellt ſchon daraus,
daß er ſich die Frage nicht aufwirft, ob es dieſelben Gegenſtände ſeyen,
welche durch die gemeine Anſchauung als gewöhnliche, durch die voll-
kommene als ſchöne angeſchaut werden oder nicht, und daß er die bildenden
Künſte ganz vergeſſen hat. Auch Kant gebraucht ganz unbefangen den
Namen Aeſthetik ſowohl von der gemeinen ſinnlichen Erkenntniß, als
von der Betrachtung des Schönen. In der tranſcendentalen Aeſthetik
erhebt er zwar (Kritik der r. V. §. 1 Anm.) Einſprache gegen die von
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/19>, abgerufen am 11.12.2024.
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