nimmt, wiewohl nur als Zugabe der Arbeit, als eine festliche Voraus- nahme ihrer Vollendung, durch welche er zu erneuerter Arbeit seines Werk- tags sich stärkt, so ist dies nicht ein Herabsetzen des schönen Elements zum blosen Momente, sondern es ist das Hinaufstreben des sittlichen Elements in das Leben der Schönheit. Dieser Punkt wird im Folgenden noch be- sonders aufgefaßt werden.
§. 57.
Hiemit scheint eine negative Sittenlehre vorausgesetzt. Die wahre Sitten- lehre ist jedoch positiv, sie geht von der unmittelbaren Einheit des reinen Willens und des Triebes, der Unschuld, aus, zeigt die Nothwendigkeit ihrer Auflösung und des sittlichen Kampfes auf und begreift diesen als die noth- wendige Bewegung, wodurch der Geist seiner sinnlichen Bestimmtheit die Natur der Unfreiheit abstreifen und sie zum Organe des reinen Willens umbilden soll: Pflicht. Sie stellt endlich die Verwirklichung dieser Aufgabe als Ziel auf, worin die Welt der Triebe als durchdrungen vom Geiste, der Geist als durch sie erfüllt und sich selbst in ihr als seiner Welt genießend gesetzt ist: Tugend und höchstes Gut.
Alle Ethik, da sie wesentlich auf dem Standpunkte des Sollens steht, ist dualistisch; allein der Dualismus muß auf dem Standpunkte des Monismus als seiner metaphysischen Basis stehen. Nur die Ethik, welche doppelt dualistisch ist, d. h. den Dualismus auch zur metaphysischen Grundlage hat, setzt den Gegensatz, den sie als einen durch den Willen zu lösenden darstellt, im Widerspruche mit sich selbst als absoluten. Es ist zwar der Ethik wesentlich, den Gegensatz in keinem Momente als gelöst anzusehen, allein die unendliche Thätigkeit selbst ist zu begreifen als das stets neu beginnende Werk der Lösung. Kant hatte den Dualismus fixirt, Schiller strebt darüber hinaus, Schelling stellt seinen Widerspruch in genialen Blicken dar, Hegel löst ihn in der Phä- nomenologie in reine Ironie auf. Die Aesthetik hat dies nicht weiter zu entwickeln; es genügt für ihren Zweck, die drei Hauptmomente aller Ethik hervorzuheben.
§. 58.
Diese positive Ethik wird auch die Individualität im Recht ihrer Eigenthümlichkeit und Begrenzung nicht versäumen als Moment in sich auf-
nimmt, wiewohl nur als Zugabe der Arbeit, als eine feſtliche Voraus- nahme ihrer Vollendung, durch welche er zu erneuerter Arbeit ſeines Werk- tags ſich ſtärkt, ſo iſt dies nicht ein Herabſetzen des ſchönen Elements zum bloſen Momente, ſondern es iſt das Hinaufſtreben des ſittlichen Elements in das Leben der Schönheit. Dieſer Punkt wird im Folgenden noch be- ſonders aufgefaßt werden.
§. 57.
Hiemit ſcheint eine negative Sittenlehre vorausgeſetzt. Die wahre Sitten- lehre iſt jedoch poſitiv, ſie geht von der unmittelbaren Einheit des reinen Willens und des Triebes, der Unſchuld, aus, zeigt die Nothwendigkeit ihrer Auflöſung und des ſittlichen Kampfes auf und begreift dieſen als die noth- wendige Bewegung, wodurch der Geiſt ſeiner ſinnlichen Beſtimmtheit die Natur der Unfreiheit abſtreifen und ſie zum Organe des reinen Willens umbilden ſoll: Pflicht. Sie ſtellt endlich die Verwirklichung dieſer Aufgabe als Ziel auf, worin die Welt der Triebe als durchdrungen vom Geiſte, der Geiſt als durch ſie erfüllt und ſich ſelbſt in ihr als ſeiner Welt genießend geſetzt iſt: Tugend und höchſtes Gut.
Alle Ethik, da ſie weſentlich auf dem Standpunkte des Sollens ſteht, iſt dualiſtiſch; allein der Dualismus muß auf dem Standpunkte des Monismus als ſeiner metaphyſiſchen Baſis ſtehen. Nur die Ethik, welche doppelt dualiſtiſch iſt, d. h. den Dualismus auch zur metaphyſiſchen Grundlage hat, ſetzt den Gegenſatz, den ſie als einen durch den Willen zu löſenden darſtellt, im Widerſpruche mit ſich ſelbſt als abſoluten. Es iſt zwar der Ethik weſentlich, den Gegenſatz in keinem Momente als gelöst anzuſehen, allein die unendliche Thätigkeit ſelbſt iſt zu begreifen als das ſtets neu beginnende Werk der Löſung. Kant hatte den Dualismus fixirt, Schiller ſtrebt darüber hinaus, Schelling ſtellt ſeinen Widerſpruch in genialen Blicken dar, Hegel löst ihn in der Phä- nomenologie in reine Ironie auf. Die Aeſthetik hat dies nicht weiter zu entwickeln; es genügt für ihren Zweck, die drei Hauptmomente aller Ethik hervorzuheben.
§. 58.
Dieſe poſitive Ethik wird auch die Individualität im Recht ihrer Eigenthümlichkeit und Begrenzung nicht verſäumen als Moment in ſich auf-
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nimmt, wiewohl nur als Zugabe der Arbeit, als eine feſtliche Voraus-
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tags ſich ſtärkt, ſo iſt dies nicht ein Herabſetzen des ſchönen Elements zum
bloſen Momente, ſondern es iſt das Hinaufſtreben des ſittlichen Elements
in das Leben der Schönheit. Dieſer Punkt wird im Folgenden noch be-
ſonders aufgefaßt werden.
§. 57.
Hiemit ſcheint eine negative Sittenlehre vorausgeſetzt. Die wahre Sitten-
lehre iſt jedoch poſitiv, ſie geht von der unmittelbaren Einheit des reinen
Willens und des Triebes, der Unſchuld, aus, zeigt die Nothwendigkeit ihrer
Auflöſung und des ſittlichen Kampfes auf und begreift dieſen als die noth-
wendige Bewegung, wodurch der Geiſt ſeiner ſinnlichen Beſtimmtheit die Natur
der Unfreiheit abſtreifen und ſie zum Organe des reinen Willens umbilden
ſoll: Pflicht. Sie ſtellt endlich die Verwirklichung dieſer Aufgabe als Ziel
auf, worin die Welt der Triebe als durchdrungen vom Geiſte, der Geiſt als
durch ſie erfüllt und ſich ſelbſt in ihr als ſeiner Welt genießend geſetzt iſt:
Tugend und höchſtes Gut.
Alle Ethik, da ſie weſentlich auf dem Standpunkte des Sollens
ſteht, iſt dualiſtiſch; allein der Dualismus muß auf dem Standpunkte
des Monismus als ſeiner metaphyſiſchen Baſis ſtehen. Nur die Ethik,
welche doppelt dualiſtiſch iſt, d. h. den Dualismus auch zur metaphyſiſchen
Grundlage hat, ſetzt den Gegenſatz, den ſie als einen durch den Willen
zu löſenden darſtellt, im Widerſpruche mit ſich ſelbſt als abſoluten. Es
iſt zwar der Ethik weſentlich, den Gegenſatz in keinem Momente als
gelöst anzuſehen, allein die unendliche Thätigkeit ſelbſt iſt zu begreifen
als das ſtets neu beginnende Werk der Löſung. Kant hatte den
Dualismus fixirt, Schiller ſtrebt darüber hinaus, Schelling ſtellt
ſeinen Widerſpruch in genialen Blicken dar, Hegel löst ihn in der Phä-
nomenologie in reine Ironie auf. Die Aeſthetik hat dies nicht weiter
zu entwickeln; es genügt für ihren Zweck, die drei Hauptmomente aller
Ethik hervorzuheben.
§. 58.
Dieſe poſitive Ethik wird auch die Individualität im Recht ihrer
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/168>, abgerufen am 23.11.2024.
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