und mit diesem Schritte ist das metaphysische Prinzip gefunden, welches die wahre Grundlage der Ableitung des Schönen enthält. Der Standpunkt der absoluten Idee (§. 10) ist gewonnen; jede Wirklichkeit als eine bestimmte Form der absoluten Einheit des Idealen und Realen zu fassen ist nun als Aufgabe begriffen und die Schönheit wird als diejenige Form ausgesprochen, worin diese Einheit am vollkommensten zur Erscheinung kommt, indem ein bestimmtes Da- seyn als mangellose Gegenwart der Idee in die Anschauung tritt. Solger3 bildet den Grundgedanken bereits zu einem gegliederten Systeme aus.
1. Fichte (System d. Sittenlehre §. 31: Ueber die Pflichten des ästhet. Künstlers): "die Kunst macht den transcendentalen Gesichtspunkt zum gemeinen. Auf dem transcendentalen Gesichtspunkte wird die Welt gemacht, auf dem gemeinen ist sie gegeben: auf dem ästhetischen ist sie gegeben, aber nur nach der Ansicht, wie sie gemacht ist. Die Welt hat zwei Seiten: sie ist Produkt unserer Beschränkung, sie ist Produkt unseres freien, idealen Handelns. In der ersten Ansicht ist sie selbst allenthalben beschränkt, in der letzten selbst allenthalben frei. Die erste Ansicht ist gemein; die zweite ästhetisch. Z. B. jede Gestalt im Raume ist anzusehen als Begrenzung durch die benachbarten Körper, sie ist an- zusehen als Aeußerung der innern Fülle und Kraft des Körpers selbst, der sie hat. Wer der ersten Ansicht nachgeht, der sieht nur verzerrte, gepreßte, ängstliche Formen, er sieht die Häßlichkeit; wer der letzten nachgeht, der sieht Leben und Aufstreben, er sieht die Schönheit. Der schöne Geist sieht Alles frei und lebendig" u. s. w. Fichte vergaß nur, auch den andern, vorangestellten Satz näher auszuführen, daß nämlich der Philosoph sich auf diesen Gesichtspunkt mit Arbeit und nach einer Regel erhebe, der schöne Geist aber unbewußt darauf stehe und Andere unvermerkt zu ihm erhebe. Der ganze Gedanke ist höchst fruchtbar und müßte auf dem Wege verfolgt werden, der zum vorh. §. angegeben ist, aber in einem Systeme, wo die ganze Natur blos als Object abgeleitet und dargestellt ist, kann dieser Keim nicht zur Entfaltung kommen und so wird gleich darauf die Kunst als Mittel der Thätigkeit, nämlich als Schule zur Tugend betrachtet.
2. Schelling hat zuerst in der absoluten Einheit des Idealen und Realen den Grund aller Möglichkeit des Schönen gefunden; der Begriff ist nun als immanenter Zweck erkannt, was eben in der Kantischen Lehre vermißt wurde. Wie nun im Ganzen, so im Einzelnen: das
Vischer's Aesthetik. 1. Bd. 9
und mit dieſem Schritte iſt das metaphyſiſche Prinzip gefunden, welches die wahre Grundlage der Ableitung des Schönen enthält. Der Standpunkt der abſoluten Idee (§. 10) iſt gewonnen; jede Wirklichkeit als eine beſtimmte Form der abſoluten Einheit des Idealen und Realen zu faſſen iſt nun als Aufgabe begriffen und die Schönheit wird als diejenige Form ausgeſprochen, worin dieſe Einheit am vollkommenſten zur Erſcheinung kommt, indem ein beſtimmtes Da- ſeyn als mangelloſe Gegenwart der Idee in die Anſchauung tritt. Solger3 bildet den Grundgedanken bereits zu einem gegliederten Syſteme aus.
1. Fichte (Syſtem d. Sittenlehre §. 31: Ueber die Pflichten des äſthet. Künſtlers): „die Kunſt macht den tranſcendentalen Geſichtspunkt zum gemeinen. Auf dem tranſcendentalen Geſichtspunkte wird die Welt gemacht, auf dem gemeinen iſt ſie gegeben: auf dem äſthetiſchen iſt ſie gegeben, aber nur nach der Anſicht, wie ſie gemacht iſt. Die Welt hat zwei Seiten: ſie iſt Produkt unſerer Beſchränkung, ſie iſt Produkt unſeres freien, idealen Handelns. In der erſten Anſicht iſt ſie ſelbſt allenthalben beſchränkt, in der letzten ſelbſt allenthalben frei. Die erſte Anſicht iſt gemein; die zweite äſthetiſch. Z. B. jede Geſtalt im Raume iſt anzuſehen als Begrenzung durch die benachbarten Körper, ſie iſt an- zuſehen als Aeußerung der innern Fülle und Kraft des Körpers ſelbſt, der ſie hat. Wer der erſten Anſicht nachgeht, der ſieht nur verzerrte, gepreßte, ängſtliche Formen, er ſieht die Häßlichkeit; wer der letzten nachgeht, der ſieht Leben und Aufſtreben, er ſieht die Schönheit. Der ſchöne Geiſt ſieht Alles frei und lebendig“ u. ſ. w. Fichte vergaß nur, auch den andern, vorangeſtellten Satz näher auszuführen, daß nämlich der Philoſoph ſich auf dieſen Geſichtspunkt mit Arbeit und nach einer Regel erhebe, der ſchöne Geiſt aber unbewußt darauf ſtehe und Andere unvermerkt zu ihm erhebe. Der ganze Gedanke iſt höchſt fruchtbar und müßte auf dem Wege verfolgt werden, der zum vorh. §. angegeben iſt, aber in einem Syſteme, wo die ganze Natur blos als Object abgeleitet und dargeſtellt iſt, kann dieſer Keim nicht zur Entfaltung kommen und ſo wird gleich darauf die Kunſt als Mittel der Thätigkeit, nämlich als Schule zur Tugend betrachtet.
2. Schelling hat zuerſt in der abſoluten Einheit des Idealen und Realen den Grund aller Möglichkeit des Schönen gefunden; der Begriff iſt nun als immanenter Zweck erkannt, was eben in der Kantiſchen Lehre vermißt wurde. Wie nun im Ganzen, ſo im Einzelnen: das
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 9
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der abſoluten Einheit des Idealen und Realen zu faſſen iſt nun als Aufgabe
begriffen und die Schönheit wird als diejenige Form ausgeſprochen, worin dieſe
Einheit am vollkommenſten zur Erſcheinung kommt, indem ein beſtimmtes Da-
ſeyn als mangelloſe Gegenwart der Idee in die Anſchauung tritt. Solger
bildet den Grundgedanken bereits zu einem gegliederten Syſteme aus.
1. Fichte (Syſtem d. Sittenlehre §. 31: Ueber die Pflichten des
äſthet. Künſtlers): „die Kunſt macht den tranſcendentalen Geſichtspunkt
zum gemeinen. Auf dem tranſcendentalen Geſichtspunkte wird die Welt
gemacht, auf dem gemeinen iſt ſie gegeben: auf dem äſthetiſchen iſt ſie
gegeben, aber nur nach der Anſicht, wie ſie gemacht iſt. Die Welt
hat zwei Seiten: ſie iſt Produkt unſerer Beſchränkung, ſie iſt Produkt
unſeres freien, idealen Handelns. In der erſten Anſicht iſt ſie ſelbſt
allenthalben beſchränkt, in der letzten ſelbſt allenthalben frei. Die erſte
Anſicht iſt gemein; die zweite äſthetiſch. Z. B. jede Geſtalt im Raume
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zuſehen als Aeußerung der innern Fülle und Kraft des Körpers ſelbſt,
der ſie hat. Wer der erſten Anſicht nachgeht, der ſieht nur verzerrte,
gepreßte, ängſtliche Formen, er ſieht die Häßlichkeit; wer der letzten
nachgeht, der ſieht Leben und Aufſtreben, er ſieht die Schönheit. Der
ſchöne Geiſt ſieht Alles frei und lebendig“ u. ſ. w. Fichte vergaß nur,
auch den andern, vorangeſtellten Satz näher auszuführen, daß nämlich
der Philoſoph ſich auf dieſen Geſichtspunkt mit Arbeit und nach einer
Regel erhebe, der ſchöne Geiſt aber unbewußt darauf ſtehe und Andere
unvermerkt zu ihm erhebe. Der ganze Gedanke iſt höchſt fruchtbar und
müßte auf dem Wege verfolgt werden, der zum vorh. §. angegeben iſt,
aber in einem Syſteme, wo die ganze Natur blos als Object abgeleitet
und dargeſtellt iſt, kann dieſer Keim nicht zur Entfaltung kommen und
ſo wird gleich darauf die Kunſt als Mittel der Thätigkeit, nämlich als
Schule zur Tugend betrachtet.
2. Schelling hat zuerſt in der abſoluten Einheit des Idealen und
Realen den Grund aller Möglichkeit des Schönen gefunden; der Begriff
iſt nun als immanenter Zweck erkannt, was eben in der Kantiſchen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/143>, abgerufen am 24.11.2024.
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