Ding seyn soll"; das genaue Gegentheil des Richtigen, denn eben in diesen organischen Gestalten erscheint der Begriff als immanenter Zweck so, daß man das Ganze genießt völlig ohne subjectiv abstrahirten Begriff von dem, was es seyn soll. Kant ist hier ganz formalistisch. -- Da er nun demgemäß eine objective Bestimmung des Schönen gar nicht finden kann, so wirft er sich ganz auf die subjective Seite. Sein Ver- dienst in der Analyse derselben ist im §. vorläufig anerkannt, aber nicht erwähnt, wie ihn der objectiv aufgegebene Begriff des Zwecks hier ver- folgt und für jenes Aufgeben bestraft, denn das Wesentliche ist in den Anm. zu §. 3 gegeben. In dieser rein formalen Zweckbestimmung, dieser "Zweckmäßigkeit ohne Zweck", welche eigentlich eine blose Zweckmäßigkeit der Stimmung seyn, aber doch mit der unbestimmten Vorstellung eines im Gegenstande sich darstellenden Zwecks spielen soll, liegt in Wahrheit die volle, aber sich selbst dunkle Ahnung der objectiven, inneren, plasti- schen Zweckmäßigkeit. Diese tritt wohl nirgends erkennbarer ans Licht, als in §. 23, wo er sagt, die selbständige Naturschönheit entdecke uns eine Technik der Natur, wodurch unser Begriff von derselben über den eines blosen Mechanismus zu dem Begriff von der Natur als einer Kunst erweitert werde: "welches zu tiefen Untersuchungen über die Mög- lichkeit einer solchen Form einladet." Allein wie durch Kant die ganze Philosophie, so nimmt nun auch seine Aesthetik, da sie diese Ahnung nicht zu benützen versteht, einen ganz andern Weg, den Weg zum sub- jectiven Idealismus. Wenn schon in der Analyse des ästhetischen Wohl- gefallens die nahe liegende Frage, wie es denn komme, daß ein Gegenstand dieses Wohlgefallen errege, der andere nicht, gar nicht auf- geworfen, also auch nicht beantwortet wird, so schwebt offenbar zwischen den Zeilen die Ansicht, daß das Subject überhaupt die Schönheit erst in die Gegenstände hineinschaue. Nun erwäge man, wie in dieser Analyse durchaus eine reine Harmonie der Geistigkeit und Sinnlichkeit im Subjecte gelehrt ist, man gehe von da weiter zu den tiefen Be- stimmungen Kant's über das Genie, das, selbst eine volle Einheit von geistiger Regel und Natur, ein Werk schafft, das ebenfalls Geisteswerk und Naturwerk zugleich ist, so kommt man bei dem Schlusse an, daß alles schöne Object überhaupt erst durch die Phantasie geschaffen wird, ebenso wie man durch die Consequenzen der ganzen Philosophie Kant's bei Fichte anlangt. Wenn nun die folgenden Theile unseres Systems uns -- (es kann in dieser Anm. immerhin so viel anticipirt werden) -- im Schönen ebenfalls diese Schöpfung der Phantasie enthüllen werden,
Ding ſeyn ſoll“; das genaue Gegentheil des Richtigen, denn eben in dieſen organiſchen Geſtalten erſcheint der Begriff als immanenter Zweck ſo, daß man das Ganze genießt völlig ohne ſubjectiv abſtrahirten Begriff von dem, was es ſeyn ſoll. Kant iſt hier ganz formaliſtiſch. — Da er nun demgemäß eine objective Beſtimmung des Schönen gar nicht finden kann, ſo wirft er ſich ganz auf die ſubjective Seite. Sein Ver- dienſt in der Analyſe derſelben iſt im §. vorläufig anerkannt, aber nicht erwähnt, wie ihn der objectiv aufgegebene Begriff des Zwecks hier ver- folgt und für jenes Aufgeben beſtraft, denn das Weſentliche iſt in den Anm. zu §. 3 gegeben. In dieſer rein formalen Zweckbeſtimmung, dieſer „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“, welche eigentlich eine bloſe Zweckmäßigkeit der Stimmung ſeyn, aber doch mit der unbeſtimmten Vorſtellung eines im Gegenſtande ſich darſtellenden Zwecks ſpielen ſoll, liegt in Wahrheit die volle, aber ſich ſelbſt dunkle Ahnung der objectiven, inneren, plaſti- ſchen Zweckmäßigkeit. Dieſe tritt wohl nirgends erkennbarer ans Licht, als in §. 23, wo er ſagt, die ſelbſtändige Naturſchönheit entdecke uns eine Technik der Natur, wodurch unſer Begriff von derſelben über den eines bloſen Mechanismus zu dem Begriff von der Natur als einer Kunſt erweitert werde: „welches zu tiefen Unterſuchungen über die Mög- lichkeit einer ſolchen Form einladet.“ Allein wie durch Kant die ganze Philoſophie, ſo nimmt nun auch ſeine Aeſthetik, da ſie dieſe Ahnung nicht zu benützen verſteht, einen ganz andern Weg, den Weg zum ſub- jectiven Idealismus. Wenn ſchon in der Analyſe des äſthetiſchen Wohl- gefallens die nahe liegende Frage, wie es denn komme, daß ein Gegenſtand dieſes Wohlgefallen errege, der andere nicht, gar nicht auf- geworfen, alſo auch nicht beantwortet wird, ſo ſchwebt offenbar zwiſchen den Zeilen die Anſicht, daß das Subject überhaupt die Schönheit erſt in die Gegenſtände hineinſchaue. Nun erwäge man, wie in dieſer Analyſe durchaus eine reine Harmonie der Geiſtigkeit und Sinnlichkeit im Subjecte gelehrt iſt, man gehe von da weiter zu den tiefen Be- ſtimmungen Kant’s über das Genie, das, ſelbſt eine volle Einheit von geiſtiger Regel und Natur, ein Werk ſchafft, das ebenfalls Geiſteswerk und Naturwerk zugleich iſt, ſo kommt man bei dem Schluſſe an, daß alles ſchöne Object überhaupt erſt durch die Phantaſie geſchaffen wird, ebenſo wie man durch die Conſequenzen der ganzen Philoſophie Kant’s bei Fichte anlangt. Wenn nun die folgenden Theile unſeres Syſtems uns — (es kann in dieſer Anm. immerhin ſo viel anticipirt werden) — im Schönen ebenfalls dieſe Schöpfung der Phantaſie enthüllen werden,
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Ding ſeyn ſoll“; das genaue Gegentheil des Richtigen, denn eben in
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daß man das Ganze genießt völlig ohne ſubjectiv abſtrahirten Begriff
von dem, was es ſeyn ſoll. Kant iſt hier ganz formaliſtiſch. — Da
er nun demgemäß eine objective Beſtimmung des Schönen gar nicht
finden kann, ſo wirft er ſich ganz auf die ſubjective Seite. Sein Ver-
dienſt in der Analyſe derſelben iſt im §. vorläufig anerkannt, aber nicht
erwähnt, wie ihn der objectiv aufgegebene Begriff des Zwecks hier ver-
folgt und für jenes Aufgeben beſtraft, denn das Weſentliche iſt in den
Anm. zu §. 3 gegeben. In dieſer rein formalen Zweckbeſtimmung, dieſer
„Zweckmäßigkeit ohne Zweck“, welche eigentlich eine bloſe Zweckmäßigkeit
der Stimmung ſeyn, aber doch mit der unbeſtimmten Vorſtellung eines
im Gegenſtande ſich darſtellenden Zwecks ſpielen ſoll, liegt in Wahrheit
die volle, aber ſich ſelbſt dunkle Ahnung der objectiven, inneren, plaſti-
ſchen Zweckmäßigkeit. Dieſe tritt wohl nirgends erkennbarer ans Licht,
als in §. 23, wo er ſagt, die ſelbſtändige Naturſchönheit entdecke uns
eine Technik der Natur, wodurch unſer Begriff von derſelben über den
eines bloſen Mechanismus zu dem Begriff von der Natur als einer
Kunſt erweitert werde: „welches zu tiefen Unterſuchungen über die Mög-
lichkeit einer ſolchen Form einladet.“ Allein wie durch Kant die ganze
Philoſophie, ſo nimmt nun auch ſeine Aeſthetik, da ſie dieſe Ahnung
nicht zu benützen verſteht, einen ganz andern Weg, den Weg zum ſub-
jectiven Idealismus. Wenn ſchon in der Analyſe des äſthetiſchen Wohl-
gefallens die nahe liegende Frage, wie es denn komme, daß ein
Gegenſtand dieſes Wohlgefallen errege, der andere nicht, gar nicht auf-
geworfen, alſo auch nicht beantwortet wird, ſo ſchwebt offenbar zwiſchen
den Zeilen die Anſicht, daß das Subject überhaupt die Schönheit erſt
in die Gegenſtände hineinſchaue. Nun erwäge man, wie in dieſer
Analyſe durchaus eine reine Harmonie der Geiſtigkeit und Sinnlichkeit
im Subjecte gelehrt iſt, man gehe von da weiter zu den tiefen Be-
ſtimmungen Kant’s über das Genie, das, ſelbſt eine volle Einheit von
geiſtiger Regel und Natur, ein Werk ſchafft, das ebenfalls Geiſteswerk
und Naturwerk zugleich iſt, ſo kommt man bei dem Schluſſe an, daß
alles ſchöne Object überhaupt erſt durch die Phantaſie geſchaffen wird,
ebenſo wie man durch die Conſequenzen der ganzen Philoſophie Kant’s
bei Fichte anlangt. Wenn nun die folgenden Theile unſeres Syſtems
uns — (es kann in dieſer Anm. immerhin ſo viel anticipirt werden) —
im Schönen ebenfalls dieſe Schöpfung der Phantaſie enthüllen werden,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/141>, abgerufen am 24.11.2024.
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