Den eigentlichen Grund der Verwirrung aber in jenem Streite gibt der §. Charakter kann bedeuten: Gattung (z. B. die reinen Formen des Menschen); es kann bedeuten: Art (z. B. Geschlecht, Lebensalter, Volk, Volksstamm, Stand und sein besonderes Gepräge); es kann bedeuten: die Eigenheit dieses oder jenes Individuums, fließend aus den oben an- geführten Momenten der Zufälligkeit. Da nun nirgends klar vorbestimmt war, welche dieser Bedeutungen man im Auge habe, so konnte die Ver- wirrung nicht ausbleiben. In der Metaphysik des Schönen nun ist keine andere Entscheidung möglich, als: diese drei oder (wenn man die Art zur Gattung schlägt) zwei Momente sind gleich berechtigt. Ein Unterschied der Berechtigung (wiewohl niemals eine Ausschließung des einen oder andern Moments) aber dringt ein, erstens durch den großen Haupt- gegensatz in den allgemeinen Formen des Schönen: das Erhabene und Komische, zweitens durch die großen Haupt-Epochen der Völker-Phantasie (classisch, romantisch u. s. f.), drittens durch die verschiedenen Künste, viertens durch die verschiedenen Zweige der einzelnen Künste. Die Dar- stellung dieser besonderen Wendungen in dem Verhältnisse beider Momente können also nur die betreffenden weiteren Theile des Systems geben.
§. 40.
Der Gegensatz zwischen der Idee oder der Gattung und dem Individuum ist jedoch in den §. 31--33 hervorgehobenen Formen der Zufälligkeit noch nicht auf seine Spitze gestiegen. Aus dem Zusammenseyn der einen Gattung mit allen andern Gattungen in demselben Raume und derselben Zeit geht nämlich noch eine Form der Zufälligkeit hervor, wodurch jene erstgenannten und nach §. 34. im Schönen unentbehrlichen Zufälligkeiten selbst getrübt werden, so daß sie nicht rein erscheinen. Jede Gattung ist zwar, auf welcher Stufe des Ganzen sie stehen mag, vernünftig und in sich zweckmäßig, indem sie aber zugleich mit allen andern ihre Zwecke durchführt, so stößt sie mit den Zwecken anderer aus absoluter oder beziehungsweiser Bewußtlosigkeit ebenso leicht schlechtweg feindselig d. h. so, daß daraus nicht ein Lebensreiz, sondern eine völlige Störung entsteht, zusammen, als sie mit ihnen unmittelbar oder mittelbar günstig zu- sammenwirkt. Durch diesen Conflict stellt jedes Individuum, während es seine Gattung darstellt, zugleich Anderes mit dar, was in den Zusammenhang seiner Gattung nicht gehört: eine Trübung und Störung, welche bis zu rein zufälliger Aufreibung fortgeht. Dies erst oder das sinnlose Uebel als Gegensatz des
Vischer's Aesthetik. 1. Bd. 8
Den eigentlichen Grund der Verwirrung aber in jenem Streite gibt der §. Charakter kann bedeuten: Gattung (z. B. die reinen Formen des Menſchen); es kann bedeuten: Art (z. B. Geſchlecht, Lebensalter, Volk, Volksſtamm, Stand und ſein beſonderes Gepräge); es kann bedeuten: die Eigenheit dieſes oder jenes Individuums, fließend aus den oben an- geführten Momenten der Zufälligkeit. Da nun nirgends klar vorbeſtimmt war, welche dieſer Bedeutungen man im Auge habe, ſo konnte die Ver- wirrung nicht ausbleiben. In der Metaphyſik des Schönen nun iſt keine andere Entſcheidung möglich, als: dieſe drei oder (wenn man die Art zur Gattung ſchlägt) zwei Momente ſind gleich berechtigt. Ein Unterſchied der Berechtigung (wiewohl niemals eine Ausſchließung des einen oder andern Moments) aber dringt ein, erſtens durch den großen Haupt- gegenſatz in den allgemeinen Formen des Schönen: das Erhabene und Komiſche, zweitens durch die großen Haupt-Epochen der Völker-Phantaſie (claſſiſch, romantiſch u. ſ. f.), drittens durch die verſchiedenen Künſte, viertens durch die verſchiedenen Zweige der einzelnen Künſte. Die Dar- ſtellung dieſer beſonderen Wendungen in dem Verhältniſſe beider Momente können alſo nur die betreffenden weiteren Theile des Syſtems geben.
§. 40.
Der Gegenſatz zwiſchen der Idee oder der Gattung und dem Individuum iſt jedoch in den §. 31—33 hervorgehobenen Formen der Zufälligkeit noch nicht auf ſeine Spitze geſtiegen. Aus dem Zuſammenſeyn der einen Gattung mit allen andern Gattungen in demſelben Raume und derſelben Zeit geht nämlich noch eine Form der Zufälligkeit hervor, wodurch jene erſtgenannten und nach §. 34. im Schönen unentbehrlichen Zufälligkeiten ſelbſt getrübt werden, ſo daß ſie nicht rein erſcheinen. Jede Gattung iſt zwar, auf welcher Stufe des Ganzen ſie ſtehen mag, vernünftig und in ſich zweckmäßig, indem ſie aber zugleich mit allen andern ihre Zwecke durchführt, ſo ſtößt ſie mit den Zwecken anderer aus abſoluter oder beziehungsweiſer Bewußtloſigkeit ebenſo leicht ſchlechtweg feindſelig d. h. ſo, daß daraus nicht ein Lebensreiz, ſondern eine völlige Störung entſteht, zuſammen, als ſie mit ihnen unmittelbar oder mittelbar günſtig zu- ſammenwirkt. Durch dieſen Conflict ſtellt jedes Individuum, während es ſeine Gattung darſtellt, zugleich Anderes mit dar, was in den Zuſammenhang ſeiner Gattung nicht gehört: eine Trübung und Störung, welche bis zu rein zufälliger Aufreibung fortgeht. Dies erſt oder das ſinnloſe Uebel als Gegenſatz des
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 8
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Den eigentlichen Grund der Verwirrung aber in jenem Streite gibt
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Menſchen); es kann bedeuten: Art (z. B. Geſchlecht, Lebensalter, Volk,
Volksſtamm, Stand und ſein beſonderes Gepräge); es kann bedeuten:
die Eigenheit dieſes oder jenes Individuums, fließend aus den oben an-
geführten Momenten der Zufälligkeit. Da nun nirgends klar vorbeſtimmt
war, welche dieſer Bedeutungen man im Auge habe, ſo konnte die Ver-
wirrung nicht ausbleiben. In der Metaphyſik des Schönen nun iſt keine
andere Entſcheidung möglich, als: dieſe drei oder (wenn man die Art
zur Gattung ſchlägt) zwei Momente ſind gleich berechtigt. Ein Unterſchied
der Berechtigung (wiewohl niemals eine Ausſchließung des einen oder
andern Moments) aber dringt ein, erſtens durch den großen Haupt-
gegenſatz in den allgemeinen Formen des Schönen: das Erhabene und
Komiſche, zweitens durch die großen Haupt-Epochen der Völker-Phantaſie
(claſſiſch, romantiſch u. ſ. f.), drittens durch die verſchiedenen Künſte,
viertens durch die verſchiedenen Zweige der einzelnen Künſte. Die Dar-
ſtellung dieſer beſonderen Wendungen in dem Verhältniſſe beider Momente
können alſo nur die betreffenden weiteren Theile des Syſtems geben.
§. 40.
Der Gegenſatz zwiſchen der Idee oder der Gattung und dem Individuum
iſt jedoch in den §. 31—33 hervorgehobenen Formen der Zufälligkeit noch nicht
auf ſeine Spitze geſtiegen. Aus dem Zuſammenſeyn der einen Gattung mit
allen andern Gattungen in demſelben Raume und derſelben Zeit geht nämlich
noch eine Form der Zufälligkeit hervor, wodurch jene erſtgenannten und nach
§. 34. im Schönen unentbehrlichen Zufälligkeiten ſelbſt getrübt werden, ſo daß
ſie nicht rein erſcheinen. Jede Gattung iſt zwar, auf welcher Stufe des Ganzen
ſie ſtehen mag, vernünftig und in ſich zweckmäßig, indem ſie aber zugleich
mit allen andern ihre Zwecke durchführt, ſo ſtößt ſie mit den Zwecken anderer
aus abſoluter oder beziehungsweiſer Bewußtloſigkeit ebenſo leicht ſchlechtweg
feindſelig d. h. ſo, daß daraus nicht ein Lebensreiz, ſondern eine völlige Störung
entſteht, zuſammen, als ſie mit ihnen unmittelbar oder mittelbar günſtig zu-
ſammenwirkt. Durch dieſen Conflict ſtellt jedes Individuum, während es ſeine
Gattung darſtellt, zugleich Anderes mit dar, was in den Zuſammenhang ſeiner
Gattung nicht gehört: eine Trübung und Störung, welche bis zu rein zufälliger
Aufreibung fortgeht. Dies erſt oder das ſinnloſe Uebel als Gegenſatz des
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/127>, abgerufen am 24.11.2024.
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