Schönheit, sondern nur unnachläßliche Bedingung derselben, sie sey nur schulgerecht. Dazu fügt die Anm.: "man wird finden, daß ein vollkommen regelmäßiges Gesicht, welches der Maler ihm zum Modell zu sitzen bitten möchte, gemeiniglich nichts sagt, weil es nichts Charakteristisches enthält, also mehr die Idee der Gattung, als das Spezifische einer Person aus- drückt. -- Auch zeigt die Erfahrung, daß jene ganz regelmäßigen Gesichter im Innern gemeiniglich auch nur einen mittelmäßigen Menschen verrathen; vermuthlich (wenn angenommen werden darf, daß die Natur im Aeußern die Proportionen des Innern ausdrücke) deßwegen: weil, wenn keine von den Gemüthsanlagen über diejenige Proportion hervorstechend ist, die erfordert wird, blos einen fehlerfreien Menschen auszumachen, nichts von dem, was man Genie nennt, erwartet werden darf, in welchem die Natur von ihren gewöhnlichen Verhältnissen der Gemüthskräfte zum Vortheil einer einzigen abzugehen scheint." Göthe und seine Umgebung legten sich in den Streit, der bekanntlich im Athenäum, den Propyläen und in Fernows Schriften geführt wurde. Von der Verworrenheit, die in diesem Streite aus Mangel an klarer Unterscheidung in den Grund- bestimmungen herrschte, geben die Stellen aus Hirts Aufsatz in den Horen 1797 Zeugniß, welche Hegel anführt (Aesth. Einl. S. 24). Das erste Licht wirft Schelling auf einen Punkt, wo die Lösung einzutreten hat, in seiner Rede über das Verhältniß der bildenden Künste zu der Natur 1807, wo er die verschiedene Berechtigung des Charakteristischen in der Plastik und in der Malerei beleuchtet. Man bemerke auch wohl, daß Kant in der obigen Anm. den Maler im Auge hat. Einen weiteren wesentlichen Punkt der Lösung deckt Solger auf (Vorles. über Aesth. S. 159--162. vergl. mit S. 80 und mit Erwin Th. 1, S. 206. 207.), indem er den Gegensatz des classischen und romantischen Ideals herbeizieht. Die Ver- wirrung kam auch dadurch, daß man die Frage über das Charakteristische mit der Frage über Naturnachahmung vermengte: eine Vermengung, welche nahe lag, weil der gewöhnlichen, nicht künstlerischen Anschauung nur das Individuum mit den Zufälligkeiten seiner ihm eigenen Züge sinnlich gegeben ist. Allein diese Zufälligkeit selbst, wie sehr oder wie wenig sie auch im Schönen zugelassen seyn mag, liegt in der unmittelbaren Natur nicht rein vor; auch sie in ihrer Wahrheit zu sehen, braucht es ein im Anblick idealisirendes Auge, und wenn ich daher dieser Eigenheit der individuellen Züge auch das vollste Recht im Schönen gestatte, so ist dadurch die Frage über Naturnachahmung noch keineswegs zum Vortheil der letzteren ab- gemacht; die Fragen sind also total verschieden.
Schönheit, ſondern nur unnachläßliche Bedingung derſelben, ſie ſey nur ſchulgerecht. Dazu fügt die Anm.: „man wird finden, daß ein vollkommen regelmäßiges Geſicht, welches der Maler ihm zum Modell zu ſitzen bitten möchte, gemeiniglich nichts ſagt, weil es nichts Charakteriſtiſches enthält, alſo mehr die Idee der Gattung, als das Spezifiſche einer Perſon aus- drückt. — Auch zeigt die Erfahrung, daß jene ganz regelmäßigen Geſichter im Innern gemeiniglich auch nur einen mittelmäßigen Menſchen verrathen; vermuthlich (wenn angenommen werden darf, daß die Natur im Aeußern die Proportionen des Innern ausdrücke) deßwegen: weil, wenn keine von den Gemüthsanlagen über diejenige Proportion hervorſtechend iſt, die erfordert wird, blos einen fehlerfreien Menſchen auszumachen, nichts von dem, was man Genie nennt, erwartet werden darf, in welchem die Natur von ihren gewöhnlichen Verhältniſſen der Gemüthskräfte zum Vortheil einer einzigen abzugehen ſcheint.“ Göthe und ſeine Umgebung legten ſich in den Streit, der bekanntlich im Athenäum, den Propyläen und in Fernows Schriften geführt wurde. Von der Verworrenheit, die in dieſem Streite aus Mangel an klarer Unterſcheidung in den Grund- beſtimmungen herrſchte, geben die Stellen aus Hirts Aufſatz in den Horen 1797 Zeugniß, welche Hegel anführt (Aeſth. Einl. S. 24). Das erſte Licht wirft Schelling auf einen Punkt, wo die Löſung einzutreten hat, in ſeiner Rede über das Verhältniß der bildenden Künſte zu der Natur 1807, wo er die verſchiedene Berechtigung des Charakteriſtiſchen in der Plaſtik und in der Malerei beleuchtet. Man bemerke auch wohl, daß Kant in der obigen Anm. den Maler im Auge hat. Einen weiteren weſentlichen Punkt der Löſung deckt Solger auf (Vorleſ. über Aeſth. S. 159—162. vergl. mit S. 80 und mit Erwin Th. 1, S. 206. 207.), indem er den Gegenſatz des claſſiſchen und romantiſchen Ideals herbeizieht. Die Ver- wirrung kam auch dadurch, daß man die Frage über das Charakteriſtiſche mit der Frage über Naturnachahmung vermengte: eine Vermengung, welche nahe lag, weil der gewöhnlichen, nicht künſtleriſchen Anſchauung nur das Individuum mit den Zufälligkeiten ſeiner ihm eigenen Züge ſinnlich gegeben iſt. Allein dieſe Zufälligkeit ſelbſt, wie ſehr oder wie wenig ſie auch im Schönen zugelaſſen ſeyn mag, liegt in der unmittelbaren Natur nicht rein vor; auch ſie in ihrer Wahrheit zu ſehen, braucht es ein im Anblick idealiſirendes Auge, und wenn ich daher dieſer Eigenheit der individuellen Züge auch das vollſte Recht im Schönen geſtatte, ſo iſt dadurch die Frage über Naturnachahmung noch keineswegs zum Vortheil der letzteren ab- gemacht; die Fragen ſind alſo total verſchieden.
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regelmäßiges Geſicht, welches der Maler ihm zum Modell zu ſitzen bitten
möchte, gemeiniglich nichts ſagt, weil es nichts Charakteriſtiſches enthält,
alſo mehr die Idee der Gattung, als das Spezifiſche einer Perſon aus-
drückt. — Auch zeigt die Erfahrung, daß jene ganz regelmäßigen Geſichter
im Innern gemeiniglich auch nur einen mittelmäßigen Menſchen verrathen;
vermuthlich (wenn angenommen werden darf, daß die Natur im Aeußern
die Proportionen des Innern ausdrücke) deßwegen: weil, wenn keine
von den Gemüthsanlagen über diejenige Proportion hervorſtechend iſt, die
erfordert wird, blos einen fehlerfreien Menſchen auszumachen, nichts von
dem, was man Genie nennt, erwartet werden darf, in welchem die Natur
von ihren gewöhnlichen Verhältniſſen der Gemüthskräfte zum Vortheil
einer einzigen abzugehen ſcheint.“ Göthe und ſeine Umgebung legten
ſich in den Streit, der bekanntlich im Athenäum, den Propyläen und in
Fernows Schriften geführt wurde. Von der Verworrenheit, die in
dieſem Streite aus Mangel an klarer Unterſcheidung in den Grund-
beſtimmungen herrſchte, geben die Stellen aus Hirts Aufſatz in den Horen
1797 Zeugniß, welche Hegel anführt (Aeſth. Einl. S. 24). Das erſte
Licht wirft Schelling auf einen Punkt, wo die Löſung einzutreten hat, in
ſeiner Rede über das Verhältniß der bildenden Künſte zu der Natur 1807,
wo er die verſchiedene Berechtigung des Charakteriſtiſchen in der Plaſtik
und in der Malerei beleuchtet. Man bemerke auch wohl, daß Kant in
der obigen Anm. den Maler im Auge hat. Einen weiteren weſentlichen
Punkt der Löſung deckt Solger auf (Vorleſ. über Aeſth. S. 159—162.
vergl. mit S. 80 und mit Erwin Th. 1, S. 206. 207.), indem er den
Gegenſatz des claſſiſchen und romantiſchen Ideals herbeizieht. Die Ver-
wirrung kam auch dadurch, daß man die Frage über das Charakteriſtiſche
mit der Frage über Naturnachahmung vermengte: eine Vermengung, welche
nahe lag, weil der gewöhnlichen, nicht künſtleriſchen Anſchauung nur das
Individuum mit den Zufälligkeiten ſeiner ihm eigenen Züge ſinnlich gegeben
iſt. Allein dieſe Zufälligkeit ſelbſt, wie ſehr oder wie wenig ſie auch im
Schönen zugelaſſen ſeyn mag, liegt in der unmittelbaren Natur nicht
rein vor; auch ſie in ihrer Wahrheit zu ſehen, braucht es ein im Anblick
idealiſirendes Auge, und wenn ich daher dieſer Eigenheit der individuellen
Züge auch das vollſte Recht im Schönen geſtatte, ſo iſt dadurch die Frage
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gemacht; die Fragen ſind alſo total verſchieden.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/126>, abgerufen am 27.11.2024.
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