chen ganz selbständig bilden sollte. Freilich hatte man schon vor dieser Zeit vielfach versucht, die scheinbar so ab- weichenden Formen der Neubildungen auf physiologische Pa- radigmen zurückzuführen, und es ist dies ein wesentliches Verdienst der Naturphilosophen gewesen. In der Zeit, wo die Theromorphie eine grosse Rolle spielte und man in den pathologischen Processen vielfache Analogien mit den Zuständen niederer Thiere fand, hat man auch angefangen, Vergleichungen zwischen den Neubildungen und bekannten Theilen des Körpers zu machen. So sprach der alte J. F. Meckel von dem brustdrüsenartigen, dem pancreas-ar- tigen Sarkom. Was in neuester Zeit in Paris als Heterade- nie beschrieben ist, als eine heterologe Bildung von Drüsen- substanz, das war in der naturphilosophischen Schule eine ziemlich angenommene Thatsache.
Seitdem man die histologische Seite der Entwicklung zu verfolgen begonnen hat, hat man sich mehr und mehr überzeugt, dass die meisten Neubildungen Theile enthalten, welche irgend einem physiologischen Gewebe entsprechen, und in den mikrographischen Schulen des Westens ist man theilweise dabei stehen geblieben, dass es in der gan- zen Reihe von Neubildungen nur ein besonderes Gebilde gäbe, welches specifisch abweichend sei von den natürlichen Bildungen, nämlich den Krebs. Bei dem Krebs hat man wesentlich urgirt, dass er ganz und gar von den übrigen Geweben abweiche, Elemente sui generis enthalte, während man eigenthümlicher Weise das zweite Gebilde, das die Aelteren dem Krebsgewebe anzunähern pflegten, nämlich den Tuberkel, obwohl man für ihn kein Analogon fand, vielfach bei Seite liess, indem man ihn als ein unvollstän- diges, mehr rohes Product, als ein nicht recht zur Orga- nisation gekommenes Gebilde deutete. Wenn man jedoch den Krebs oder den Tuberkel sorgfältiger betrachtet, so kommt es auch hier nur darauf an, dass man dasjenige Entwicklungsstadium aufsucht, welches das Gebilde auf der Höhe seiner Gestaltung erblicken lässt. Man darf weder zu früh untersuchen, wo die Entwicklung unvollendet, noch zu spät, wo sie über ihr Höhen-Stadium hinausgerückt ist. Hält
Classification der Neoplasmen.
chen ganz selbständig bilden sollte. Freilich hatte man schon vor dieser Zeit vielfach versucht, die scheinbar so ab- weichenden Formen der Neubildungen auf physiologische Pa- radigmen zurückzuführen, und es ist dies ein wesentliches Verdienst der Naturphilosophen gewesen. In der Zeit, wo die Theromorphie eine grosse Rolle spielte und man in den pathologischen Processen vielfache Analogien mit den Zuständen niederer Thiere fand, hat man auch angefangen, Vergleichungen zwischen den Neubildungen und bekannten Theilen des Körpers zu machen. So sprach der alte J. F. Meckel von dem brustdrüsenartigen, dem pancreas-ar- tigen Sarkom. Was in neuester Zeit in Paris als Heterade- nie beschrieben ist, als eine heterologe Bildung von Drüsen- substanz, das war in der naturphilosophischen Schule eine ziemlich angenommene Thatsache.
Seitdem man die histologische Seite der Entwicklung zu verfolgen begonnen hat, hat man sich mehr und mehr überzeugt, dass die meisten Neubildungen Theile enthalten, welche irgend einem physiologischen Gewebe entsprechen, und in den mikrographischen Schulen des Westens ist man theilweise dabei stehen geblieben, dass es in der gan- zen Reihe von Neubildungen nur ein besonderes Gebilde gäbe, welches specifisch abweichend sei von den natürlichen Bildungen, nämlich den Krebs. Bei dem Krebs hat man wesentlich urgirt, dass er ganz und gar von den übrigen Geweben abweiche, Elemente sui generis enthalte, während man eigenthümlicher Weise das zweite Gebilde, das die Aelteren dem Krebsgewebe anzunähern pflegten, nämlich den Tuberkel, obwohl man für ihn kein Analogon fand, vielfach bei Seite liess, indem man ihn als ein unvollstän- diges, mehr rohes Product, als ein nicht recht zur Orga- nisation gekommenes Gebilde deutete. Wenn man jedoch den Krebs oder den Tuberkel sorgfältiger betrachtet, so kommt es auch hier nur darauf an, dass man dasjenige Entwicklungsstadium aufsucht, welches das Gebilde auf der Höhe seiner Gestaltung erblicken lässt. Man darf weder zu früh untersuchen, wo die Entwicklung unvollendet, noch zu spät, wo sie über ihr Höhen-Stadium hinausgerückt ist. Hält
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[55/0077]
Classification der Neoplasmen.
chen ganz selbständig bilden sollte. Freilich hatte man
schon vor dieser Zeit vielfach versucht, die scheinbar so ab-
weichenden Formen der Neubildungen auf physiologische Pa-
radigmen zurückzuführen, und es ist dies ein wesentliches
Verdienst der Naturphilosophen gewesen. In der Zeit, wo
die Theromorphie eine grosse Rolle spielte und man in
den pathologischen Processen vielfache Analogien mit den
Zuständen niederer Thiere fand, hat man auch angefangen,
Vergleichungen zwischen den Neubildungen und bekannten
Theilen des Körpers zu machen. So sprach der alte J.
F. Meckel von dem brustdrüsenartigen, dem pancreas-ar-
tigen Sarkom. Was in neuester Zeit in Paris als Heterade-
nie beschrieben ist, als eine heterologe Bildung von Drüsen-
substanz, das war in der naturphilosophischen Schule eine
ziemlich angenommene Thatsache.
Seitdem man die histologische Seite der Entwicklung
zu verfolgen begonnen hat, hat man sich mehr und mehr
überzeugt, dass die meisten Neubildungen Theile enthalten,
welche irgend einem physiologischen Gewebe entsprechen,
und in den mikrographischen Schulen des Westens ist
man theilweise dabei stehen geblieben, dass es in der gan-
zen Reihe von Neubildungen nur ein besonderes Gebilde
gäbe, welches specifisch abweichend sei von den natürlichen
Bildungen, nämlich den Krebs. Bei dem Krebs hat man
wesentlich urgirt, dass er ganz und gar von den übrigen
Geweben abweiche, Elemente sui generis enthalte, während
man eigenthümlicher Weise das zweite Gebilde, das die
Aelteren dem Krebsgewebe anzunähern pflegten, nämlich
den Tuberkel, obwohl man für ihn kein Analogon fand,
vielfach bei Seite liess, indem man ihn als ein unvollstän-
diges, mehr rohes Product, als ein nicht recht zur Orga-
nisation gekommenes Gebilde deutete. Wenn man jedoch
den Krebs oder den Tuberkel sorgfältiger betrachtet, so
kommt es auch hier nur darauf an, dass man dasjenige
Entwicklungsstadium aufsucht, welches das Gebilde auf der
Höhe seiner Gestaltung erblicken lässt. Man darf weder zu
früh untersuchen, wo die Entwicklung unvollendet, noch zu
spät, wo sie über ihr Höhen-Stadium hinausgerückt ist. Hält
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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/77>, abgerufen am 16.02.2025.
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