bald mehr, bald weniger beweglichen Inhalt gefüllt seien; allein diese Vorstellung, so bequem sie für eine oberflächliche An- schauung ist, genügt deshalb nicht, weil wir den Inhalt der Röhren nicht einfach gleich setzen können.
Das Blut, welches in den Gefässen enthalten ist, lässt sich vor der Hand wenigstens nicht als ein Analogon des Axen- cylinders oder des Markes einer Nervenröhre oder der con- tractilen Substanz eines Muskelprimitivbündels betrachten. Freilich muss ich hier bemerken, dass gerade die Entwicklung aller Gebilde, welche in dieser Gruppe zusammengefasst wer- den können, immer noch ein Gegenstand grosser Differenzen ist, und dass die Ansicht über den elementaren Ausgangspunkt der meisten dieser Elemente keinesweges gesichert ist. So viel scheint indess sicher zu sein, dass wenn wir die fötalen Theile ins Auge fassen, die Blutkörperchen ebenso gut Zellen sind, wie die einzelnen Theile der Gefässwand, innerhalb deren das Blut strömt, und dass man das Gefäss nicht als eine Röhre bezeichnen kann, welche die Blutkörperchen umfasst, wie die Zellenmembran ihren Inhalt. Deshalb ist es nothwen- dig, dass man bei den Gefässen den Inhalt von der eigent- lichen Wand scheidet und die Aehnlichkeit der Gefässe mit den Nerven und Muskelfasern zurückweist. Wollte man nun die Ausgangspunkte der einzelnen Gewebe als Maassstab der Classification annehmen, so würde man nach den gegenwär- tigen Anschauungen zum Blute auch die Lymphdrüsen hinzu- zunehmen haben, und man könnte eher an ein Verhältniss erinnert werden, wie wir es bei den Epithelialformationen ange- troffen haben. Allein ich muss hier nochmals hervorheben, dass die Lymphdrüsen sich von den eigentlichen Drüsen nicht allein dadurch unterscheiden, dass sie keinen Ausführungsgang im gewöhnlichen Sinne des Wortes besitzen, sondern dass sie auch ihrer Entwicklung nach keineswegs auf einer Höhe mit den gewöhnlichen Drüsen stehen, vielmehr in ihrer ganzen Ge- schichte sich anschliessen an die Gewebe der Bindesubstanz, und dass man daher eher versucht sein kann, sie mit zu den Geweben zu rechnen, welche als Producte der Umwandlung der Bindesubstanz erscheinen. Doch würde dies im gegen-
Die höheren thierischen Gewebe.
bald mehr, bald weniger beweglichen Inhalt gefüllt seien; allein diese Vorstellung, so bequem sie für eine oberflächliche An- schauung ist, genügt deshalb nicht, weil wir den Inhalt der Röhren nicht einfach gleich setzen können.
Das Blut, welches in den Gefässen enthalten ist, lässt sich vor der Hand wenigstens nicht als ein Analogon des Axen- cylinders oder des Markes einer Nervenröhre oder der con- tractilen Substanz eines Muskelprimitivbündels betrachten. Freilich muss ich hier bemerken, dass gerade die Entwicklung aller Gebilde, welche in dieser Gruppe zusammengefasst wer- den können, immer noch ein Gegenstand grosser Differenzen ist, und dass die Ansicht über den elementaren Ausgangspunkt der meisten dieser Elemente keinesweges gesichert ist. So viel scheint indess sicher zu sein, dass wenn wir die fötalen Theile ins Auge fassen, die Blutkörperchen ebenso gut Zellen sind, wie die einzelnen Theile der Gefässwand, innerhalb deren das Blut strömt, und dass man das Gefäss nicht als eine Röhre bezeichnen kann, welche die Blutkörperchen umfasst, wie die Zellenmembran ihren Inhalt. Deshalb ist es nothwen- dig, dass man bei den Gefässen den Inhalt von der eigent- lichen Wand scheidet und die Aehnlichkeit der Gefässe mit den Nerven und Muskelfasern zurückweist. Wollte man nun die Ausgangspunkte der einzelnen Gewebe als Maassstab der Classification annehmen, so würde man nach den gegenwär- tigen Anschauungen zum Blute auch die Lymphdrüsen hinzu- zunehmen haben, und man könnte eher an ein Verhältniss erinnert werden, wie wir es bei den Epithelialformationen ange- troffen haben. Allein ich muss hier nochmals hervorheben, dass die Lymphdrüsen sich von den eigentlichen Drüsen nicht allein dadurch unterscheiden, dass sie keinen Ausführungsgang im gewöhnlichen Sinne des Wortes besitzen, sondern dass sie auch ihrer Entwicklung nach keineswegs auf einer Höhe mit den gewöhnlichen Drüsen stehen, vielmehr in ihrer ganzen Ge- schichte sich anschliessen an die Gewebe der Bindesubstanz, und dass man daher eher versucht sein kann, sie mit zu den Geweben zu rechnen, welche als Producte der Umwandlung der Bindesubstanz erscheinen. Doch würde dies im gegen-
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Die höheren thierischen Gewebe.
bald mehr, bald weniger beweglichen Inhalt gefüllt seien; allein
diese Vorstellung, so bequem sie für eine oberflächliche An-
schauung ist, genügt deshalb nicht, weil wir den Inhalt der
Röhren nicht einfach gleich setzen können.
Das Blut, welches in den Gefässen enthalten ist, lässt sich
vor der Hand wenigstens nicht als ein Analogon des Axen-
cylinders oder des Markes einer Nervenröhre oder der con-
tractilen Substanz eines Muskelprimitivbündels betrachten.
Freilich muss ich hier bemerken, dass gerade die Entwicklung
aller Gebilde, welche in dieser Gruppe zusammengefasst wer-
den können, immer noch ein Gegenstand grosser Differenzen
ist, und dass die Ansicht über den elementaren Ausgangspunkt
der meisten dieser Elemente keinesweges gesichert ist. So
viel scheint indess sicher zu sein, dass wenn wir die fötalen
Theile ins Auge fassen, die Blutkörperchen ebenso gut Zellen
sind, wie die einzelnen Theile der Gefässwand, innerhalb
deren das Blut strömt, und dass man das Gefäss nicht als eine
Röhre bezeichnen kann, welche die Blutkörperchen umfasst,
wie die Zellenmembran ihren Inhalt. Deshalb ist es nothwen-
dig, dass man bei den Gefässen den Inhalt von der eigent-
lichen Wand scheidet und die Aehnlichkeit der Gefässe mit
den Nerven und Muskelfasern zurückweist. Wollte man nun
die Ausgangspunkte der einzelnen Gewebe als Maassstab der
Classification annehmen, so würde man nach den gegenwär-
tigen Anschauungen zum Blute auch die Lymphdrüsen hinzu-
zunehmen haben, und man könnte eher an ein Verhältniss
erinnert werden, wie wir es bei den Epithelialformationen ange-
troffen haben. Allein ich muss hier nochmals hervorheben,
dass die Lymphdrüsen sich von den eigentlichen Drüsen nicht
allein dadurch unterscheiden, dass sie keinen Ausführungsgang
im gewöhnlichen Sinne des Wortes besitzen, sondern dass sie
auch ihrer Entwicklung nach keineswegs auf einer Höhe mit
den gewöhnlichen Drüsen stehen, vielmehr in ihrer ganzen Ge-
schichte sich anschliessen an die Gewebe der Bindesubstanz,
und dass man daher eher versucht sein kann, sie mit zu den
Geweben zu rechnen, welche als Producte der Umwandlung
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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/67>, abgerufen am 24.11.2024.
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