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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Keimgewebe.
oder vom Bindegewebe darunter sich entwickeln müssen, so
würde er auch gewiss zu dem Schlusse gekommen sein, dass
die Schleim- und Eiterkörperchen, welche nicht von einer
ulcerirenden Oberfläche abgesondert werden, als unmittelbare
Abkömmlinge von praeexistirenden Elementen hergeleitet wer-
den müssen.

So nahe war man damals schon dem richtigen Gesichts-
punkte, allein die Blastemtheorie beherrschte die Geister,
und wir Alle standen damals unter ihrer Einwirkung. Auch
erschien es unmöglich, überall im Innern der Gewebe die er-
forderlichen Vorgebilde aufzuweisen. Erst durch den Nach-
weis zelliger Elemente im Bindegewebe wurde die Möglich-
keit gegeben, eine Art von Keimgewebe aufzuweisen, welches
überall vorhanden ist, und von dem an den verschiedensten
Organen gleichartige Entwickelungen ausgehen können Jetzt,
wo wir wissen, dass Bindegewebe im Gehirn, in der Leber,
in den Nieren, im Muskelfleisch, dem Knorpel, der Haut und
so fort existirt, jetzt hat es natürlich keine Schwierigkeit, zu
begreifen, dass in allen diesen scheinbar verschiedenartigen
Gebilden dasselbe pathologische Product entstehen kann.
Man braucht dazu keineswegs irgend ein specifisches Blastem,
welches in alle diese Theile abgelagert wird, sondern nur
einen gleichartigen Reiz für das Bindegewebe verschiede-
ner Orte.

Was nun das Specielle dieser Dinge anbetrifft, so er-
lauben Sie, dass ich Ihnen zunächst ein concretes Beispiel
der normalen Entwickelung vorführe, welches vielleicht am
besten geeignet sein wird, Ihnen ein Bild der Vorgänge zu
geben, um welche es sich hier handelt. Ich wähle dasjenige,
an welchem an sich der Gang der Entwickelung am besten
gekannt ist, und welches zugleich seiner besonderen Einrich-
tung wegen am wenigsten Missdeutungen zulässt, nämlich
die Knochen. Sie sind hart und dick genug, als dass man
in dem eigentlichen Parenchym noch von Blastem oder Exsu-
dat reden könnte. Das Wachsthum der Knochen gibt uns
zugleich unmittelbar Aufschlüsse über alle die verschiedenen
Neubildungen, welche innerhalb der Knochen in späteren
Zeiten vor sich gehen können, denn jede Art von Neubildung

Keimgewebe.
oder vom Bindegewebe darunter sich entwickeln müssen, so
würde er auch gewiss zu dem Schlusse gekommen sein, dass
die Schleim- und Eiterkörperchen, welche nicht von einer
ulcerirenden Oberfläche abgesondert werden, als unmittelbare
Abkömmlinge von praeexistirenden Elementen hergeleitet wer-
den müssen.

So nahe war man damals schon dem richtigen Gesichts-
punkte, allein die Blastemtheorie beherrschte die Geister,
und wir Alle standen damals unter ihrer Einwirkung. Auch
erschien es unmöglich, überall im Innern der Gewebe die er-
forderlichen Vorgebilde aufzuweisen. Erst durch den Nach-
weis zelliger Elemente im Bindegewebe wurde die Möglich-
keit gegeben, eine Art von Keimgewebe aufzuweisen, welches
überall vorhanden ist, und von dem an den verschiedensten
Organen gleichartige Entwickelungen ausgehen können Jetzt,
wo wir wissen, dass Bindegewebe im Gehirn, in der Leber,
in den Nieren, im Muskelfleisch, dem Knorpel, der Haut und
so fort existirt, jetzt hat es natürlich keine Schwierigkeit, zu
begreifen, dass in allen diesen scheinbar verschiedenartigen
Gebilden dasselbe pathologische Product entstehen kann.
Man braucht dazu keineswegs irgend ein specifisches Blastem,
welches in alle diese Theile abgelagert wird, sondern nur
einen gleichartigen Reiz für das Bindegewebe verschiede-
ner Orte.

Was nun das Specielle dieser Dinge anbetrifft, so er-
lauben Sie, dass ich Ihnen zunächst ein concretes Beispiel
der normalen Entwickelung vorführe, welches vielleicht am
besten geeignet sein wird, Ihnen ein Bild der Vorgänge zu
geben, um welche es sich hier handelt. Ich wähle dasjenige,
an welchem an sich der Gang der Entwickelung am besten
gekannt ist, und welches zugleich seiner besonderen Einrich-
tung wegen am wenigsten Missdeutungen zulässt, nämlich
die Knochen. Sie sind hart und dick genug, als dass man
in dem eigentlichen Parenchym noch von Blastem oder Exsu-
dat reden könnte. Das Wachsthum der Knochen gibt uns
zugleich unmittelbar Aufschlüsse über alle die verschiedenen
Neubildungen, welche innerhalb der Knochen in späteren
Zeiten vor sich gehen können, denn jede Art von Neubildung

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[363/0385] Keimgewebe. oder vom Bindegewebe darunter sich entwickeln müssen, so würde er auch gewiss zu dem Schlusse gekommen sein, dass die Schleim- und Eiterkörperchen, welche nicht von einer ulcerirenden Oberfläche abgesondert werden, als unmittelbare Abkömmlinge von praeexistirenden Elementen hergeleitet wer- den müssen. So nahe war man damals schon dem richtigen Gesichts- punkte, allein die Blastemtheorie beherrschte die Geister, und wir Alle standen damals unter ihrer Einwirkung. Auch erschien es unmöglich, überall im Innern der Gewebe die er- forderlichen Vorgebilde aufzuweisen. Erst durch den Nach- weis zelliger Elemente im Bindegewebe wurde die Möglich- keit gegeben, eine Art von Keimgewebe aufzuweisen, welches überall vorhanden ist, und von dem an den verschiedensten Organen gleichartige Entwickelungen ausgehen können Jetzt, wo wir wissen, dass Bindegewebe im Gehirn, in der Leber, in den Nieren, im Muskelfleisch, dem Knorpel, der Haut und so fort existirt, jetzt hat es natürlich keine Schwierigkeit, zu begreifen, dass in allen diesen scheinbar verschiedenartigen Gebilden dasselbe pathologische Product entstehen kann. Man braucht dazu keineswegs irgend ein specifisches Blastem, welches in alle diese Theile abgelagert wird, sondern nur einen gleichartigen Reiz für das Bindegewebe verschiede- ner Orte. Was nun das Specielle dieser Dinge anbetrifft, so er- lauben Sie, dass ich Ihnen zunächst ein concretes Beispiel der normalen Entwickelung vorführe, welches vielleicht am besten geeignet sein wird, Ihnen ein Bild der Vorgänge zu geben, um welche es sich hier handelt. Ich wähle dasjenige, an welchem an sich der Gang der Entwickelung am besten gekannt ist, und welches zugleich seiner besonderen Einrich- tung wegen am wenigsten Missdeutungen zulässt, nämlich die Knochen. Sie sind hart und dick genug, als dass man in dem eigentlichen Parenchym noch von Blastem oder Exsu- dat reden könnte. Das Wachsthum der Knochen gibt uns zugleich unmittelbar Aufschlüsse über alle die verschiedenen Neubildungen, welche innerhalb der Knochen in späteren Zeiten vor sich gehen können, denn jede Art von Neubildung

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/385>, abgerufen am 24.11.2024.