ger; ich sage nicht ein falscher, weil er eben nur falsch ist in seiner Exclusion; er muss zurückgeführt werden auf gewisse Grenzen, und man muss sich erinnern, dass neben Gefässen und Blut, neben Nerven und Centralapparaten noch andere Dinge existiren, die nicht ein blosses Substrat der Einwirkung von Nerven und Blut sind, auf welchem diese ihr Wesen treiben.
Wenn man nun fordert, dass die medicinischen An- schauungen auch auf dieses Gebiet sich übertragen sollen, wenn man andererseits verlangt, dass auch innerhalb der humoral- und neuropathologischen Vorstellungen man sich schliesslich erinnern soll, dass das Blut aus vielen einzelnen für sich bestehenden Theilen besteht, dass das Nervensystem aus vielen Sonderbestandtheilen zusammenge- setzt ist, so ist dies eine Forderung, die freilich auf den ersten Blick manche Schwierigkeiten bietet. Aber wenn Sie sich erinnern, dass man Jahre lang nicht bloss in den Vor- lesungen, sondern auch am Krankenbette von der Thätig- keit der Capillaren gesprochen hat, einer Thätigkeit, die Niemand gesehen hat, die eben nur auf bestimmte Doctri- nen hin angenommen worden ist, so werden Sie es nicht unbillig finden, dass Dinge, die wirklich zu sehen sind, ja die, wenn man sich übt, selbst dem unbewaffneten Auge nicht selten zugängig sind, gleichfalls in den Kreis des ärztlichen Wissens und Denkens aufgenommen werden. Von Nerven hat man nicht nur gesprochen, wo sie nicht dar- gestellt waren; man hat sie einfach supponirt, selbst in Theilen, wo bei den sorgfältigsten Untersuchungen sich nichts von ihnen hat nachweisen lassen; man hat sie wirk- sam sein lassen an Punkten, wohin sie überhaupt gar nicht vordringen. So ist es denn gewiss eine billige Forderung, dass dem grösseren Theile des Körpers eine gewisse An- erkennung werde, und wenn diese Anerkennung zugestanden wird, dass man sich nicht mehr mit der blossen Ansicht der Nerven als ganzer Theile, als eines zusammenhängen- den einfachen Apparates, oder des Blutes als eines blos flüs- sigen Stoffes begnüge, sondern dass man auch innerhalb des Blu-
Erste Vorlesung.
ger; ich sage nicht ein falscher, weil er eben nur falsch ist in seiner Exclusion; er muss zurückgeführt werden auf gewisse Grenzen, und man muss sich erinnern, dass neben Gefässen und Blut, neben Nerven und Centralapparaten noch andere Dinge existiren, die nicht ein blosses Substrat der Einwirkung von Nerven und Blut sind, auf welchem diese ihr Wesen treiben.
Wenn man nun fordert, dass die medicinischen An- schauungen auch auf dieses Gebiet sich übertragen sollen, wenn man andererseits verlangt, dass auch innerhalb der humoral- und neuropathologischen Vorstellungen man sich schliesslich erinnern soll, dass das Blut aus vielen einzelnen für sich bestehenden Theilen besteht, dass das Nervensystem aus vielen Sonderbestandtheilen zusammenge- setzt ist, so ist dies eine Forderung, die freilich auf den ersten Blick manche Schwierigkeiten bietet. Aber wenn Sie sich erinnern, dass man Jahre lang nicht bloss in den Vor- lesungen, sondern auch am Krankenbette von der Thätig- keit der Capillaren gesprochen hat, einer Thätigkeit, die Niemand gesehen hat, die eben nur auf bestimmte Doctri- nen hin angenommen worden ist, so werden Sie es nicht unbillig finden, dass Dinge, die wirklich zu sehen sind, ja die, wenn man sich übt, selbst dem unbewaffneten Auge nicht selten zugängig sind, gleichfalls in den Kreis des ärztlichen Wissens und Denkens aufgenommen werden. Von Nerven hat man nicht nur gesprochen, wo sie nicht dar- gestellt waren; man hat sie einfach supponirt, selbst in Theilen, wo bei den sorgfältigsten Untersuchungen sich nichts von ihnen hat nachweisen lassen; man hat sie wirk- sam sein lassen an Punkten, wohin sie überhaupt gar nicht vordringen. So ist es denn gewiss eine billige Forderung, dass dem grösseren Theile des Körpers eine gewisse An- erkennung werde, und wenn diese Anerkennung zugestanden wird, dass man sich nicht mehr mit der blossen Ansicht der Nerven als ganzer Theile, als eines zusammenhängen- den einfachen Apparates, oder des Blutes als eines blos flüs- sigen Stoffes begnüge, sondern dass man auch innerhalb des Blu-
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[16/0038]
Erste Vorlesung.
ger; ich sage nicht ein falscher, weil er eben nur falsch
ist in seiner Exclusion; er muss zurückgeführt werden auf
gewisse Grenzen, und man muss sich erinnern, dass neben
Gefässen und Blut, neben Nerven und Centralapparaten noch
andere Dinge existiren, die nicht ein blosses Substrat der
Einwirkung von Nerven und Blut sind, auf welchem diese
ihr Wesen treiben.
Wenn man nun fordert, dass die medicinischen An-
schauungen auch auf dieses Gebiet sich übertragen sollen,
wenn man andererseits verlangt, dass auch innerhalb der
humoral- und neuropathologischen Vorstellungen man sich
schliesslich erinnern soll, dass das Blut aus vielen
einzelnen für sich bestehenden Theilen besteht, dass das
Nervensystem aus vielen Sonderbestandtheilen zusammenge-
setzt ist, so ist dies eine Forderung, die freilich auf den
ersten Blick manche Schwierigkeiten bietet. Aber wenn Sie
sich erinnern, dass man Jahre lang nicht bloss in den Vor-
lesungen, sondern auch am Krankenbette von der Thätig-
keit der Capillaren gesprochen hat, einer Thätigkeit, die
Niemand gesehen hat, die eben nur auf bestimmte Doctri-
nen hin angenommen worden ist, so werden Sie es nicht
unbillig finden, dass Dinge, die wirklich zu sehen sind, ja
die, wenn man sich übt, selbst dem unbewaffneten Auge
nicht selten zugängig sind, gleichfalls in den Kreis des
ärztlichen Wissens und Denkens aufgenommen werden. Von
Nerven hat man nicht nur gesprochen, wo sie nicht dar-
gestellt waren; man hat sie einfach supponirt, selbst in
Theilen, wo bei den sorgfältigsten Untersuchungen sich
nichts von ihnen hat nachweisen lassen; man hat sie wirk-
sam sein lassen an Punkten, wohin sie überhaupt gar nicht
vordringen. So ist es denn gewiss eine billige Forderung,
dass dem grösseren Theile des Körpers eine gewisse An-
erkennung werde, und wenn diese Anerkennung zugestanden
wird, dass man sich nicht mehr mit der blossen Ansicht
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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/38>, abgerufen am 24.11.2024.
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