ihre specielle Function einbüssen, dass z. B. Drüsenzellen, welche auf diese Weise verändert werden, nicht mehr im Stande sind, ihre besondere Drüsenfunction zu versehen, dass Gefässe nicht mehr der Ernährung der Gewebe oder der Ab- sonderung der Flüssigkeiten, für welche sie sonst bestimmt sind, dienen können.
Aus diesen Erwägungen erklärt es sich leicht, dass kli- nische Störungen so regelmässig mit diesen anatomischen zu- sammentreffen. Wir finden einerseits ausgesprochene Zustände der Cachexie, andererseits die überaus häufige Erscheinung von Hydropsie mit der ganzen Complication von Veränderun- gen, wie sie gewöhnlich unter dem Bilde der Brightschen Krankheit zusammengefasst wird. Fast jedesmal, wo eine solche Erkrankung einen höheren Grad erreicht, befinden sich die Kranken in einem hohen Grade von Marasmus. Es gibt Fälle, wo die ganze Ausdehnung des Digestionstractus von der Mundhöhle bis zum After keine einzige Arterie besitzt, welche nicht in dieser Erkrankung sich befände, wo jeder Theil des Oesophagus, des Magens, des Dünn- und Dickdarmes die kleinen Arterien der Oberfläche in dieser Weise verändert zeigt.
Es ist dies gerade in sofern eine äusserst wichtige That- sache, als diese Art von Umwandlung, die für die Function so entscheidend ist (Mangel an Resorption, Neigung zu Diar- rhoe), für das blosse Auge fast gar keinen erkennbaren Ef- fect gibt. Die Theile sind blass und haben ein graues durch- scheinendes, zuweilen leicht wachsartiges Aussehen; allein dies ist doch so wenig charakteristisch, dass man nicht mit Sicher- heit daraus einen Rückschluss auf die inneren Veränderungen machen kann und dass die einzige Möglichkeit einer Erkennt- niss, wenn man kein Mikroskop zur Hand hat, in der directen Application des Reagens besteht. Man braucht nur etwas Jod auf die Fläche aufzutupfen, so sieht man bald eine Reihe von dicht stehenden, gelbrothen Flecken entstehen, während die zwischenliegende Schleimhaut einfach gelb erscheint. Diese rothen Punkte sind die Zotten des Darmes; nimmt man eine davon unter das Mikroskop, so sieht man die Wand der klei-
Siebzehnte Vorlesung.
ihre specielle Function einbüssen, dass z. B. Drüsenzellen, welche auf diese Weise verändert werden, nicht mehr im Stande sind, ihre besondere Drüsenfunction zu versehen, dass Gefässe nicht mehr der Ernährung der Gewebe oder der Ab- sonderung der Flüssigkeiten, für welche sie sonst bestimmt sind, dienen können.
Aus diesen Erwägungen erklärt es sich leicht, dass kli- nische Störungen so regelmässig mit diesen anatomischen zu- sammentreffen. Wir finden einerseits ausgesprochene Zustände der Cachexie, andererseits die überaus häufige Erscheinung von Hydropsie mit der ganzen Complication von Veränderun- gen, wie sie gewöhnlich unter dem Bilde der Brightschen Krankheit zusammengefasst wird. Fast jedesmal, wo eine solche Erkrankung einen höheren Grad erreicht, befinden sich die Kranken in einem hohen Grade von Marasmus. Es gibt Fälle, wo die ganze Ausdehnung des Digestionstractus von der Mundhöhle bis zum After keine einzige Arterie besitzt, welche nicht in dieser Erkrankung sich befände, wo jeder Theil des Oesophagus, des Magens, des Dünn- und Dickdarmes die kleinen Arterien der Oberfläche in dieser Weise verändert zeigt.
Es ist dies gerade in sofern eine äusserst wichtige That- sache, als diese Art von Umwandlung, die für die Function so entscheidend ist (Mangel an Resorption, Neigung zu Diar- rhoe), für das blosse Auge fast gar keinen erkennbaren Ef- fect gibt. Die Theile sind blass und haben ein graues durch- scheinendes, zuweilen leicht wachsartiges Aussehen; allein dies ist doch so wenig charakteristisch, dass man nicht mit Sicher- heit daraus einen Rückschluss auf die inneren Veränderungen machen kann und dass die einzige Möglichkeit einer Erkennt- niss, wenn man kein Mikroskop zur Hand hat, in der directen Application des Reagens besteht. Man braucht nur etwas Jod auf die Fläche aufzutupfen, so sieht man bald eine Reihe von dicht stehenden, gelbrothen Flecken entstehen, während die zwischenliegende Schleimhaut einfach gelb erscheint. Diese rothen Punkte sind die Zotten des Darmes; nimmt man eine davon unter das Mikroskop, so sieht man die Wand der klei-
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Siebzehnte Vorlesung.
ihre specielle Function einbüssen, dass z. B. Drüsenzellen,
welche auf diese Weise verändert werden, nicht mehr im
Stande sind, ihre besondere Drüsenfunction zu versehen, dass
Gefässe nicht mehr der Ernährung der Gewebe oder der Ab-
sonderung der Flüssigkeiten, für welche sie sonst bestimmt
sind, dienen können.
Aus diesen Erwägungen erklärt es sich leicht, dass kli-
nische Störungen so regelmässig mit diesen anatomischen zu-
sammentreffen. Wir finden einerseits ausgesprochene Zustände
der Cachexie, andererseits die überaus häufige Erscheinung
von Hydropsie mit der ganzen Complication von Veränderun-
gen, wie sie gewöhnlich unter dem Bilde der Brightschen
Krankheit zusammengefasst wird. Fast jedesmal, wo eine
solche Erkrankung einen höheren Grad erreicht, befinden sich
die Kranken in einem hohen Grade von Marasmus. Es gibt
Fälle, wo die ganze Ausdehnung des Digestionstractus von der
Mundhöhle bis zum After keine einzige Arterie besitzt, welche
nicht in dieser Erkrankung sich befände, wo jeder Theil des
Oesophagus, des Magens, des Dünn- und Dickdarmes die
kleinen Arterien der Oberfläche in dieser Weise verändert
zeigt.
Es ist dies gerade in sofern eine äusserst wichtige That-
sache, als diese Art von Umwandlung, die für die Function
so entscheidend ist (Mangel an Resorption, Neigung zu Diar-
rhoe), für das blosse Auge fast gar keinen erkennbaren Ef-
fect gibt. Die Theile sind blass und haben ein graues durch-
scheinendes, zuweilen leicht wachsartiges Aussehen; allein dies
ist doch so wenig charakteristisch, dass man nicht mit Sicher-
heit daraus einen Rückschluss auf die inneren Veränderungen
machen kann und dass die einzige Möglichkeit einer Erkennt-
niss, wenn man kein Mikroskop zur Hand hat, in der directen
Application des Reagens besteht. Man braucht nur etwas Jod
auf die Fläche aufzutupfen, so sieht man bald eine Reihe von
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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/362>, abgerufen am 24.11.2024.
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