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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Entzündliche Fettentartung.
bildet sich ein Heerd, welcher sich nie wieder mit Nerven-
masse ausfüllt, sondern wo vielleicht eine einfache Flüssigkeit
die fehlenden Gewebe ersetzt; von irgend einer Herstel-
lung eines neuen, functionell wirksamen Theiles kann niemals
die Rede sein.

So müssen Sie es sich erklären, dass scheinbar sehr ähn-
liche Zustände, welche man vom pathologisch-anatomischen
Standpunkte aus als identisch erklärt, vom klinischen Stand-
punkte aus weit auseinander liegen; dass man an analogen
Theilen dieselben Formen von Veränderungen trifft, ohne dass
doch der Prozess, welchem sie angehören, derselbe war. Wenn
ein Muskel direct fettig degenerirt, so kann das Primitivbündel
ebenso aussehen, als wenn eine Entzündung oder eine dauernde
Spannung darauf eingewirkt hat. Die Myocarditis erzeugt ganz
analoge Formen der fettigen Degeneration innerhalb des Herz-
fleisches, wie die übermässige Dilatation der Herzhöhlen. Wenn
eine der letzteren z. B. durch Hemmung des Blutstromes oder
Insufficienz der Klappen dauernd sehr ausgespannt wird, so
tritt an dem am meisten gespannten Theile constant eine fettige
Degeneration des Muskelfleisches ein. Diese Form gleicht
morphologisch vollständig den Anfangsstadien der Myocarditis,
und in vielen Fällen ist überhaupt gar nicht mit Sicherheit zu
sagen, auf welche Weise der Prozess entstanden sein mag.

Ich habe, um Ihnen diese Schwierigkeiten in einem wich-
tigen und zugleich vielfach missverstandenen Prozesse etwas
klarer zu machen, eine Reihe von Präparaten von eigentlich
atheromatösen Zuständen der Arterien
angefertigt.
Gerade bei diesen ist die Confusion über die Deutung der
Veränderung vielleicht am grössten gewesen.

Zu keiner Zeit im Laufe dieses Jahrhunderts hat man sich
vollständig über das geeinigt, was man unter dem Ausdrucke
der atheromatösen Veränderung an einem Gefässe verstehen
wollte. Der Eine hat den Begriff weiter, der Andere hat ihn
enger gefasst, und doch ist er vielleicht von Allen zu weit ge-
fasst worden. Als nämlich die Anatomen des vorigen Jahr-
hunderts den Namen des Atheroms auf eine bestimmte Verän-
derung der Arterienhäute anwandten, hatten sie natürlich im
Sinne einen ähnlichen Zustand, wie derjenige ist, welchen man

Entzündliche Fettentartung.
bildet sich ein Heerd, welcher sich nie wieder mit Nerven-
masse ausfüllt, sondern wo vielleicht eine einfache Flüssigkeit
die fehlenden Gewebe ersetzt; von irgend einer Herstel-
lung eines neuen, functionell wirksamen Theiles kann niemals
die Rede sein.

So müssen Sie es sich erklären, dass scheinbar sehr ähn-
liche Zustände, welche man vom pathologisch-anatomischen
Standpunkte aus als identisch erklärt, vom klinischen Stand-
punkte aus weit auseinander liegen; dass man an analogen
Theilen dieselben Formen von Veränderungen trifft, ohne dass
doch der Prozess, welchem sie angehören, derselbe war. Wenn
ein Muskel direct fettig degenerirt, so kann das Primitivbündel
ebenso aussehen, als wenn eine Entzündung oder eine dauernde
Spannung darauf eingewirkt hat. Die Myocarditis erzeugt ganz
analoge Formen der fettigen Degeneration innerhalb des Herz-
fleisches, wie die übermässige Dilatation der Herzhöhlen. Wenn
eine der letzteren z. B. durch Hemmung des Blutstromes oder
Insufficienz der Klappen dauernd sehr ausgespannt wird, so
tritt an dem am meisten gespannten Theile constant eine fettige
Degeneration des Muskelfleisches ein. Diese Form gleicht
morphologisch vollständig den Anfangsstadien der Myocarditis,
und in vielen Fällen ist überhaupt gar nicht mit Sicherheit zu
sagen, auf welche Weise der Prozess entstanden sein mag.

Ich habe, um Ihnen diese Schwierigkeiten in einem wich-
tigen und zugleich vielfach missverstandenen Prozesse etwas
klarer zu machen, eine Reihe von Präparaten von eigentlich
atheromatösen Zuständen der Arterien
angefertigt.
Gerade bei diesen ist die Confusion über die Deutung der
Veränderung vielleicht am grössten gewesen.

Zu keiner Zeit im Laufe dieses Jahrhunderts hat man sich
vollständig über das geeinigt, was man unter dem Ausdrucke
der atheromatösen Veränderung an einem Gefässe verstehen
wollte. Der Eine hat den Begriff weiter, der Andere hat ihn
enger gefasst, und doch ist er vielleicht von Allen zu weit ge-
fasst worden. Als nämlich die Anatomen des vorigen Jahr-
hunderts den Namen des Atheroms auf eine bestimmte Verän-
derung der Arterienhäute anwandten, hatten sie natürlich im
Sinne einen ähnlichen Zustand, wie derjenige ist, welchen man

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[317/0339] Entzündliche Fettentartung. bildet sich ein Heerd, welcher sich nie wieder mit Nerven- masse ausfüllt, sondern wo vielleicht eine einfache Flüssigkeit die fehlenden Gewebe ersetzt; von irgend einer Herstel- lung eines neuen, functionell wirksamen Theiles kann niemals die Rede sein. So müssen Sie es sich erklären, dass scheinbar sehr ähn- liche Zustände, welche man vom pathologisch-anatomischen Standpunkte aus als identisch erklärt, vom klinischen Stand- punkte aus weit auseinander liegen; dass man an analogen Theilen dieselben Formen von Veränderungen trifft, ohne dass doch der Prozess, welchem sie angehören, derselbe war. Wenn ein Muskel direct fettig degenerirt, so kann das Primitivbündel ebenso aussehen, als wenn eine Entzündung oder eine dauernde Spannung darauf eingewirkt hat. Die Myocarditis erzeugt ganz analoge Formen der fettigen Degeneration innerhalb des Herz- fleisches, wie die übermässige Dilatation der Herzhöhlen. Wenn eine der letzteren z. B. durch Hemmung des Blutstromes oder Insufficienz der Klappen dauernd sehr ausgespannt wird, so tritt an dem am meisten gespannten Theile constant eine fettige Degeneration des Muskelfleisches ein. Diese Form gleicht morphologisch vollständig den Anfangsstadien der Myocarditis, und in vielen Fällen ist überhaupt gar nicht mit Sicherheit zu sagen, auf welche Weise der Prozess entstanden sein mag. Ich habe, um Ihnen diese Schwierigkeiten in einem wich- tigen und zugleich vielfach missverstandenen Prozesse etwas klarer zu machen, eine Reihe von Präparaten von eigentlich atheromatösen Zuständen der Arterien angefertigt. Gerade bei diesen ist die Confusion über die Deutung der Veränderung vielleicht am grössten gewesen. Zu keiner Zeit im Laufe dieses Jahrhunderts hat man sich vollständig über das geeinigt, was man unter dem Ausdrucke der atheromatösen Veränderung an einem Gefässe verstehen wollte. Der Eine hat den Begriff weiter, der Andere hat ihn enger gefasst, und doch ist er vielleicht von Allen zu weit ge- fasst worden. Als nämlich die Anatomen des vorigen Jahr- hunderts den Namen des Atheroms auf eine bestimmte Verän- derung der Arterienhäute anwandten, hatten sie natürlich im Sinne einen ähnlichen Zustand, wie derjenige ist, welchen man

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/339>, abgerufen am 17.07.2024.