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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Fettentartung als Folge activer Prozesse.
habe, gerade eins der Gebilde, welches wir hier am häufigsten
finden, die Körnchenkugel, als ein specifisches Element der
Entzündung betrachtet worden ist. Jahre lang sah man die
Entzündungskugel für eine wesentliche Erscheinung des Ent-
zündungsprozesses an, und in der That, die Häufigkeit, mit
welcher man in entzündeten Theilen fettig degenerirte Zellen
findet, beweist genügend, dass im Laufe der Entzündungspro-
zesse, welche wir nimmermehr als einfach passive Vorgänge
betrachten können, solche Umwandlungen geschehen müssen.
Es handelt sich also wesentlich darum, eine Unterscheidung
beider Reihen zu finden. Freilich hat diese in einzelnen Fäl-
len ihre sehr grossen Schwierigkeiten, und meiner Ueberzeugung
nach besteht die einzige Möglichkeit einer Orientirung darin,
dass man untersucht, ob der Zustand der fettigen Degeneration
ein primärer oder ein secundärer ist, ob er eintritt, sobald über-
haupt die Störung bemerkbar wird, oder ob er erst erfolgt,
nachdem eine andere bemerkbare Störung vorangegangen ist.
Die secundäre Fettmetamorphose, bei welcher erst in zweiter
Linie diese eigenthümliche Umwandlung zu Stande kommt,
folgt in der Regel auf ein erstes actives Stadium; eine ganze
Reihe derjenigen Prozesse, welche wir ohne Umstände Entzündun-
gen nennen, verläuft in der Weise, dass als zweites oder drittes
anatomisches Stadium der Veränderung eine fettige Metamor-
phose auftritt. Hier entsteht also die fettige Degeneration nicht
als das unmittelbare Resultat der Reizung des Theiles, sondern
wo wir Gelegenheit haben, die Geschichte der Veränderungen
genauer zu verfolgen, da zeigt sich fast immer, dass dem
Stadium der fettigen Degeneration ein anderes Stadium vorauf-
geht, nämlich das der trüben Schwellung, wo die Theile
sich vergrössern, an Umfang und Dichte zunehmen, indem sie
eine grosse Menge von Material in sich aufsaugen. Absichtlich
sage ich aufsaugen, weil ich es für falsch halte, dass der Theil
etwa von Aussen genöthigt worden ist, dieses Material aufzu-
nehmen, dass er durch Exsudat von den Gefässen aus über-
schwemmt worden ist, denn dieselben Erscheinungen treten
auch an Theilen auf, die keine Gefässe haben. Erst dann,
wenn die Ansammlung ein solches Maass erreicht hat, dass die
natürliche Constitution dadurch in Frage gestellt wird, leitet

Fettentartung als Folge activer Prozesse.
habe, gerade eins der Gebilde, welches wir hier am häufigsten
finden, die Körnchenkugel, als ein specifisches Element der
Entzündung betrachtet worden ist. Jahre lang sah man die
Entzündungskugel für eine wesentliche Erscheinung des Ent-
zündungsprozesses an, und in der That, die Häufigkeit, mit
welcher man in entzündeten Theilen fettig degenerirte Zellen
findet, beweist genügend, dass im Laufe der Entzündungspro-
zesse, welche wir nimmermehr als einfach passive Vorgänge
betrachten können, solche Umwandlungen geschehen müssen.
Es handelt sich also wesentlich darum, eine Unterscheidung
beider Reihen zu finden. Freilich hat diese in einzelnen Fäl-
len ihre sehr grossen Schwierigkeiten, und meiner Ueberzeugung
nach besteht die einzige Möglichkeit einer Orientirung darin,
dass man untersucht, ob der Zustand der fettigen Degeneration
ein primärer oder ein secundärer ist, ob er eintritt, sobald über-
haupt die Störung bemerkbar wird, oder ob er erst erfolgt,
nachdem eine andere bemerkbare Störung vorangegangen ist.
Die secundäre Fettmetamorphose, bei welcher erst in zweiter
Linie diese eigenthümliche Umwandlung zu Stande kommt,
folgt in der Regel auf ein erstes actives Stadium; eine ganze
Reihe derjenigen Prozesse, welche wir ohne Umstände Entzündun-
gen nennen, verläuft in der Weise, dass als zweites oder drittes
anatomisches Stadium der Veränderung eine fettige Metamor-
phose auftritt. Hier entsteht also die fettige Degeneration nicht
als das unmittelbare Resultat der Reizung des Theiles, sondern
wo wir Gelegenheit haben, die Geschichte der Veränderungen
genauer zu verfolgen, da zeigt sich fast immer, dass dem
Stadium der fettigen Degeneration ein anderes Stadium vorauf-
geht, nämlich das der trüben Schwellung, wo die Theile
sich vergrössern, an Umfang und Dichte zunehmen, indem sie
eine grosse Menge von Material in sich aufsaugen. Absichtlich
sage ich aufsaugen, weil ich es für falsch halte, dass der Theil
etwa von Aussen genöthigt worden ist, dieses Material aufzu-
nehmen, dass er durch Exsudat von den Gefässen aus über-
schwemmt worden ist, denn dieselben Erscheinungen treten
auch an Theilen auf, die keine Gefässe haben. Erst dann,
wenn die Ansammlung ein solches Maass erreicht hat, dass die
natürliche Constitution dadurch in Frage gestellt wird, leitet

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[315/0337] Fettentartung als Folge activer Prozesse. habe, gerade eins der Gebilde, welches wir hier am häufigsten finden, die Körnchenkugel, als ein specifisches Element der Entzündung betrachtet worden ist. Jahre lang sah man die Entzündungskugel für eine wesentliche Erscheinung des Ent- zündungsprozesses an, und in der That, die Häufigkeit, mit welcher man in entzündeten Theilen fettig degenerirte Zellen findet, beweist genügend, dass im Laufe der Entzündungspro- zesse, welche wir nimmermehr als einfach passive Vorgänge betrachten können, solche Umwandlungen geschehen müssen. Es handelt sich also wesentlich darum, eine Unterscheidung beider Reihen zu finden. Freilich hat diese in einzelnen Fäl- len ihre sehr grossen Schwierigkeiten, und meiner Ueberzeugung nach besteht die einzige Möglichkeit einer Orientirung darin, dass man untersucht, ob der Zustand der fettigen Degeneration ein primärer oder ein secundärer ist, ob er eintritt, sobald über- haupt die Störung bemerkbar wird, oder ob er erst erfolgt, nachdem eine andere bemerkbare Störung vorangegangen ist. Die secundäre Fettmetamorphose, bei welcher erst in zweiter Linie diese eigenthümliche Umwandlung zu Stande kommt, folgt in der Regel auf ein erstes actives Stadium; eine ganze Reihe derjenigen Prozesse, welche wir ohne Umstände Entzündun- gen nennen, verläuft in der Weise, dass als zweites oder drittes anatomisches Stadium der Veränderung eine fettige Metamor- phose auftritt. Hier entsteht also die fettige Degeneration nicht als das unmittelbare Resultat der Reizung des Theiles, sondern wo wir Gelegenheit haben, die Geschichte der Veränderungen genauer zu verfolgen, da zeigt sich fast immer, dass dem Stadium der fettigen Degeneration ein anderes Stadium vorauf- geht, nämlich das der trüben Schwellung, wo die Theile sich vergrössern, an Umfang und Dichte zunehmen, indem sie eine grosse Menge von Material in sich aufsaugen. Absichtlich sage ich aufsaugen, weil ich es für falsch halte, dass der Theil etwa von Aussen genöthigt worden ist, dieses Material aufzu- nehmen, dass er durch Exsudat von den Gefässen aus über- schwemmt worden ist, denn dieselben Erscheinungen treten auch an Theilen auf, die keine Gefässe haben. Erst dann, wenn die Ansammlung ein solches Maass erreicht hat, dass die natürliche Constitution dadurch in Frage gestellt wird, leitet

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/337>, abgerufen am 24.11.2024.