pathologischer Zustand, aber derselbe beruht nur auf einer vorübergehenden Hemmung und wir haben keinen Grund an- zunehmen, dass, wenn wieder ein freier Strom eintritt, nicht auch diese grösseren Fetttropfen allmählig wieder beseitigt werden. Damit kommen wir aber auf andere Gebiete, wo die Grenze der Pathologie sich mit grosser Schwierigkeit ziehen lässt; dieser Fall findet sich namentlich an der Leber.
Seit alter Zeit weiss man, dass die Leber dasjenige Or- gan ist, welches überwiegend leicht in einen Zustand der fet- tigen Degeneration geräth, und schon lange hat man gerade die Kenntniss dieser Zustände auf dem Wege populärer Ex- perimentation begründet. Die Geschichte der Gänseleberpaste- ten beweist dies in der angenehmsten Weise, obgleich Herr Lereboullet aus Strassburg behauptet, dass die Fettlebern der Gänse physiologische seien, die sich von den pathologischen, welche man nicht esse, sondern nur beobachte, wesentlich unter- schieden. Indess muss ich bekennen, dass ich bis jetzt ausser Stande gewesen bin, den Unterschied zwischen physiologischen und pathologischen Fettlebern zu entdecken; ich glaube viel- mehr, dass gerade, indem man die Identität beider zulässt, der einzig richtige Gesichtspunkt auch für die pathologische Fett- leber gefunden werden kann. Wir kennen nämlich eine That- sache, welche gleichfalls zuerst von Kölliker beobachtet wor- den ist, dass bei saugenden Thieren regelmässig einige Stun- den nach der Digestion eine Art von Fettleber physiologisch vorkommt. Wenn man von demselben Wurfe von Thieren die einen hungern, die anderen saugen lässt, so haben diejenigen, welche gesogen haben, ein Paar Stunden nachher eine Fett- leber, die anderen nicht. Die Fettleber erscheint ganz blass, freilich nicht so weiss, wie eine Gänseleber. Diese Beobach- tung hat mir Gelegenheit gegeben, die Frage von der patho- logischen Fettleber etwas weiter zu verfolgen, und ich glaube allerdings, dass man mit Bestimmtheit schliessen kann, dass hier ein naher Zusammenhang besteht. Ich fand nämlich, dass etwas später, als die Leberzellen diese Fettfüllung zeigen, man einen ähnlichen Zustand von Anfüllung im Laufe der Gallen- wege findet, und dass sowohl in den Gallengängen, als in der Gallenblase das Epithel dieselben Erscheinungen der Fett-
Fettretention.
pathologischer Zustand, aber derselbe beruht nur auf einer vorübergehenden Hemmung und wir haben keinen Grund an- zunehmen, dass, wenn wieder ein freier Strom eintritt, nicht auch diese grösseren Fetttropfen allmählig wieder beseitigt werden. Damit kommen wir aber auf andere Gebiete, wo die Grenze der Pathologie sich mit grosser Schwierigkeit ziehen lässt; dieser Fall findet sich namentlich an der Leber.
Seit alter Zeit weiss man, dass die Leber dasjenige Or- gan ist, welches überwiegend leicht in einen Zustand der fet- tigen Degeneration geräth, und schon lange hat man gerade die Kenntniss dieser Zustände auf dem Wege populärer Ex- perimentation begründet. Die Geschichte der Gänseleberpaste- ten beweist dies in der angenehmsten Weise, obgleich Herr Lereboullet aus Strassburg behauptet, dass die Fettlebern der Gänse physiologische seien, die sich von den pathologischen, welche man nicht esse, sondern nur beobachte, wesentlich unter- schieden. Indess muss ich bekennen, dass ich bis jetzt ausser Stande gewesen bin, den Unterschied zwischen physiologischen und pathologischen Fettlebern zu entdecken; ich glaube viel- mehr, dass gerade, indem man die Identität beider zulässt, der einzig richtige Gesichtspunkt auch für die pathologische Fett- leber gefunden werden kann. Wir kennen nämlich eine That- sache, welche gleichfalls zuerst von Kölliker beobachtet wor- den ist, dass bei saugenden Thieren regelmässig einige Stun- den nach der Digestion eine Art von Fettleber physiologisch vorkommt. Wenn man von demselben Wurfe von Thieren die einen hungern, die anderen saugen lässt, so haben diejenigen, welche gesogen haben, ein Paar Stunden nachher eine Fett- leber, die anderen nicht. Die Fettleber erscheint ganz blass, freilich nicht so weiss, wie eine Gänseleber. Diese Beobach- tung hat mir Gelegenheit gegeben, die Frage von der patho- logischen Fettleber etwas weiter zu verfolgen, und ich glaube allerdings, dass man mit Bestimmtheit schliessen kann, dass hier ein naher Zusammenhang besteht. Ich fand nämlich, dass etwas später, als die Leberzellen diese Fettfüllung zeigen, man einen ähnlichen Zustand von Anfüllung im Laufe der Gallen- wege findet, und dass sowohl in den Gallengängen, als in der Gallenblase das Epithel dieselben Erscheinungen der Fett-
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Fettretention.
pathologischer Zustand, aber derselbe beruht nur auf einer
vorübergehenden Hemmung und wir haben keinen Grund an-
zunehmen, dass, wenn wieder ein freier Strom eintritt, nicht
auch diese grösseren Fetttropfen allmählig wieder beseitigt
werden. Damit kommen wir aber auf andere Gebiete, wo die
Grenze der Pathologie sich mit grosser Schwierigkeit ziehen
lässt; dieser Fall findet sich namentlich an der Leber.
Seit alter Zeit weiss man, dass die Leber dasjenige Or-
gan ist, welches überwiegend leicht in einen Zustand der fet-
tigen Degeneration geräth, und schon lange hat man gerade
die Kenntniss dieser Zustände auf dem Wege populärer Ex-
perimentation begründet. Die Geschichte der Gänseleberpaste-
ten beweist dies in der angenehmsten Weise, obgleich Herr
Lereboullet aus Strassburg behauptet, dass die Fettlebern
der Gänse physiologische seien, die sich von den pathologischen,
welche man nicht esse, sondern nur beobachte, wesentlich unter-
schieden. Indess muss ich bekennen, dass ich bis jetzt ausser
Stande gewesen bin, den Unterschied zwischen physiologischen
und pathologischen Fettlebern zu entdecken; ich glaube viel-
mehr, dass gerade, indem man die Identität beider zulässt, der
einzig richtige Gesichtspunkt auch für die pathologische Fett-
leber gefunden werden kann. Wir kennen nämlich eine That-
sache, welche gleichfalls zuerst von Kölliker beobachtet wor-
den ist, dass bei saugenden Thieren regelmässig einige Stun-
den nach der Digestion eine Art von Fettleber physiologisch
vorkommt. Wenn man von demselben Wurfe von Thieren die
einen hungern, die anderen saugen lässt, so haben diejenigen,
welche gesogen haben, ein Paar Stunden nachher eine Fett-
leber, die anderen nicht. Die Fettleber erscheint ganz blass,
freilich nicht so weiss, wie eine Gänseleber. Diese Beobach-
tung hat mir Gelegenheit gegeben, die Frage von der patho-
logischen Fettleber etwas weiter zu verfolgen, und ich glaube
allerdings, dass man mit Bestimmtheit schliessen kann, dass
hier ein naher Zusammenhang besteht. Ich fand nämlich, dass
etwas später, als die Leberzellen diese Fettfüllung zeigen, man
einen ähnlichen Zustand von Anfüllung im Laufe der Gallen-
wege findet, und dass sowohl in den Gallengängen, als in der
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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/319>, abgerufen am 24.11.2024.
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