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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Entzündliche Reizung.
Thatsachen und den nächsten Vorgängen des physiologischen
Lebens, Thatsachen, welche aber nur dann in ihrer besonderen
Bedeutung sich erkennen und definiren lassen, wenn man eben
die Scheidungen macht, welche ich Ihnen im Anfang der Vor-
lesung hervorhob, das heisst, wenn man die Erregungen je
nach ihrem functionellen, nutritiven oder formativen Werthe
trennt. Wirft man diese zusammen, wie es in der Lehre von
der Innervation geschehen ist, sondert man namentlich nicht
die formativen und nutritiven Vorgänge, dann kommt man
auch zu keiner einfachen Erklärung der Erscheinungen.

Diejenigen Zustände von Reizung, welche wir im Laufe
der schwereren Erkrankungen sehen, die eigentlich entzünd-
lichen Reizungen
, lassen überhaupt nie eine einfache Deu-
tung zu. In der Entzündung finden wir neben einander alle
Formen der Reizung, welche ich Ihnen auseinandergelegt habe.
Ja wir sehen sehr häufig, dass, wenn das Organ selbst aus
verschiedenen Theilen zusammengesetzt ist, der eine Theil des
Gewebes sich functionell oder nutritiv, der andere formativ
verändert. Wenn Sie einen Muskel ins Auge fassen, so wird
ein chemischer oder traumatischer Reiz an den Primitivbündeln
desselben vielleicht in dem ersten Moment eine functionelle
Reizung setzen: der Muskel zieht sich zusammen; dann aber
stellen sich nutritive Störungen ein. Dagegen im Zwischen-
Bindegewebe, welches die einzelnen Muskelbündel zusammen-
hält, gibt es leicht wirkliche Neubildungen, in der Regel Eiter.
Hier handelt es sich um eine formative Reizung, während der ent-
zündete Muskel in sich keinen Eiter erzeugt, ebensowenig wie neue
Muskelsubstanz; vielmehr sehen wir bei einer gewissen Höhe
der Reizung am häufigsten degenerative Prozesse eintreten.
Auf diese Weise kann man die drei Formen der Reizung an
einem Theil trennen. Natürlich kann dabei auch noch eine
Reizung der Nerven bestehen, aber diese hat, wenigstens wenn
man von der Function absieht, mit den Prozessen im eigent-
lichen Gewebe keinen Zusammenhang von Ursache und Wir-
kung, sondern sie ist nichts weiter, als ein Collateraleffect der
ursprünglichen Störung. Das ist meines Erachtens als der
wichtigste Erwerb der speciellen histologischen Erfahrungen

Entzündliche Reizung.
Thatsachen und den nächsten Vorgängen des physiologischen
Lebens, Thatsachen, welche aber nur dann in ihrer besonderen
Bedeutung sich erkennen und definiren lassen, wenn man eben
die Scheidungen macht, welche ich Ihnen im Anfang der Vor-
lesung hervorhob, das heisst, wenn man die Erregungen je
nach ihrem functionellen, nutritiven oder formativen Werthe
trennt. Wirft man diese zusammen, wie es in der Lehre von
der Innervation geschehen ist, sondert man namentlich nicht
die formativen und nutritiven Vorgänge, dann kommt man
auch zu keiner einfachen Erklärung der Erscheinungen.

Diejenigen Zustände von Reizung, welche wir im Laufe
der schwereren Erkrankungen sehen, die eigentlich entzünd-
lichen Reizungen
, lassen überhaupt nie eine einfache Deu-
tung zu. In der Entzündung finden wir neben einander alle
Formen der Reizung, welche ich Ihnen auseinandergelegt habe.
Ja wir sehen sehr häufig, dass, wenn das Organ selbst aus
verschiedenen Theilen zusammengesetzt ist, der eine Theil des
Gewebes sich functionell oder nutritiv, der andere formativ
verändert. Wenn Sie einen Muskel ins Auge fassen, so wird
ein chemischer oder traumatischer Reiz an den Primitivbündeln
desselben vielleicht in dem ersten Moment eine functionelle
Reizung setzen: der Muskel zieht sich zusammen; dann aber
stellen sich nutritive Störungen ein. Dagegen im Zwischen-
Bindegewebe, welches die einzelnen Muskelbündel zusammen-
hält, gibt es leicht wirkliche Neubildungen, in der Regel Eiter.
Hier handelt es sich um eine formative Reizung, während der ent-
zündete Muskel in sich keinen Eiter erzeugt, ebensowenig wie neue
Muskelsubstanz; vielmehr sehen wir bei einer gewissen Höhe
der Reizung am häufigsten degenerative Prozesse eintreten.
Auf diese Weise kann man die drei Formen der Reizung an
einem Theil trennen. Natürlich kann dabei auch noch eine
Reizung der Nerven bestehen, aber diese hat, wenigstens wenn
man von der Function absieht, mit den Prozessen im eigent-
lichen Gewebe keinen Zusammenhang von Ursache und Wir-
kung, sondern sie ist nichts weiter, als ein Collateraleffect der
ursprünglichen Störung. Das ist meines Erachtens als der
wichtigste Erwerb der speciellen histologischen Erfahrungen

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[283/0305] Entzündliche Reizung. Thatsachen und den nächsten Vorgängen des physiologischen Lebens, Thatsachen, welche aber nur dann in ihrer besonderen Bedeutung sich erkennen und definiren lassen, wenn man eben die Scheidungen macht, welche ich Ihnen im Anfang der Vor- lesung hervorhob, das heisst, wenn man die Erregungen je nach ihrem functionellen, nutritiven oder formativen Werthe trennt. Wirft man diese zusammen, wie es in der Lehre von der Innervation geschehen ist, sondert man namentlich nicht die formativen und nutritiven Vorgänge, dann kommt man auch zu keiner einfachen Erklärung der Erscheinungen. Diejenigen Zustände von Reizung, welche wir im Laufe der schwereren Erkrankungen sehen, die eigentlich entzünd- lichen Reizungen, lassen überhaupt nie eine einfache Deu- tung zu. In der Entzündung finden wir neben einander alle Formen der Reizung, welche ich Ihnen auseinandergelegt habe. Ja wir sehen sehr häufig, dass, wenn das Organ selbst aus verschiedenen Theilen zusammengesetzt ist, der eine Theil des Gewebes sich functionell oder nutritiv, der andere formativ verändert. Wenn Sie einen Muskel ins Auge fassen, so wird ein chemischer oder traumatischer Reiz an den Primitivbündeln desselben vielleicht in dem ersten Moment eine functionelle Reizung setzen: der Muskel zieht sich zusammen; dann aber stellen sich nutritive Störungen ein. Dagegen im Zwischen- Bindegewebe, welches die einzelnen Muskelbündel zusammen- hält, gibt es leicht wirkliche Neubildungen, in der Regel Eiter. Hier handelt es sich um eine formative Reizung, während der ent- zündete Muskel in sich keinen Eiter erzeugt, ebensowenig wie neue Muskelsubstanz; vielmehr sehen wir bei einer gewissen Höhe der Reizung am häufigsten degenerative Prozesse eintreten. Auf diese Weise kann man die drei Formen der Reizung an einem Theil trennen. Natürlich kann dabei auch noch eine Reizung der Nerven bestehen, aber diese hat, wenigstens wenn man von der Function absieht, mit den Prozessen im eigent- lichen Gewebe keinen Zusammenhang von Ursache und Wir- kung, sondern sie ist nichts weiter, als ein Collateraleffect der ursprünglichen Störung. Das ist meines Erachtens als der wichtigste Erwerb der speciellen histologischen Erfahrungen

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/305>, abgerufen am 28.11.2024.