Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Zehnte Vorlesung.
Stande kommt, mit Milzschwellungen auftreten. Die Milz ist
ein ausserordentlich empfindliches Organ, das nicht nur beim
Wechselfieber und Typhus, sondern auch bei den meisten an-
deren Prozessen schwillt, in denen eine reichliche Aufnahme von
schädlichen, inficirenden Stoffen in das Blut erfolgte. Allerdings
muss die Milz betrachtet werden in ihrer nahen Verwandschaft
zum Lymphapparate, aber ihre Erkrankungen stehen ausserdem
gewöhnlich in einem sehr directen Verhältnisse zu analogen
Erkrankungen der wichtigen Nachbardrüsen, insbesondere der
Leber und der Niere. Bei den meisten Infectionszuständen
zeigen diese drei Apparate correspondirende Vergrösserungen,
welche mit wirklichen Veränderungen im Innern verbunden
sind, die bei der mikroskopischen Untersuchung scheinbar nichts
Bemerkenswerthes darbieten, so dass das grobe Resultat für
das blosse Auge, die starke Schwellung, für den Beobachter viel
mehr Interesse hat. Bei umsichtiger Vergleichung findet sich
indess ziemlich viel, so dass wir mit Bestimmtheit sagen kön-
nen, dass die Drüsenzellen schnell verändert werden und früh-
zeitig an den Elementen, durch welche die Secretion gesche-
hen soll, eine Störung sich einstellt. Ich werde darauf zurück-
kommen.

Erlauben Sie mir für jetzt, dass ich zur Erläuterung die-
ser Verhältnisse auf ein Paar andere, gröbere Beispiele zurück-
gehe, welche die Möglichkeit einer unmittelbaren Anschauung
gewähren.

Wir wissen, dass, wenn Jemand Silbersalze gebraucht,
ein Eindringen derselben in die Theile erfolgt; wenden wir
sie nicht in eigentlich ätzender, zerstörender Weise an, so ge-
langt das Silber in einer Verbindung, die bis jetzt nicht hin-
reichend bekannt ist, in die Gewebstheile und erzeugt an der
Applicationsstelle, wenn es lange genug angewendet wird, eine
Farbenveränderung. Ein Kranker, welcher in der Klinik des
Hrn. v. Gräfe am 10. November eine Lösung von Argentum
nitricum zu Umschlägen bekommen hatte, gebrauchte als ge-
wissenhafter Patient das Mittel bis jetzt; das Resultat davon
war, dass seine Conjunctiva ein intensiv bräunliches, fast
schwarzes Aussehen angenommen hatte. Die Untersuchung eines
ausgeschnittenen Stückes derselben ergab, dass eine Aufnahme

Zehnte Vorlesung.
Stande kommt, mit Milzschwellungen auftreten. Die Milz ist
ein ausserordentlich empfindliches Organ, das nicht nur beim
Wechselfieber und Typhus, sondern auch bei den meisten an-
deren Prozessen schwillt, in denen eine reichliche Aufnahme von
schädlichen, inficirenden Stoffen in das Blut erfolgte. Allerdings
muss die Milz betrachtet werden in ihrer nahen Verwandschaft
zum Lymphapparate, aber ihre Erkrankungen stehen ausserdem
gewöhnlich in einem sehr directen Verhältnisse zu analogen
Erkrankungen der wichtigen Nachbardrüsen, insbesondere der
Leber und der Niere. Bei den meisten Infectionszuständen
zeigen diese drei Apparate correspondirende Vergrösserungen,
welche mit wirklichen Veränderungen im Innern verbunden
sind, die bei der mikroskopischen Untersuchung scheinbar nichts
Bemerkenswerthes darbieten, so dass das grobe Resultat für
das blosse Auge, die starke Schwellung, für den Beobachter viel
mehr Interesse hat. Bei umsichtiger Vergleichung findet sich
indess ziemlich viel, so dass wir mit Bestimmtheit sagen kön-
nen, dass die Drüsenzellen schnell verändert werden und früh-
zeitig an den Elementen, durch welche die Secretion gesche-
hen soll, eine Störung sich einstellt. Ich werde darauf zurück-
kommen.

Erlauben Sie mir für jetzt, dass ich zur Erläuterung die-
ser Verhältnisse auf ein Paar andere, gröbere Beispiele zurück-
gehe, welche die Möglichkeit einer unmittelbaren Anschauung
gewähren.

Wir wissen, dass, wenn Jemand Silbersalze gebraucht,
ein Eindringen derselben in die Theile erfolgt; wenden wir
sie nicht in eigentlich ätzender, zerstörender Weise an, so ge-
langt das Silber in einer Verbindung, die bis jetzt nicht hin-
reichend bekannt ist, in die Gewebstheile und erzeugt an der
Applicationsstelle, wenn es lange genug angewendet wird, eine
Farbenveränderung. Ein Kranker, welcher in der Klinik des
Hrn. v. Gräfe am 10. November eine Lösung von Argentum
nitricum zu Umschlägen bekommen hatte, gebrauchte als ge-
wissenhafter Patient das Mittel bis jetzt; das Resultat davon
war, dass seine Conjunctiva ein intensiv bräunliches, fast
schwarzes Aussehen angenommen hatte. Die Untersuchung eines
ausgeschnittenen Stückes derselben ergab, dass eine Aufnahme

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0212" n="190"/><fw place="top" type="header">Zehnte Vorlesung.</fw><lb/>
Stande kommt, mit Milzschwellungen auftreten. Die Milz ist<lb/>
ein ausserordentlich empfindliches Organ, das nicht nur beim<lb/>
Wechselfieber und Typhus, sondern auch bei den meisten an-<lb/>
deren Prozessen schwillt, in denen eine reichliche Aufnahme von<lb/>
schädlichen, inficirenden Stoffen in das Blut erfolgte. Allerdings<lb/>
muss die Milz betrachtet werden in ihrer nahen Verwandschaft<lb/>
zum Lymphapparate, aber ihre Erkrankungen stehen ausserdem<lb/>
gewöhnlich in einem sehr directen Verhältnisse zu analogen<lb/>
Erkrankungen der wichtigen Nachbardrüsen, insbesondere der<lb/>
Leber und der Niere. Bei den meisten Infectionszuständen<lb/>
zeigen diese drei Apparate correspondirende Vergrösserungen,<lb/>
welche mit wirklichen Veränderungen im Innern verbunden<lb/>
sind, die bei der mikroskopischen Untersuchung scheinbar nichts<lb/>
Bemerkenswerthes darbieten, so dass das grobe Resultat für<lb/>
das blosse Auge, die starke Schwellung, für den Beobachter viel<lb/>
mehr Interesse hat. Bei umsichtiger Vergleichung findet sich<lb/>
indess ziemlich viel, so dass wir mit Bestimmtheit sagen kön-<lb/>
nen, dass die Drüsenzellen schnell verändert werden und früh-<lb/>
zeitig an den Elementen, durch welche die Secretion gesche-<lb/>
hen soll, eine Störung sich einstellt. Ich werde darauf zurück-<lb/>
kommen.</p><lb/>
        <p>Erlauben Sie mir für jetzt, dass ich zur Erläuterung die-<lb/>
ser Verhältnisse auf ein Paar andere, gröbere Beispiele zurück-<lb/>
gehe, welche die Möglichkeit einer unmittelbaren Anschauung<lb/>
gewähren.</p><lb/>
        <p>Wir wissen, dass, wenn Jemand <hi rendition="#g">Silbersalze</hi> gebraucht,<lb/>
ein Eindringen derselben in die Theile erfolgt; wenden wir<lb/>
sie nicht in eigentlich ätzender, zerstörender Weise an, so ge-<lb/>
langt das Silber in einer Verbindung, die bis jetzt nicht hin-<lb/>
reichend bekannt ist, in die Gewebstheile und erzeugt an der<lb/>
Applicationsstelle, wenn es lange genug angewendet wird, eine<lb/>
Farbenveränderung. Ein Kranker, welcher in der Klinik des<lb/>
Hrn. v. <hi rendition="#g">Gräfe</hi> am 10. November eine Lösung von Argentum<lb/>
nitricum zu Umschlägen bekommen hatte, gebrauchte als ge-<lb/>
wissenhafter Patient das Mittel bis jetzt; das Resultat davon<lb/>
war, dass seine Conjunctiva ein intensiv bräunliches, fast<lb/>
schwarzes Aussehen angenommen hatte. Die Untersuchung eines<lb/>
ausgeschnittenen Stückes derselben ergab, dass eine Aufnahme<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0212] Zehnte Vorlesung. Stande kommt, mit Milzschwellungen auftreten. Die Milz ist ein ausserordentlich empfindliches Organ, das nicht nur beim Wechselfieber und Typhus, sondern auch bei den meisten an- deren Prozessen schwillt, in denen eine reichliche Aufnahme von schädlichen, inficirenden Stoffen in das Blut erfolgte. Allerdings muss die Milz betrachtet werden in ihrer nahen Verwandschaft zum Lymphapparate, aber ihre Erkrankungen stehen ausserdem gewöhnlich in einem sehr directen Verhältnisse zu analogen Erkrankungen der wichtigen Nachbardrüsen, insbesondere der Leber und der Niere. Bei den meisten Infectionszuständen zeigen diese drei Apparate correspondirende Vergrösserungen, welche mit wirklichen Veränderungen im Innern verbunden sind, die bei der mikroskopischen Untersuchung scheinbar nichts Bemerkenswerthes darbieten, so dass das grobe Resultat für das blosse Auge, die starke Schwellung, für den Beobachter viel mehr Interesse hat. Bei umsichtiger Vergleichung findet sich indess ziemlich viel, so dass wir mit Bestimmtheit sagen kön- nen, dass die Drüsenzellen schnell verändert werden und früh- zeitig an den Elementen, durch welche die Secretion gesche- hen soll, eine Störung sich einstellt. Ich werde darauf zurück- kommen. Erlauben Sie mir für jetzt, dass ich zur Erläuterung die- ser Verhältnisse auf ein Paar andere, gröbere Beispiele zurück- gehe, welche die Möglichkeit einer unmittelbaren Anschauung gewähren. Wir wissen, dass, wenn Jemand Silbersalze gebraucht, ein Eindringen derselben in die Theile erfolgt; wenden wir sie nicht in eigentlich ätzender, zerstörender Weise an, so ge- langt das Silber in einer Verbindung, die bis jetzt nicht hin- reichend bekannt ist, in die Gewebstheile und erzeugt an der Applicationsstelle, wenn es lange genug angewendet wird, eine Farbenveränderung. Ein Kranker, welcher in der Klinik des Hrn. v. Gräfe am 10. November eine Lösung von Argentum nitricum zu Umschlägen bekommen hatte, gebrauchte als ge- wissenhafter Patient das Mittel bis jetzt; das Resultat davon war, dass seine Conjunctiva ein intensiv bräunliches, fast schwarzes Aussehen angenommen hatte. Die Untersuchung eines ausgeschnittenen Stückes derselben ergab, dass eine Aufnahme

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/212
Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/212>, abgerufen am 24.11.2024.