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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Fünfte Vorlesung.

Freilich ist ein solches Object nicht absolut beweisend,
denn es könnten immerhin einzelne feine Gefässe noch weiter
gehen, welche nicht vom blossen Auge gesehen werden. Aber
ich habe früher gerade diesen Punkt zum Gegenstande einer
speciellen Untersuchung gemacht, und obwohl ich eine Reihe
von Nabelsträngen bald von den Arterien, bald von den Ve-
nen aus injicirt habe, ist es mir nie gelungen, auch nur das
kleinste collaterale Gefäss zu sehen, welches über die Grenze
der persistenten Schicht hinausging. Der ganze hinfällige
Theil vom Nabelstrang, die lange Partie, welche zwischen
dem cutanen Ende und der Placentar-Auflösung liegt, ist voll-
ständig capillarlos, und es ist in der That nichts weiter von
Gefässen vorhanden, als die drei grossen Stämme. Diese letz-
teren zeichnen sich aber sämmtlich durch sehr dicke Wandun-
gen aus, welche zugleich, wie wir eigentlich erst seit Kölli-
ker
's Untersuchung wissen, enorm reich an Muskelfasern
sind.

Auf einem Querschnitte durch den Nabelstrang bemerkt
man, wie die dicke mittlere Haut ganz und gar aus glatten
Muskelfasern besteht, eine unmittelbar an der andern, so reich-
lich, wie es kaum an irgend einem entwickelten Gefässe ge-
funden wird. Aus dieser Eigenthümlichkeit resultirt die ausser-
ordentlich grosse Contractilität der Nabelgefässe, was man bei
Einwirkung mechanischer Reize, beim Abschneiden mit der
Scheere, beim Kneifen oder auf electrische Reize im Gros-
sen sehen kann. Zuweilen verengern sie sich schon auf
äussere Reize selbst bis zum Verschluss ihres Lumens, woraus
sich erklärt, dass bei der Geburt auch ohne Ligatur, z. B.
nach Abreissen des Nabelstranges, die Blutung von selbst stehen
kann. Die Dicke dieser Wandungen ist daher leicht begreif-
lich, denn zu der an sich so dicken Muscularis kommt noch
eine innere und eine, wenn auch nicht grade sehr stark ent-
wickelte äussere Haut; daran schliesst sich erst das sulzige
Gallert-Gewebe (Schleimgewebe) des Nabelstranges. Durch
diese Lagen hindurch würde also die Ernährung geschehen
müssen. Ich kann nun allerdings nicht mit Sicherheit sagen,
von wo aus das Gewebe des Nabelstranges sich ernährt; viel-
leicht nimmt es aus dem Liquor Amnios Ernährungsstoffe auf;

Fünfte Vorlesung.

Freilich ist ein solches Object nicht absolut beweisend,
denn es könnten immerhin einzelne feine Gefässe noch weiter
gehen, welche nicht vom blossen Auge gesehen werden. Aber
ich habe früher gerade diesen Punkt zum Gegenstande einer
speciellen Untersuchung gemacht, und obwohl ich eine Reihe
von Nabelsträngen bald von den Arterien, bald von den Ve-
nen aus injicirt habe, ist es mir nie gelungen, auch nur das
kleinste collaterale Gefäss zu sehen, welches über die Grenze
der persistenten Schicht hinausging. Der ganze hinfällige
Theil vom Nabelstrang, die lange Partie, welche zwischen
dem cutanen Ende und der Placentar-Auflösung liegt, ist voll-
ständig capillarlos, und es ist in der That nichts weiter von
Gefässen vorhanden, als die drei grossen Stämme. Diese letz-
teren zeichnen sich aber sämmtlich durch sehr dicke Wandun-
gen aus, welche zugleich, wie wir eigentlich erst seit Kölli-
ker
’s Untersuchung wissen, enorm reich an Muskelfasern
sind.

Auf einem Querschnitte durch den Nabelstrang bemerkt
man, wie die dicke mittlere Haut ganz und gar aus glatten
Muskelfasern besteht, eine unmittelbar an der andern, so reich-
lich, wie es kaum an irgend einem entwickelten Gefässe ge-
funden wird. Aus dieser Eigenthümlichkeit resultirt die ausser-
ordentlich grosse Contractilität der Nabelgefässe, was man bei
Einwirkung mechanischer Reize, beim Abschneiden mit der
Scheere, beim Kneifen oder auf electrische Reize im Gros-
sen sehen kann. Zuweilen verengern sie sich schon auf
äussere Reize selbst bis zum Verschluss ihres Lumens, woraus
sich erklärt, dass bei der Geburt auch ohne Ligatur, z. B.
nach Abreissen des Nabelstranges, die Blutung von selbst stehen
kann. Die Dicke dieser Wandungen ist daher leicht begreif-
lich, denn zu der an sich so dicken Muscularis kommt noch
eine innere und eine, wenn auch nicht grade sehr stark ent-
wickelte äussere Haut; daran schliesst sich erst das sulzige
Gallert-Gewebe (Schleimgewebe) des Nabelstranges. Durch
diese Lagen hindurch würde also die Ernährung geschehen
müssen. Ich kann nun allerdings nicht mit Sicherheit sagen,
von wo aus das Gewebe des Nabelstranges sich ernährt; viel-
leicht nimmt es aus dem Liquor Amnios Ernährungsstoffe auf;

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[88/0110] Fünfte Vorlesung. Freilich ist ein solches Object nicht absolut beweisend, denn es könnten immerhin einzelne feine Gefässe noch weiter gehen, welche nicht vom blossen Auge gesehen werden. Aber ich habe früher gerade diesen Punkt zum Gegenstande einer speciellen Untersuchung gemacht, und obwohl ich eine Reihe von Nabelsträngen bald von den Arterien, bald von den Ve- nen aus injicirt habe, ist es mir nie gelungen, auch nur das kleinste collaterale Gefäss zu sehen, welches über die Grenze der persistenten Schicht hinausging. Der ganze hinfällige Theil vom Nabelstrang, die lange Partie, welche zwischen dem cutanen Ende und der Placentar-Auflösung liegt, ist voll- ständig capillarlos, und es ist in der That nichts weiter von Gefässen vorhanden, als die drei grossen Stämme. Diese letz- teren zeichnen sich aber sämmtlich durch sehr dicke Wandun- gen aus, welche zugleich, wie wir eigentlich erst seit Kölli- ker’s Untersuchung wissen, enorm reich an Muskelfasern sind. Auf einem Querschnitte durch den Nabelstrang bemerkt man, wie die dicke mittlere Haut ganz und gar aus glatten Muskelfasern besteht, eine unmittelbar an der andern, so reich- lich, wie es kaum an irgend einem entwickelten Gefässe ge- funden wird. Aus dieser Eigenthümlichkeit resultirt die ausser- ordentlich grosse Contractilität der Nabelgefässe, was man bei Einwirkung mechanischer Reize, beim Abschneiden mit der Scheere, beim Kneifen oder auf electrische Reize im Gros- sen sehen kann. Zuweilen verengern sie sich schon auf äussere Reize selbst bis zum Verschluss ihres Lumens, woraus sich erklärt, dass bei der Geburt auch ohne Ligatur, z. B. nach Abreissen des Nabelstranges, die Blutung von selbst stehen kann. Die Dicke dieser Wandungen ist daher leicht begreif- lich, denn zu der an sich so dicken Muscularis kommt noch eine innere und eine, wenn auch nicht grade sehr stark ent- wickelte äussere Haut; daran schliesst sich erst das sulzige Gallert-Gewebe (Schleimgewebe) des Nabelstranges. Durch diese Lagen hindurch würde also die Ernährung geschehen müssen. Ich kann nun allerdings nicht mit Sicherheit sagen, von wo aus das Gewebe des Nabelstranges sich ernährt; viel- leicht nimmt es aus dem Liquor Amnios Ernährungsstoffe auf;

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/110>, abgerufen am 23.11.2024.