der ganze Garten war ein fröhliches liebliches Bild eines kummerfreyen vergnügten Lebens, für jedes Alter und jedes Gemüth.
Jn einer andern Stimmung wäre Floren- tin dieser Anblick höchst erquickend gewesen; jetzt suchte er aber einen einsamen Ort, um sich zu sammeln; er war unruhig und zerstreut. -- Warum, dachte er, warum ist diese Clemen- tine und alles was sie umgiebt, grade mir wie eine Erscheinung, da sie doch unter den übrigen Menschen wie eine längst bekannte Mitbürge- rin wandelt? warum wird jede ferne Erinne- rung wieder wach in mir? was thut sich die Vergangenheit, dies längst verdeckte Grab, ge- gen mich auf? warum kann ich nicht mit den andern des gegenwärtigen Augenblicks froh werden? -- Er suchte endlich dem Eindrucke der Musik die Unruhe zuzuschreiben, die immer noch in seiner Seele wiederhallte.
Aus dem geöffneten Gartensaal kam ihm der Doktor entgegen. -- Die Gräfin ist erst jetzt wieder zu sich selbst gekommen, sagte er, und ist noch sehr ermattet. Die Anstrengung war zu groß für sie. Da ihr jede Bewegung
der ganze Garten war ein froͤhliches liebliches Bild eines kummerfreyen vergnuͤgten Lebens, fuͤr jedes Alter und jedes Gemuͤth.
Jn einer andern Stimmung waͤre Floren- tin dieſer Anblick hoͤchſt erquickend geweſen; jetzt ſuchte er aber einen einſamen Ort, um ſich zu ſammeln; er war unruhig und zerſtreut. — Warum, dachte er, warum iſt dieſe Clemen- tine und alles was ſie umgiebt, grade mir wie eine Erſcheinung, da ſie doch unter den uͤbrigen Menſchen wie eine laͤngſt bekannte Mitbuͤrge- rin wandelt? warum wird jede ferne Erinne- rung wieder wach in mir? was thut ſich die Vergangenheit, dies laͤngſt verdeckte Grab, ge- gen mich auf? warum kann ich nicht mit den andern des gegenwaͤrtigen Augenblicks froh werden? — Er ſuchte endlich dem Eindrucke der Muſik die Unruhe zuzuſchreiben, die immer noch in ſeiner Seele wiederhallte.
Aus dem geoͤffneten Gartenſaal kam ihm der Doktor entgegen. — Die Graͤfin iſt erſt jetzt wieder zu ſich ſelbſt gekommen, ſagte er, und iſt noch ſehr ermattet. Die Anſtrengung war zu groß fuͤr ſie. Da ihr jede Bewegung
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der ganze Garten war ein froͤhliches liebliches
Bild eines kummerfreyen vergnuͤgten Lebens,
fuͤr jedes Alter und jedes Gemuͤth.
Jn einer andern Stimmung waͤre Floren-
tin dieſer Anblick hoͤchſt erquickend geweſen;
jetzt ſuchte er aber einen einſamen Ort, um ſich
zu ſammeln; er war unruhig und zerſtreut. —
Warum, dachte er, warum iſt dieſe Clemen-
tine und alles was ſie umgiebt, grade mir wie
eine Erſcheinung, da ſie doch unter den uͤbrigen
Menſchen wie eine laͤngſt bekannte Mitbuͤrge-
rin wandelt? warum wird jede ferne Erinne-
rung wieder wach in mir? was thut ſich die
Vergangenheit, dies laͤngſt verdeckte Grab, ge-
gen mich auf? warum kann ich nicht mit den
andern des gegenwaͤrtigen Augenblicks froh
werden? — Er ſuchte endlich dem Eindrucke
der Muſik die Unruhe zuzuſchreiben, die immer
noch in ſeiner Seele wiederhallte.
Aus dem geoͤffneten Gartenſaal kam ihm
der Doktor entgegen. — Die Graͤfin iſt erſt
jetzt wieder zu ſich ſelbſt gekommen, ſagte er, und
iſt noch ſehr ermattet. Die Anſtrengung
war zu groß fuͤr ſie. Da ihr jede Bewegung
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/384>, abgerufen am 28.09.2024.
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