Juliane hatte wieder ihre Kräfte gesam- melt; die Nachricht, daß sie in kurzer Zeit ab- geholt würde, machte sie völlig heiter und gut gelaunt. Um Eduards Stirn schwebte eine Wolke, die Julianens ganze Heiterkeit nicht völlig zerstreuen konnte. So oft sie ihre Un- geduld, nach Hause zu ihren Eltern zu kommen, äußerte, stieg sein Unmuth beynah bis zur Bit- terkeit. -- Mein geliebter Freund, sagte Ju- liane, es hilft Jhnen zu nichts, daß Sie Jhre Vorwürfe nicht aussprechen, sie sind sichtbar auf Jhre Stirn geschrieben; aber wie sie auch erscheinen sind sie sehr ungerecht; Sie sollten die angenehmen Stunden nicht mit Mis- muth endigen! --
Das Frühstück war kaum verzehrt, als der Wagen mit der Kammerfrau der Gräfin Eleo- nore kam, die ihr Wäsche und Kleider mit- brachte. Juliane erkundigte sich nach ihren El- tern. Sie hatten die Nacht in erschrecklicher Angst zugebracht, erzählte die Kammerfrau; der Graf wollte sich trotz dem Ungewitter selbst aufmachen, um sie aufzusuchen, durfte aber
Florentin. I. 17
Juliane hatte wieder ihre Kraͤfte geſam- melt; die Nachricht, daß ſie in kurzer Zeit ab- geholt wuͤrde, machte ſie voͤllig heiter und gut gelaunt. Um Eduards Stirn ſchwebte eine Wolke, die Julianens ganze Heiterkeit nicht voͤllig zerſtreuen konnte. So oft ſie ihre Un- geduld, nach Hauſe zu ihren Eltern zu kommen, aͤußerte, ſtieg ſein Unmuth beynah bis zur Bit- terkeit. — Mein geliebter Freund, ſagte Ju- liane, es hilft Jhnen zu nichts, daß Sie Jhre Vorwuͤrfe nicht ausſprechen, ſie ſind ſichtbar auf Jhre Stirn geſchrieben; aber wie ſie auch erſcheinen ſind ſie ſehr ungerecht; Sie ſollten die angenehmen Stunden nicht mit Mis- muth endigen! —
Das Fruͤhſtuͤck war kaum verzehrt, als der Wagen mit der Kammerfrau der Graͤfin Eleo- nore kam, die ihr Waͤſche und Kleider mit- brachte. Juliane erkundigte ſich nach ihren El- tern. Sie hatten die Nacht in erſchrecklicher Angſt zugebracht, erzaͤhlte die Kammerfrau; der Graf wollte ſich trotz dem Ungewitter ſelbſt aufmachen, um ſie aufzuſuchen, durfte aber
Florentin. I. 17
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Juliane hatte wieder ihre Kraͤfte geſam-
melt; die Nachricht, daß ſie in kurzer Zeit ab-
geholt wuͤrde, machte ſie voͤllig heiter und gut
gelaunt. Um Eduards Stirn ſchwebte eine
Wolke, die Julianens ganze Heiterkeit nicht
voͤllig zerſtreuen konnte. So oft ſie ihre Un-
geduld, nach Hauſe zu ihren Eltern zu kommen,
aͤußerte, ſtieg ſein Unmuth beynah bis zur Bit-
terkeit. — Mein geliebter Freund, ſagte Ju-
liane, es hilft Jhnen zu nichts, daß Sie Jhre
Vorwuͤrfe nicht ausſprechen, ſie ſind ſichtbar
auf Jhre Stirn geſchrieben; aber wie ſie
auch erſcheinen ſind ſie ſehr ungerecht; Sie
ſollten die angenehmen Stunden nicht mit Mis-
muth endigen! —
Das Fruͤhſtuͤck war kaum verzehrt, als der
Wagen mit der Kammerfrau der Graͤfin Eleo-
nore kam, die ihr Waͤſche und Kleider mit-
brachte. Juliane erkundigte ſich nach ihren El-
tern. Sie hatten die Nacht in erſchrecklicher
Angſt zugebracht, erzaͤhlte die Kammerfrau;
der Graf wollte ſich trotz dem Ungewitter ſelbſt
aufmachen, um ſie aufzuſuchen, durfte aber
Florentin. I. 17
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/265>, abgerufen am 28.11.2024.
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