Mannes und sein guter Verstand gefielen ihm immer besser. Florentin nahm, während er sprach, mit der größten Unbefangenheit die Bür- ste vom Nagel, die unter dem Spiegel hing, und bürstete sich ruhig das Mehl vom Ermel; die Müllerin lief ganz beschämt aus der Stube, aber der Müller lächelte und ließ sich nicht im geringsten aus der Fassung bringen. Er sprach viel von seinem Stande und seinem Geschäft. Seine sparsamen, ruhigen Worte, und die Ueberzeugung der Wichtigkeit, mit denen er die Sorgen und Freuden davon schilderte, ohne ir- gend einen andern Stand im Leben unnöthig, und mit affektirter Verachtung mit dem seinigen zu vergleichen, gab ihm eine Würde, der Flo- rentin mit Ehrerbietung begegnen mußte. Er gedachte dabey mit einem Gefühl von Beschä- mung an die Unruhe, mit der er selbst sich um- trieb, um einen Zweck zu finden, der seinem Leben Werth und Bestimmung gäbe.
Der Müller bemerkte endlich, es wäre nun wohl Zeit für ihn, sich zu Bett zu legen; Floren- tin bot ihm eine gute Nacht, und war im Be-
Mannes und ſein guter Verſtand gefielen ihm immer beſſer. Florentin nahm, waͤhrend er ſprach, mit der groͤßten Unbefangenheit die Buͤr- ſte vom Nagel, die unter dem Spiegel hing, und buͤrſtete ſich ruhig das Mehl vom Ermel; die Muͤllerin lief ganz beſchaͤmt aus der Stube, aber der Muͤller laͤchelte und ließ ſich nicht im geringſten aus der Faſſung bringen. Er ſprach viel von ſeinem Stande und ſeinem Geſchaͤft. Seine ſparſamen, ruhigen Worte, und die Ueberzeugung der Wichtigkeit, mit denen er die Sorgen und Freuden davon ſchilderte, ohne ir- gend einen andern Stand im Leben unnoͤthig, und mit affektirter Verachtung mit dem ſeinigen zu vergleichen, gab ihm eine Wuͤrde, der Flo- rentin mit Ehrerbietung begegnen mußte. Er gedachte dabey mit einem Gefuͤhl von Beſchaͤ- mung an die Unruhe, mit der er ſelbſt ſich um- trieb, um einen Zweck zu finden, der ſeinem Leben Werth und Beſtimmung gaͤbe.
Der Muͤller bemerkte endlich, es waͤre nun wohl Zeit fuͤr ihn, ſich zu Bett zu legen; Floren- tin bot ihm eine gute Nacht, und war im Be-
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Mannes und ſein guter Verſtand gefielen ihm
immer beſſer. Florentin nahm, waͤhrend er
ſprach, mit der groͤßten Unbefangenheit die Buͤr-
ſte vom Nagel, die unter dem Spiegel hing,
und buͤrſtete ſich ruhig das Mehl vom Ermel;
die Muͤllerin lief ganz beſchaͤmt aus der Stube,
aber der Muͤller laͤchelte und ließ ſich nicht im
geringſten aus der Faſſung bringen. Er ſprach
viel von ſeinem Stande und ſeinem Geſchaͤft.
Seine ſparſamen, ruhigen Worte, und die
Ueberzeugung der Wichtigkeit, mit denen er die
Sorgen und Freuden davon ſchilderte, ohne ir-
gend einen andern Stand im Leben unnoͤthig,
und mit affektirter Verachtung mit dem ſeinigen
zu vergleichen, gab ihm eine Wuͤrde, der Flo-
rentin mit Ehrerbietung begegnen mußte. Er
gedachte dabey mit einem Gefuͤhl von Beſchaͤ-
mung an die Unruhe, mit der er ſelbſt ſich um-
trieb, um einen Zweck zu finden, der ſeinem
Leben Werth und Beſtimmung gaͤbe.
Der Muͤller bemerkte endlich, es waͤre nun
wohl Zeit fuͤr ihn, ſich zu Bett zu legen; Floren-
tin bot ihm eine gute Nacht, und war im Be-
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/230>, abgerufen am 22.11.2024.
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