Vater meines Freundes gefunden zu haben. Jetzt gedachte ich auch meiner armen Schwester, die, wie ich mir einbildete, in derselben angst- vollen Lage seufzte. Der Marchese erkundigte sich näher nach ihr; da nahm Manfredi das Wort, und beschrieb ihre rührende Schönheit, ihre Sanftmuth und Geduld mit einiger Wär- me. Der Marchese hörte ihn ernsthaft an, und sagte dann: Es thut mir leid, für Jhre Schwester kann ich nichts thun; Familien Ver- hältnisse machen es für die Töchter oft zur Noth- wendigkeit den Schleyer zu nehmen, und nach allem, was mir Manfredi sagt, scheint sie sich recht gut in dieses Schicksal zu fügen. Jch wollte ihm vom Gegentheil überzeugen: -- Nein, nein, fuhr er fort, es geht nicht an, für Jhre Schwester läßt sich nichts thun, und es wäre sehr gut, wenn ihr junge Herrn ihr nicht Hoffnung machtet, und sie von dem Wege ablenktet, den sie gehen muß. Was aber Sie betrifft, verhalten Sie sich ganz ruhig, Sie sollen bald frey seyn. Ein Jüngling sollte niemals zum Kloster bestimmt werden, so lan-
Vater meines Freundes gefunden zu haben. Jetzt gedachte ich auch meiner armen Schweſter, die, wie ich mir einbildete, in derſelben angſt- vollen Lage ſeufzte. Der Marcheſe erkundigte ſich naͤher nach ihr; da nahm Manfredi das Wort, und beſchrieb ihre ruͤhrende Schoͤnheit, ihre Sanftmuth und Geduld mit einiger Waͤr- me. Der Marcheſe hoͤrte ihn ernſthaft an, und ſagte dann: Es thut mir leid, fuͤr Jhre Schweſter kann ich nichts thun; Familien Ver- haͤltniſſe machen es fuͤr die Toͤchter oft zur Noth- wendigkeit den Schleyer zu nehmen, und nach allem, was mir Manfredi ſagt, ſcheint ſie ſich recht gut in dieſes Schickſal zu fuͤgen. Jch wollte ihm vom Gegentheil uͤberzeugen: — Nein, nein, fuhr er fort, es geht nicht an, fuͤr Jhre Schweſter laͤßt ſich nichts thun, und es waͤre ſehr gut, wenn ihr junge Herrn ihr nicht Hoffnung machtet, und ſie von dem Wege ablenktet, den ſie gehen muß. Was aber Sie betrifft, verhalten Sie ſich ganz ruhig, Sie ſollen bald frey ſeyn. Ein Juͤngling ſollte niemals zum Kloſter beſtimmt werden, ſo lan-
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Vater meines Freundes gefunden zu haben.
Jetzt gedachte ich auch meiner armen Schweſter,
die, wie ich mir einbildete, in derſelben angſt-
vollen Lage ſeufzte. Der Marcheſe erkundigte
ſich naͤher nach ihr; da nahm Manfredi das
Wort, und beſchrieb ihre ruͤhrende Schoͤnheit,
ihre Sanftmuth und Geduld mit einiger Waͤr-
me. Der Marcheſe hoͤrte ihn ernſthaft an,
und ſagte dann: Es thut mir leid, fuͤr Jhre
Schweſter kann ich nichts thun; Familien Ver-
haͤltniſſe machen es fuͤr die Toͤchter oft zur Noth-
wendigkeit den Schleyer zu nehmen, und nach
allem, was mir Manfredi ſagt, ſcheint ſie ſich
recht gut in dieſes Schickſal zu fuͤgen. Jch
wollte ihm vom Gegentheil uͤberzeugen: —
Nein, nein, fuhr er fort, es geht nicht an,
fuͤr Jhre Schweſter laͤßt ſich nichts thun, und
es waͤre ſehr gut, wenn ihr junge Herrn ihr
nicht Hoffnung machtet, und ſie von dem
Wege ablenktet, den ſie gehen muß. Was
aber Sie betrifft, verhalten Sie ſich ganz ruhig,
Sie ſollen bald frey ſeyn. Ein Juͤngling ſollte
niemals zum Kloſter beſtimmt werden, ſo lan-
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/131>, abgerufen am 27.11.2024.
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