noch nicht bekannt ist, das Nichts hat, Nichts kennt als den gegenwärtigen Moment, an dem es mit allen Sinnen, mit aller Kraft und Begierde seiner empfangenden See- le hängt; wenn es abhängig von fremder Laune, fremder Absicht, seine frohen Wün- sche, die natürlichen Gefährten seines Al- ters unterdrücken muß, so daß selbst diese ihm fremd werden ... gewiß hat ein jeder dieß irgend einmal erfahren: aber die mei- sten vergessen diesen peinvollen Zustand wie- der, sobald sie darüber hinaus sind. Ja oft rächen sie sich für das ausgestandne Ue- bel wiederum an ihren Kindern, so wie die- jenigen gegen ihre Untergebenen am härte- sten verfahren, die selbst aus dem Stand der Dienstbarkeit sind. Kinder werden von einer Generation auf die andre als ange- bohrnes Eigenthum angesehen, das man zu seinem eigenen Vortheil, oder nach Laune, bearbeitet und benutzt. Nun, wenn es un- abänderlich so bleiben muß, so ist es nur eine Jnkonsequenz, daß die Eltern nicht
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noch nicht bekannt iſt, das Nichts hat, Nichts kennt als den gegenwaͤrtigen Moment, an dem es mit allen Sinnen, mit aller Kraft und Begierde ſeiner empfangenden See- le haͤngt; wenn es abhaͤngig von fremder Laune, fremder Abſicht, ſeine frohen Wuͤn- ſche, die natuͤrlichen Gefaͤhrten ſeines Al- ters unterdruͤcken muß, ſo daß ſelbſt dieſe ihm fremd werden … gewiß hat ein jeder dieß irgend einmal erfahren: aber die mei- ſten vergeſſen dieſen peinvollen Zuſtand wie- der, ſobald ſie daruͤber hinaus ſind. Ja oft raͤchen ſie ſich fuͤr das ausgeſtandne Ue- bel wiederum an ihren Kindern, ſo wie die- jenigen gegen ihre Untergebenen am haͤrte- ſten verfahren, die ſelbſt aus dem Stand der Dienſtbarkeit ſind. Kinder werden von einer Generation auf die andre als ange- bohrnes Eigenthum angeſehen, das man zu ſeinem eigenen Vortheil, oder nach Laune, bearbeitet und benutzt. Nun, wenn es un- abaͤnderlich ſo bleiben muß, ſo iſt es nur eine Jnkonſequenz, daß die Eltern nicht
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noch nicht bekannt iſt, das Nichts hat,
Nichts kennt als den gegenwaͤrtigen Moment,
an dem es mit allen Sinnen, mit aller
Kraft und Begierde ſeiner empfangenden See-
le haͤngt; wenn es abhaͤngig von fremder
Laune, fremder Abſicht, ſeine frohen Wuͤn-
ſche, die natuͤrlichen Gefaͤhrten ſeines Al-
ters unterdruͤcken muß, ſo daß ſelbſt dieſe
ihm fremd werden … gewiß hat ein jeder
dieß irgend einmal erfahren: aber die mei-
ſten vergeſſen dieſen peinvollen Zuſtand wie-
der, ſobald ſie daruͤber hinaus ſind. Ja
oft raͤchen ſie ſich fuͤr das ausgeſtandne Ue-
bel wiederum an ihren Kindern, ſo wie die-
jenigen gegen ihre Untergebenen am haͤrte-
ſten verfahren, die ſelbſt aus dem Stand
der Dienſtbarkeit ſind. Kinder werden von
einer Generation auf die andre als ange-
bohrnes Eigenthum angeſehen, das man zu
ſeinem eigenen Vortheil, oder nach Laune,
bearbeitet und benutzt. Nun, wenn es un-
abaͤnderlich ſo bleiben muß, ſo iſt es nur
eine Jnkonſequenz, daß die Eltern nicht
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/107>, abgerufen am 25.11.2024.
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