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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

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Er führte mich in das für uns bestimm-
te Zimmer, es war ganz entlegen, und
vom geräuschvollen Theile des Hauses ent-
fernt. Eine große schwere Thüre, am En-
de eines finstern Ganges ward aufgethan.
Wir traten hinein, eine kalte Luft umfing
mich, ich schauderte, und derselbe Schau-
der überfiel mich jedesmal, wenn ich hin-
einkam. Das Zimmer war groß und hoch,
gothisch gewölbt, die Fenster ganz oben,
und zum Ueberfluß noch vergittert, die nack-
ten grauen Wände nur von finstern Heiligen-
bildern verziert. Am einen Ende bedeckte
ein großes Kruzifix einen Theil der Wand;
drunter ein Tisch, worauf eine Decke und
zwey große Kerzen sich befanden, gegen über
unsre Betten, zwei Tische mit Schreibe-Zu-
behör, ein Repositorium mit Büchern
und einige Stühle: das war alles, was
diese Gruft enthielt, in der ich vier lange,
bange Jahre mit meinem gespensterhaften
Aufseher, unter unaufhörlichem Zwang ver-
leben mußte. Jch mochte ungesähr zehn Jahr

Florentin. I. 7

Er fuͤhrte mich in das fuͤr uns beſtimm-
te Zimmer, es war ganz entlegen, und
vom geraͤuſchvollen Theile des Hauſes ent-
fernt. Eine große ſchwere Thuͤre, am En-
de eines finſtern Ganges ward aufgethan.
Wir traten hinein, eine kalte Luft umfing
mich, ich ſchauderte, und derſelbe Schau-
der uͤberfiel mich jedesmal, wenn ich hin-
einkam. Das Zimmer war groß und hoch,
gothiſch gewoͤlbt, die Fenſter ganz oben,
und zum Ueberfluß noch vergittert, die nack-
ten grauen Waͤnde nur von finſtern Heiligen-
bildern verziert. Am einen Ende bedeckte
ein großes Kruzifix einen Theil der Wand;
drunter ein Tiſch, worauf eine Decke und
zwey große Kerzen ſich befanden, gegen uͤber
unſre Betten, zwei Tiſche mit Schreibe-Zu-
behoͤr, ein Repoſitorium mit Buͤchern
und einige Stuͤhle: das war alles, was
dieſe Gruft enthielt, in der ich vier lange,
bange Jahre mit meinem geſpenſterhaften
Aufſeher, unter unaufhoͤrlichem Zwang ver-
leben mußte. Jch mochte ungeſaͤhr zehn Jahr

Florentin. I. 7
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[97/0105] Er fuͤhrte mich in das fuͤr uns beſtimm- te Zimmer, es war ganz entlegen, und vom geraͤuſchvollen Theile des Hauſes ent- fernt. Eine große ſchwere Thuͤre, am En- de eines finſtern Ganges ward aufgethan. Wir traten hinein, eine kalte Luft umfing mich, ich ſchauderte, und derſelbe Schau- der uͤberfiel mich jedesmal, wenn ich hin- einkam. Das Zimmer war groß und hoch, gothiſch gewoͤlbt, die Fenſter ganz oben, und zum Ueberfluß noch vergittert, die nack- ten grauen Waͤnde nur von finſtern Heiligen- bildern verziert. Am einen Ende bedeckte ein großes Kruzifix einen Theil der Wand; drunter ein Tiſch, worauf eine Decke und zwey große Kerzen ſich befanden, gegen uͤber unſre Betten, zwei Tiſche mit Schreibe-Zu- behoͤr, ein Repoſitorium mit Buͤchern und einige Stuͤhle: das war alles, was dieſe Gruft enthielt, in der ich vier lange, bange Jahre mit meinem geſpenſterhaften Aufſeher, unter unaufhoͤrlichem Zwang ver- leben mußte. Jch mochte ungeſaͤhr zehn Jahr Florentin. I. 7

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Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/105>, abgerufen am 25.11.2024.