Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
Freitag, den 8. Februar 1822.

Das Herz ist ganz im Dunklen, ganz allein, möchte
man sagen, und weiß ganz allein alles besser. Nur wenn
man dahin sieht, findet man Erkenntniß; weil die verwirren-
den Lichter der ganzen Welt nicht hingelangen; und es wie
ein Maß einer andern Welt in uns lebt; als ein Ja, oder
Nein: sonst nichts. --


Vernunft weiß nur, daß sie Vernunft ist, wenn sie bis
zum Herzenswunsch, zum letzten Wollen hinführen kann: und
so ist Zusammenhang da für ein Meer von Dasein, vor und
hinter uns; und nicht kommt es auf unser schwankendes, un-
glückseliges Schiff an, in welches wir gebannt sind, welches
uns vor den guten und schlechten Ufern vorbeiführt, über wel-
ches wir keine Leitung üben. So sind auch die Ufer nur alles
für die, die das Element nicht kennen und sehen, welches sie
führt: nur die Orte, wo sie vorbei geführt werden. Für die
Besten ist das Element nur Trost und Leitung, in der har-
ten, schmeichelnden, unbesiegten Fahrt. Die sich umbringen,
stürzen sich in das Element. Dies enthält aber für uns keine
Bilder: und bildergierig, bilderschaffend, nachbildend, sind wir
gemacht. Alles ist Zwang; Zwang zur höchsten Freiheit und
Zusammenstimmung. --


Freitag, den 8. Februar 1822.

Das Herz iſt ganz im Dunklen, ganz allein, möchte
man ſagen, und weiß ganz allein alles beſſer. Nur wenn
man dahin ſieht, findet man Erkenntniß; weil die verwirren-
den Lichter der ganzen Welt nicht hingelangen; und es wie
ein Maß einer andern Welt in uns lebt; als ein Ja, oder
Nein: ſonſt nichts. —


Vernunft weiß nur, daß ſie Vernunft iſt, wenn ſie bis
zum Herzenswunſch, zum letzten Wollen hinführen kann: und
ſo iſt Zuſammenhang da für ein Meer von Daſein, vor und
hinter uns; und nicht kommt es auf unſer ſchwankendes, un-
glückſeliges Schiff an, in welches wir gebannt ſind, welches
uns vor den guten und ſchlechten Ufern vorbeiführt, über wel-
ches wir keine Leitung üben. So ſind auch die Ufer nur alles
für die, die das Element nicht kennen und ſehen, welches ſie
führt: nur die Orte, wo ſie vorbei geführt werden. Für die
Beſten iſt das Element nur Troſt und Leitung, in der har-
ten, ſchmeichelnden, unbeſiegten Fahrt. Die ſich umbringen,
ſtürzen ſich in das Element. Dies enthält aber für uns keine
Bilder: und bildergierig, bilderſchaffend, nachbildend, ſind wir
gemacht. Alles iſt Zwang; Zwang zur höchſten Freiheit und
Zuſammenſtimmung. —


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0069" n="61"/>
            <div n="3">
              <dateline> <hi rendition="#et">Freitag, den 8. Februar 1822.</hi> </dateline><lb/>
              <p>Das Herz i&#x017F;t ganz im Dunklen, ganz allein, möchte<lb/>
man &#x017F;agen, und weiß ganz allein alles be&#x017F;&#x017F;er. Nur wenn<lb/>
man <hi rendition="#g">da</hi>hin &#x017F;ieht, findet man Erkenntniß; weil die verwirren-<lb/>
den Lichter der ganzen Welt nicht hingelangen; und es wie<lb/>
ein Maß einer andern Welt in uns lebt; als ein Ja, oder<lb/>
Nein: &#x017F;on&#x017F;t nichts. &#x2014;</p>
            </div><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <div n="3">
              <p>Vernunft weiß nur, daß &#x017F;ie Vernunft i&#x017F;t, wenn &#x017F;ie bis<lb/>
zum Herzenswun&#x017F;ch, zum letzten Wollen hinführen kann: und<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t Zu&#x017F;ammenhang da für ein Meer von Da&#x017F;ein, vor und<lb/>
hinter uns; und nicht kommt es auf un&#x017F;er &#x017F;chwankendes, un-<lb/>
glück&#x017F;eliges Schiff an, in welches wir gebannt &#x017F;ind, welches<lb/>
uns vor den guten und &#x017F;chlechten Ufern vorbeiführt, über wel-<lb/>
ches wir keine Leitung üben. So &#x017F;ind auch die Ufer nur alles<lb/>
für die, die das Element nicht kennen und &#x017F;ehen, welches &#x017F;ie<lb/>
führt: nur die Orte, wo &#x017F;ie vorbei geführt werden. Für die<lb/>
Be&#x017F;ten i&#x017F;t das Element nur Tro&#x017F;t und Leitung, in der har-<lb/>
ten, &#x017F;chmeichelnden, unbe&#x017F;iegten Fahrt. Die &#x017F;ich umbringen,<lb/>
&#x017F;türzen &#x017F;ich in das Element. Dies enthält aber für uns keine<lb/>
Bilder: und bildergierig, bilder&#x017F;chaffend, nachbildend, &#x017F;ind wir<lb/>
gemacht. Alles i&#x017F;t Zwang; Zwang zur höch&#x017F;ten Freiheit und<lb/>
Zu&#x017F;ammen&#x017F;timmung. &#x2014;</p>
            </div>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0069] Freitag, den 8. Februar 1822. Das Herz iſt ganz im Dunklen, ganz allein, möchte man ſagen, und weiß ganz allein alles beſſer. Nur wenn man dahin ſieht, findet man Erkenntniß; weil die verwirren- den Lichter der ganzen Welt nicht hingelangen; und es wie ein Maß einer andern Welt in uns lebt; als ein Ja, oder Nein: ſonſt nichts. — Vernunft weiß nur, daß ſie Vernunft iſt, wenn ſie bis zum Herzenswunſch, zum letzten Wollen hinführen kann: und ſo iſt Zuſammenhang da für ein Meer von Daſein, vor und hinter uns; und nicht kommt es auf unſer ſchwankendes, un- glückſeliges Schiff an, in welches wir gebannt ſind, welches uns vor den guten und ſchlechten Ufern vorbeiführt, über wel- ches wir keine Leitung üben. So ſind auch die Ufer nur alles für die, die das Element nicht kennen und ſehen, welches ſie führt: nur die Orte, wo ſie vorbei geführt werden. Für die Beſten iſt das Element nur Troſt und Leitung, in der har- ten, ſchmeichelnden, unbeſiegten Fahrt. Die ſich umbringen, ſtürzen ſich in das Element. Dies enthält aber für uns keine Bilder: und bildergierig, bilderſchaffend, nachbildend, ſind wir gemacht. Alles iſt Zwang; Zwang zur höchſten Freiheit und Zuſammenſtimmung. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/69
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/69>, abgerufen am 22.12.2024.