Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Frau von Lubienska, ob sie Goethens Wanderjahre schon ge-
lesen habe? Nein, sagte sie, ich habe sie aber, und werde sie
alsbald anfangen. Pourquoi lire de choses pareilles? sprach
Fürst S --, der General, drein; l'on voit tout de suite que
cet homme n'a jamais frequente la bonne societe; et quel
monde il a vu.
E. erzählte mir es gleich nachher; und wollte
aus der Haut fahren; und ich schreibe es auf, weil so etwas
nicht verloren gehen muß. E. gab mir sein Ehrenwort, daß
es buchstäblich so übereinanderging, weil ich zweiflen wollte.
Auch hatte jener schon, als E. den Herzog von Weimar zu
kennen wünschte, und hinzusetzte, schon deßwegen, weil er so
große Talente um sich gesammelt, und Goethen zum Freund
habe, -- gesagt, der Herzog habe mauvais ton, et que l'on
voyait tout de suite qu'il frequente, etc.
--




Der Leute Gespräche sind gefährlich, die nur erzählen,
nie ergründen, beurtheilen, erwägen und bemerken. Sie spre-
chen gleichsam ohne Linienblatt; gerathen in's Klatschen, da
sie sich und Andere unterhalten wollen; sie haben weder Ziel
noch Damm, nur einen kleinen Zweck, und zu diesem kleinen
Zweck noch kleinere Mittel.



Güte Dichter haben ein Bild in der Seele, und sind ge-
trieben es darzustellen: andere treiben sich, Bilder zu machen.




An

Frau von Lubienska, ob ſie Goethens Wanderjahre ſchon ge-
leſen habe? Nein, ſagte ſie, ich habe ſie aber, und werde ſie
alsbald anfangen. Pourquoi lire de choses pareilles? ſprach
Fürſt S —, der General, drein; l’on voit tout de suite que
cet homme n’a jamais fréquenté la bonne société; et quel
monde il a vu.
E. erzählte mir es gleich nachher; und wollte
aus der Haut fahren; und ich ſchreibe es auf, weil ſo etwas
nicht verloren gehen muß. E. gab mir ſein Ehrenwort, daß
es buchſtäblich ſo übereinanderging, weil ich zweiflen wollte.
Auch hatte jener ſchon, als E. den Herzog von Weimar zu
kennen wünſchte, und hinzuſetzte, ſchon deßwegen, weil er ſo
große Talente um ſich geſammelt, und Goethen zum Freund
habe, — geſagt, der Herzog habe mauvais ton, et que l’on
voyait tout de suite qu’il fréquente, etc.




Der Leute Geſpräche ſind gefährlich, die nur erzählen,
nie ergründen, beurtheilen, erwägen und bemerken. Sie ſpre-
chen gleichſam ohne Linienblatt; gerathen in’s Klatſchen, da
ſie ſich und Andere unterhalten wollen; ſie haben weder Ziel
noch Damm, nur einen kleinen Zweck, und zu dieſem kleinen
Zweck noch kleinere Mittel.



Güte Dichter haben ein Bild in der Seele, und ſind ge-
trieben es darzuſtellen: andere treiben ſich, Bilder zu machen.




An
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <postscript>
              <p><pb facs="#f0056" n="48"/>
Frau von Lubienska, ob &#x017F;ie Goethens Wanderjahre &#x017F;chon ge-<lb/>
le&#x017F;en habe? Nein, &#x017F;agte &#x017F;ie, ich habe &#x017F;ie aber, und werde &#x017F;ie<lb/>
alsbald anfangen. <hi rendition="#aq">Pourquoi lire de choses pareilles?</hi> &#x017F;prach<lb/>
Für&#x017F;t S &#x2014;, der General, drein; <hi rendition="#aq">l&#x2019;on voit tout de suite que<lb/>
cet homme n&#x2019;a jamais fréquenté la bonne société; et quel<lb/>
monde il a vu.</hi> E. erzählte mir es gleich nachher; und wollte<lb/>
aus der Haut fahren; und ich &#x017F;chreibe es auf, weil &#x017F;o etwas<lb/>
nicht verloren gehen muß. E. gab mir &#x017F;ein Ehrenwort, daß<lb/>
es buch&#x017F;täblich &#x017F;o übereinanderging, weil ich zweiflen wollte.<lb/>
Auch hatte jener &#x017F;chon, als E. den Herzog von Weimar zu<lb/>
kennen wün&#x017F;chte, und hinzu&#x017F;etzte, &#x017F;chon deßwegen, weil er &#x017F;o<lb/>
große Talente um &#x017F;ich ge&#x017F;ammelt, und Goethen zum Freund<lb/>
habe, &#x2014; ge&#x017F;agt, der Herzog habe <hi rendition="#aq">mauvais ton, et que l&#x2019;on<lb/>
voyait tout de suite qu&#x2019;il fréquente, etc.</hi> &#x2014;</p>
            </postscript>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Donnerstag, den 13. September 1821.</hi> </dateline><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Der</hi> Leute Ge&#x017F;präche &#x017F;ind gefährlich, die nur erzählen,<lb/>
nie ergründen, beurtheilen, erwägen und bemerken. Sie &#x017F;pre-<lb/>
chen gleich&#x017F;am ohne Linienblatt; gerathen in&#x2019;s Klat&#x017F;chen, da<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich und Andere unterhalten wollen; &#x017F;ie haben weder Ziel<lb/>
noch Damm, nur einen kleinen Zweck, und zu die&#x017F;em kleinen<lb/>
Zweck noch kleinere Mittel.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <p>Güte Dichter haben ein Bild in der Seele, und &#x017F;ind ge-<lb/>
trieben es darzu&#x017F;tellen: andere treiben &#x017F;ich, Bilder zu machen.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <fw place="bottom" type="catch">An</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0056] Frau von Lubienska, ob ſie Goethens Wanderjahre ſchon ge- leſen habe? Nein, ſagte ſie, ich habe ſie aber, und werde ſie alsbald anfangen. Pourquoi lire de choses pareilles? ſprach Fürſt S —, der General, drein; l’on voit tout de suite que cet homme n’a jamais fréquenté la bonne société; et quel monde il a vu. E. erzählte mir es gleich nachher; und wollte aus der Haut fahren; und ich ſchreibe es auf, weil ſo etwas nicht verloren gehen muß. E. gab mir ſein Ehrenwort, daß es buchſtäblich ſo übereinanderging, weil ich zweiflen wollte. Auch hatte jener ſchon, als E. den Herzog von Weimar zu kennen wünſchte, und hinzuſetzte, ſchon deßwegen, weil er ſo große Talente um ſich geſammelt, und Goethen zum Freund habe, — geſagt, der Herzog habe mauvais ton, et que l’on voyait tout de suite qu’il fréquente, etc. — Donnerstag, den 13. September 1821. Der Leute Geſpräche ſind gefährlich, die nur erzählen, nie ergründen, beurtheilen, erwägen und bemerken. Sie ſpre- chen gleichſam ohne Linienblatt; gerathen in’s Klatſchen, da ſie ſich und Andere unterhalten wollen; ſie haben weder Ziel noch Damm, nur einen kleinen Zweck, und zu dieſem kleinen Zweck noch kleinere Mittel. Güte Dichter haben ein Bild in der Seele, und ſind ge- trieben es darzuſtellen: andere treiben ſich, Bilder zu machen. An

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/56
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/56>, abgerufen am 22.12.2024.