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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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und da das Schlechte doch nur eine Negation ist: so tritt es
zurück: und selbst wählen würden wir so die Steigerung.
Ganz gut kann nichts werden: warum -- da es eigentlich
keine Zeit giebt -- wäre es nicht jetzt schon ganz gut? --
Das alles humainement vu. Wir können ja ein neues Be-
greifungsvermögen bekommen, oder werden! -- Schon längst
bin ich so durchdrungen, so übersättigt von Geduld und Ab-
scheu: daß ich Abends dem Himmel danke für das, was ich
nicht weiß: und so mich auf die einzig mögliche Weise der
Unschuld freue. (All sich hierauf Beziehendes habe ich längst
aufgeschrieben.) So steht's mit mir: so hatte ich die Influ-
enza, wie nur fünf in Berlin; acht Wochen schwach und
elend davon: dann die Cholera-Furcht!!! Die Sperre, die
Diät: dann ein Augenübel bei all meinen andern. Und doch
nicht unglücklicher als sonst. Mein Augenübel ist nervös, und
leidet wohl Lesen, aber nicht Schreiben. Deßhalb aber schwieg
ich nicht. Sondern weil Sie nie antworten, wenn Sie
auch Einmal so gnädig sind zu schreiben. Ich bedarf Ant-
wort. Aber "Ich mache mir wohl noch was aus Ihnen!"
Liebe ist Überzeugung, wie Abscheu: unvertilgbar. Aber was
thut's! Ich kann Sie ja lieben; ohne daß Sie danach Nach-
frage thun: noch ich selbst in mir. Was Menschen lernen
können, habe ich gelernt: und Großes durch Sie. Ich habe
auch Sie missen gelernt: seit Prag. Getrennt sind wir ohne-
hin. Kindisch habe ich mich vorvorgestern mit Fanny gefreut;
und mit dem Schwan. Armer Freund. Armer Glücklicher;
dem noch solch Glück entzogen werden kann. Sehn Sie,
daß Wunder möglich sind; noch in diesem Erdengefängniß. --

und da das Schlechte doch nur eine Negation iſt: ſo tritt es
zurück: und ſelbſt wählen würden wir ſo die Steigerung.
Ganz gut kann nichts werden: warum — da es eigentlich
keine Zeit giebt — wäre es nicht jetzt ſchon ganz gut? —
Das alles humainement vu. Wir können ja ein neues Be-
greifungsvermögen bekommen, oder werden! — Schon längſt
bin ich ſo durchdrungen, ſo überſättigt von Geduld und Ab-
ſcheu: daß ich Abends dem Himmel danke für das, was ich
nicht weiß: und ſo mich auf die einzig mögliche Weiſe der
Unſchuld freue. (All ſich hierauf Beziehendes habe ich längſt
aufgeſchrieben.) So ſteht’s mit mir: ſo hatte ich die Influ-
enza, wie nur fünf in Berlin; acht Wochen ſchwach und
elend davon: dann die Cholera-Furcht!!! Die Sperre, die
Diät: dann ein Augenübel bei all meinen andern. Und doch
nicht unglücklicher als ſonſt. Mein Augenübel iſt nervös, und
leidet wohl Leſen, aber nicht Schreiben. Deßhalb aber ſchwieg
ich nicht. Sondern weil Sie nie antworten, wenn Sie
auch Einmal ſo gnädig ſind zu ſchreiben. Ich bedarf Ant-
wort. Aber „Ich mache mir wohl noch was aus Ihnen!“
Liebe iſt Überzeugung, wie Abſcheu: unvertilgbar. Aber was
thut’s! Ich kann Sie ja lieben; ohne daß Sie danach Nach-
frage thun: noch ich ſelbſt in mir. Was Menſchen lernen
können, habe ich gelernt: und Großes durch Sie. Ich habe
auch Sie miſſen gelernt: ſeit Prag. Getrennt ſind wir ohne-
hin. Kindiſch habe ich mich vorvorgeſtern mit Fanny gefreut;
und mit dem Schwan. Armer Freund. Armer Glücklicher;
dem noch ſolch Glück entzogen werden kann. Sehn Sie,
daß Wunder möglich ſind; noch in dieſem Erdengefängniß. —

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[543/0551] und da das Schlechte doch nur eine Negation iſt: ſo tritt es zurück: und ſelbſt wählen würden wir ſo die Steigerung. Ganz gut kann nichts werden: warum — da es eigentlich keine Zeit giebt — wäre es nicht jetzt ſchon ganz gut? — Das alles humainement vu. Wir können ja ein neues Be- greifungsvermögen bekommen, oder werden! — Schon längſt bin ich ſo durchdrungen, ſo überſättigt von Geduld und Ab- ſcheu: daß ich Abends dem Himmel danke für das, was ich nicht weiß: und ſo mich auf die einzig mögliche Weiſe der Unſchuld freue. (All ſich hierauf Beziehendes habe ich längſt aufgeſchrieben.) So ſteht’s mit mir: ſo hatte ich die Influ- enza, wie nur fünf in Berlin; acht Wochen ſchwach und elend davon: dann die Cholera-Furcht!!! Die Sperre, die Diät: dann ein Augenübel bei all meinen andern. Und doch nicht unglücklicher als ſonſt. Mein Augenübel iſt nervös, und leidet wohl Leſen, aber nicht Schreiben. Deßhalb aber ſchwieg ich nicht. Sondern weil Sie nie antworten, wenn Sie auch Einmal ſo gnädig ſind zu ſchreiben. Ich bedarf Ant- wort. Aber „Ich mache mir wohl noch was aus Ihnen!“ Liebe iſt Überzeugung, wie Abſcheu: unvertilgbar. Aber was thut’s! Ich kann Sie ja lieben; ohne daß Sie danach Nach- frage thun: noch ich ſelbſt in mir. Was Menſchen lernen können, habe ich gelernt: und Großes durch Sie. Ich habe auch Sie miſſen gelernt: ſeit Prag. Getrennt ſind wir ohne- hin. Kindiſch habe ich mich vorvorgeſtern mit Fanny gefreut; und mit dem Schwan. Armer Freund. Armer Glücklicher; dem noch ſolch Glück entzogen werden kann. Sehn Sie, daß Wunder möglich ſind; noch in dieſem Erdengefängniß. —

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/551>, abgerufen am 25.11.2024.