Zweckpunkt. Und das in einer Thätigkeit, in einer Schnellig- keit, die mir noch nie vorkam. Dabei den kühnsten Denk- muth, und jedes Resultat davon willig -- wenn auch verzwei- felt -- angenommen. Nun denken Sie sich eine solche unter Leuten. Unter reinen Menschen müßte ich wenigstens sein, Nur ein Punkt Mensch im Menschen, und ich hebe uns wie mit dem berühmten Hebel nach allen Welten. Spre- chen müßte ich Sie können: und in zwei Worten kennten Sie auch meine politisch-gesellige Lage. Ich rücke und rühre an nichts mehr: seit vielen Jahren; und ab fällt, was nicht hält: wie Blätter von einem gegendbeherrschenden Baum; den ich immer, im Reisen, einen Fürsten nenne; oft mit Familie, Volk; oft allein. Der große Todesgedanke -- das viele Sterben aller Bekannten, das man im Alter erlebt -- ist das ganze vollständige Gegengewicht dieser Phantasmago- rie, dieser gezwungenen Anleihe von Illusion. Dieser, der Tod, ist Eins mit dem Leben; wir werden's in diesem nicht los. Dieses Räthsel, diese Aufgabe des Denkens und des künf- tigen Seins, löscht mir alle Vorfallenheiten des Lebens, außer Blindheit, Kerker, Martern, überhaupt Schmerzen, ganz aus. Ich verachte nicht das Leben; das Gefühl von Dasein, die Denk- die Fühlfähigkeit, das große, heilige, amüsante Räthsel: diese Zerstückelung ist zu kolossal, zu augenscheinlich: auch für solche Augen, mit denen wir hier hausen und unsern Verkehr treiben. Ich habe Momente von wahrem Erschauen, wo mir blitzlang alles klar ist; wo ich weiß, was das ist, heilig. Eins ist gewiß, und das kann man hier mit den Jahren schon er- gründen und finden. Es steigert sich das Schlechte und Gute:
Zweckpunkt. Und das in einer Thätigkeit, in einer Schnellig- keit, die mir noch nie vorkam. Dabei den kühnſten Denk- muth, und jedes Reſultat davon willig — wenn auch verzwei- felt — angenommen. Nun denken Sie ſich eine ſolche unter Leuten. Unter reinen Menſchen müßte ich wenigſtens ſein, Nur ein Punkt Menſch im Menſchen, und ich hebe uns wie mit dem berühmten Hebel nach allen Welten. Spre- chen müßte ich Sie können: und in zwei Worten kennten Sie auch meine politiſch-geſellige Lage. Ich rücke und rühre an nichts mehr: ſeit vielen Jahren; und ab fällt, was nicht hält: wie Blätter von einem gegendbeherrſchenden Baum; den ich immer, im Reiſen, einen Fürſten nenne; oft mit Familie, Volk; oft allein. Der große Todesgedanke — das viele Sterben aller Bekannten, das man im Alter erlebt — iſt das ganze vollſtändige Gegengewicht dieſer Phantasmago- rie, dieſer gezwungenen Anleihe von Illuſion. Dieſer, der Tod, iſt Eins mit dem Leben; wir werden’s in dieſem nicht los. Dieſes Räthſel, dieſe Aufgabe des Denkens und des künf- tigen Seins, löſcht mir alle Vorfallenheiten des Lebens, außer Blindheit, Kerker, Martern, überhaupt Schmerzen, ganz aus. Ich verachte nicht das Leben; das Gefühl von Daſein, die Denk- die Fühlfähigkeit, das große, heilige, amüſante Räthſel: dieſe Zerſtückelung iſt zu koloſſal, zu augenſcheinlich: auch für ſolche Augen, mit denen wir hier hauſen und unſern Verkehr treiben. Ich habe Momente von wahrem Erſchauen, wo mir blitzlang alles klar iſt; wo ich weiß, was das iſt, heilig. Eins iſt gewiß, und das kann man hier mit den Jahren ſchon er- gründen und finden. Es ſteigert ſich das Schlechte und Gute:
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Zweckpunkt. Und das in einer Thätigkeit, in einer Schnellig-
keit, die mir noch nie vorkam. Dabei den kühnſten Denk-
muth, und jedes Reſultat davon willig — wenn auch verzwei-
felt — angenommen. Nun denken Sie ſich eine ſolche unter
Leuten. Unter reinen Menſchen müßte ich wenigſtens ſein,
Nur ein Punkt Menſch im Menſchen, und ich hebe uns
wie mit dem berühmten Hebel nach allen Welten. Spre-
chen müßte ich Sie können: und in zwei Worten kennten
Sie auch meine politiſch-geſellige Lage. Ich rücke und rühre
an nichts mehr: ſeit vielen Jahren; und ab fällt, was nicht
hält: wie Blätter von einem gegendbeherrſchenden Baum;
den ich immer, im Reiſen, einen Fürſten nenne; oft mit
Familie, Volk; oft allein. Der große Todesgedanke — das
viele Sterben aller Bekannten, das man im Alter erlebt —
iſt das ganze vollſtändige Gegengewicht dieſer Phantasmago-
rie, dieſer gezwungenen Anleihe von Illuſion. Dieſer, der
Tod, iſt Eins mit dem Leben; wir werden’s in dieſem nicht
los. Dieſes Räthſel, dieſe Aufgabe des Denkens und des künf-
tigen Seins, löſcht mir alle Vorfallenheiten des Lebens, außer
Blindheit, Kerker, Martern, überhaupt Schmerzen, ganz aus.
Ich verachte nicht das Leben; das Gefühl von Daſein, die
Denk- die Fühlfähigkeit, das große, heilige, amüſante Räthſel:
dieſe Zerſtückelung iſt zu koloſſal, zu augenſcheinlich: auch für
ſolche Augen, mit denen wir hier hauſen und unſern Verkehr
treiben. Ich habe Momente von wahrem Erſchauen, wo mir
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/550>, abgerufen am 25.11.2024.
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