Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

mehr: also viel ruhiger, als sonst. Nur Ärger kann ich nicht
ertragen: keine Bosheiten.

Ludwig Robert ist Gott Lob! nach Baden abgereist: da-
hin wollte ich auch: aber Varnhagen wollte nicht mit! -- !!!
Nun sitz' ich hier im Elendsmuß. Gott ist klüger als wir.
Vielleicht geht's auch glimpf vorüber. Alles fährt, läuft, thea-
tert, dinirt. musizirt hier wie immer: ich auch. Du sollst jetzt
Nachrichten bekommen: sei auch unbesorgt! Grüße Charles,
Louis, deine Tochter. Varnh. grüßt euch Alle herzlich! Und
wenn wir uns sehn künftigen Sommer, wollen wir recht la-
chen. Und noch mehr an die Armen geben. Gott befohlen.
Theure Rose! Wisse, daß man zu sechszig auch noch wie
zu dreißig und zwanzig ist: und so gewiß auch nach dem
Tod. Adieu! adieu! Hast du mich gekannt, so kennst du
mich.

Deine alte Rahel.


An Ludwig Robert, in Baden.


Schönes Wetter. 11 Morgens. In meiner Wohnstube.
Zehnter Tag der großen Krankheit.

Besinnungskrankheit nenn' ich's. -- Ich will mich wenig-
stens besinnen -- besinnen sollen wir uns: dazu will ich sie
anwenden; die dummen Phrasen immer mehr auszurotten: "Ich
muß doch nach meinem Stande leben," und solche unsinnige
Sünde mehr: "Der hat mich so traktirt, nun muß ich ihm auch
so und so viel Gerichte und den und den Wein geben." Das
sag' ich Ihnen, liebe Rike, die Sie diese Tendenz, theils aus

mehr: alſo viel ruhiger, als ſonſt. Nur Ärger kann ich nicht
ertragen: keine Bosheiten.

Ludwig Robert iſt Gott Lob! nach Baden abgereiſt: da-
hin wollte ich auch: aber Varnhagen wollte nicht mit! — !!!
Nun ſitz’ ich hier im Elendsmuß. Gott iſt klüger als wir.
Vielleicht geht’s auch glimpf vorüber. Alles fährt, läuft, thea-
tert, dinirt. muſizirt hier wie immer: ich auch. Du ſollſt jetzt
Nachrichten bekommen: ſei auch unbeſorgt! Grüße Charles,
Louis, deine Tochter. Varnh. grüßt euch Alle herzlich! Und
wenn wir uns ſehn künftigen Sommer, wollen wir recht la-
chen. Und noch mehr an die Armen geben. Gott befohlen.
Theure Roſe! Wiſſe, daß man zu ſechszig auch noch wie
zu dreißig und zwanzig iſt: und ſo gewiß auch nach dem
Tod. Adieu! adieu! Haſt du mich gekannt, ſo kennſt du
mich.

Deine alte Rahel.


An Ludwig Robert, in Baden.


Schönes Wetter. 11 Morgens. In meiner Wohnſtube.
Zehnter Tag der großen Krankheit.

Beſinnungskrankheit nenn’ ich’s. — Ich will mich wenig-
ſtens beſinnen — beſinnen ſollen wir uns: dazu will ich ſie
anwenden; die dummen Phraſen immer mehr auszurotten: „Ich
muß doch nach meinem Stande leben,“ und ſolche unſinnige
Sünde mehr: „Der hat mich ſo traktirt, nun muß ich ihm auch
ſo und ſo viel Gerichte und den und den Wein geben.“ Das
ſag’ ich Ihnen, liebe Rike, die Sie dieſe Tendenz, theils aus

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0526" n="518"/>
mehr: al&#x017F;o viel ruhiger, als &#x017F;on&#x017F;t. Nur Ärger kann ich nicht<lb/>
ertragen: keine Bosheiten.</p><lb/>
          <p>Ludwig Robert i&#x017F;t Gott Lob! nach Baden abgerei&#x017F;t: da-<lb/>
hin wollte ich auch: aber Varnhagen wollte nicht mit! &#x2014; !!!<lb/>
Nun &#x017F;itz&#x2019; ich hier im Elendsmuß. Gott i&#x017F;t klüger als wir.<lb/>
Vielleicht geht&#x2019;s auch glimpf vorüber. Alles fährt, läuft, thea-<lb/>
tert, dinirt. mu&#x017F;izirt hier wie immer: ich auch. Du &#x017F;oll&#x017F;t jetzt<lb/>
Nachrichten bekommen: &#x017F;ei auch unbe&#x017F;orgt! Grüße Charles,<lb/>
Louis, deine Tochter. Varnh. grüßt euch Alle herzlich! Und<lb/>
wenn wir uns <hi rendition="#g">&#x017F;ehn</hi> künftigen Sommer, wollen wir recht la-<lb/>
chen. Und <hi rendition="#g">noch mehr</hi> an die Armen geben. Gott befohlen.<lb/>
Theure Ro&#x017F;e! Wi&#x017F;&#x017F;e, daß man zu &#x017F;echszig auch noch <hi rendition="#g">wie</hi><lb/>
zu dreißig und zwanzig i&#x017F;t: und &#x017F;o gewiß auch nach dem<lb/>
Tod. Adieu! adieu! Ha&#x017F;t du mich gekannt, &#x017F;o kenn&#x017F;t du<lb/>
mich.</p>
          <closer>
            <salute> <hi rendition="#et">Deine alte Rahel.</hi> </salute>
          </closer>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Ludwig Robert, in Baden.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Donnerstag, den 8. September 1831.</hi> </dateline><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Schönes Wetter. 11 Morgens. In meiner Wohn&#x017F;tube.<lb/>
Zehnter Tag der großen Krankheit.</hi> </p><lb/>
          <p>Be&#x017F;innungskrankheit nenn&#x2019; ich&#x2019;s. &#x2014; Ich will mich wenig-<lb/>
&#x017F;tens be&#x017F;innen &#x2014; be&#x017F;innen &#x017F;ollen wir uns: dazu will ich &#x017F;ie<lb/>
anwenden; die dummen Phra&#x017F;en immer mehr auszurotten: &#x201E;Ich<lb/>
muß doch nach meinem Stande leben,&#x201C; und &#x017F;olche <hi rendition="#g">un&#x017F;innige</hi><lb/>
Sünde mehr: &#x201E;Der hat <hi rendition="#g">mich</hi> &#x017F;o traktirt, nun muß ich ihm auch<lb/>
&#x017F;o und &#x017F;o viel Gerichte und den und den Wein geben.&#x201C; Das<lb/>
&#x017F;ag&#x2019; ich Ihnen, liebe Rike, die Sie die&#x017F;e Tendenz, theils aus<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[518/0526] mehr: alſo viel ruhiger, als ſonſt. Nur Ärger kann ich nicht ertragen: keine Bosheiten. Ludwig Robert iſt Gott Lob! nach Baden abgereiſt: da- hin wollte ich auch: aber Varnhagen wollte nicht mit! — !!! Nun ſitz’ ich hier im Elendsmuß. Gott iſt klüger als wir. Vielleicht geht’s auch glimpf vorüber. Alles fährt, läuft, thea- tert, dinirt. muſizirt hier wie immer: ich auch. Du ſollſt jetzt Nachrichten bekommen: ſei auch unbeſorgt! Grüße Charles, Louis, deine Tochter. Varnh. grüßt euch Alle herzlich! Und wenn wir uns ſehn künftigen Sommer, wollen wir recht la- chen. Und noch mehr an die Armen geben. Gott befohlen. Theure Roſe! Wiſſe, daß man zu ſechszig auch noch wie zu dreißig und zwanzig iſt: und ſo gewiß auch nach dem Tod. Adieu! adieu! Haſt du mich gekannt, ſo kennſt du mich. Deine alte Rahel. An Ludwig Robert, in Baden. Donnerstag, den 8. September 1831. Schönes Wetter. 11 Morgens. In meiner Wohnſtube. Zehnter Tag der großen Krankheit. Beſinnungskrankheit nenn’ ich’s. — Ich will mich wenig- ſtens beſinnen — beſinnen ſollen wir uns: dazu will ich ſie anwenden; die dummen Phraſen immer mehr auszurotten: „Ich muß doch nach meinem Stande leben,“ und ſolche unſinnige Sünde mehr: „Der hat mich ſo traktirt, nun muß ich ihm auch ſo und ſo viel Gerichte und den und den Wein geben.“ Das ſag’ ich Ihnen, liebe Rike, die Sie dieſe Tendenz, theils aus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/526
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/526>, abgerufen am 22.12.2024.