mehr: also viel ruhiger, als sonst. Nur Ärger kann ich nicht ertragen: keine Bosheiten.
Ludwig Robert ist Gott Lob! nach Baden abgereist: da- hin wollte ich auch: aber Varnhagen wollte nicht mit! -- !!! Nun sitz' ich hier im Elendsmuß. Gott ist klüger als wir. Vielleicht geht's auch glimpf vorüber. Alles fährt, läuft, thea- tert, dinirt. musizirt hier wie immer: ich auch. Du sollst jetzt Nachrichten bekommen: sei auch unbesorgt! Grüße Charles, Louis, deine Tochter. Varnh. grüßt euch Alle herzlich! Und wenn wir uns sehn künftigen Sommer, wollen wir recht la- chen. Und noch mehr an die Armen geben. Gott befohlen. Theure Rose! Wisse, daß man zu sechszig auch noch wie zu dreißig und zwanzig ist: und so gewiß auch nach dem Tod. Adieu! adieu! Hast du mich gekannt, so kennst du mich.
Deine alte Rahel.
An Ludwig Robert, in Baden.
Donnerstag, den 8. September 1831.
Schönes Wetter. 11 Morgens. In meiner Wohnstube. Zehnter Tag der großen Krankheit.
Besinnungskrankheit nenn' ich's. -- Ich will mich wenig- stens besinnen -- besinnen sollen wir uns: dazu will ich sie anwenden; die dummen Phrasen immer mehr auszurotten: "Ich muß doch nach meinem Stande leben," und solche unsinnige Sünde mehr: "Der hat mich so traktirt, nun muß ich ihm auch so und so viel Gerichte und den und den Wein geben." Das sag' ich Ihnen, liebe Rike, die Sie diese Tendenz, theils aus
mehr: alſo viel ruhiger, als ſonſt. Nur Ärger kann ich nicht ertragen: keine Bosheiten.
Ludwig Robert iſt Gott Lob! nach Baden abgereiſt: da- hin wollte ich auch: aber Varnhagen wollte nicht mit! — !!! Nun ſitz’ ich hier im Elendsmuß. Gott iſt klüger als wir. Vielleicht geht’s auch glimpf vorüber. Alles fährt, läuft, thea- tert, dinirt. muſizirt hier wie immer: ich auch. Du ſollſt jetzt Nachrichten bekommen: ſei auch unbeſorgt! Grüße Charles, Louis, deine Tochter. Varnh. grüßt euch Alle herzlich! Und wenn wir uns ſehn künftigen Sommer, wollen wir recht la- chen. Und noch mehr an die Armen geben. Gott befohlen. Theure Roſe! Wiſſe, daß man zu ſechszig auch noch wie zu dreißig und zwanzig iſt: und ſo gewiß auch nach dem Tod. Adieu! adieu! Haſt du mich gekannt, ſo kennſt du mich.
Deine alte Rahel.
An Ludwig Robert, in Baden.
Donnerstag, den 8. September 1831.
Schönes Wetter. 11 Morgens. In meiner Wohnſtube. Zehnter Tag der großen Krankheit.
Beſinnungskrankheit nenn’ ich’s. — Ich will mich wenig- ſtens beſinnen — beſinnen ſollen wir uns: dazu will ich ſie anwenden; die dummen Phraſen immer mehr auszurotten: „Ich muß doch nach meinem Stande leben,“ und ſolche unſinnige Sünde mehr: „Der hat mich ſo traktirt, nun muß ich ihm auch ſo und ſo viel Gerichte und den und den Wein geben.“ Das ſag’ ich Ihnen, liebe Rike, die Sie dieſe Tendenz, theils aus
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mehr: alſo viel ruhiger, als ſonſt. Nur Ärger kann ich nicht
ertragen: keine Bosheiten.
Ludwig Robert iſt Gott Lob! nach Baden abgereiſt: da-
hin wollte ich auch: aber Varnhagen wollte nicht mit! — !!!
Nun ſitz’ ich hier im Elendsmuß. Gott iſt klüger als wir.
Vielleicht geht’s auch glimpf vorüber. Alles fährt, läuft, thea-
tert, dinirt. muſizirt hier wie immer: ich auch. Du ſollſt jetzt
Nachrichten bekommen: ſei auch unbeſorgt! Grüße Charles,
Louis, deine Tochter. Varnh. grüßt euch Alle herzlich! Und
wenn wir uns ſehn künftigen Sommer, wollen wir recht la-
chen. Und noch mehr an die Armen geben. Gott befohlen.
Theure Roſe! Wiſſe, daß man zu ſechszig auch noch wie
zu dreißig und zwanzig iſt: und ſo gewiß auch nach dem
Tod. Adieu! adieu! Haſt du mich gekannt, ſo kennſt du
mich.
Deine alte Rahel.
An Ludwig Robert, in Baden.
Donnerstag, den 8. September 1831.
Schönes Wetter. 11 Morgens. In meiner Wohnſtube.
Zehnter Tag der großen Krankheit.
Beſinnungskrankheit nenn’ ich’s. — Ich will mich wenig-
ſtens beſinnen — beſinnen ſollen wir uns: dazu will ich ſie
anwenden; die dummen Phraſen immer mehr auszurotten: „Ich
muß doch nach meinem Stande leben,“ und ſolche unſinnige
Sünde mehr: „Der hat mich ſo traktirt, nun muß ich ihm auch
ſo und ſo viel Gerichte und den und den Wein geben.“ Das
ſag’ ich Ihnen, liebe Rike, die Sie dieſe Tendenz, theils aus
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/526>, abgerufen am 22.12.2024.
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