höchsten Sinn, an den Thaten, an dem Strom Ihres Geistes haben. Muß auch bei Ihnen, dennoch ein allgemein gel- tender Titel die Güter stemplen, die Sie auf der Erde ge- funden haben? Muß ich berühmt sein? Geschrieben haben, zu einer Sekte gehören, gepredigt haben, einen geistlichen Ti- tel besitzen? Von der Welt genehmigt sein, um Ihre Freun- din, Ihr Umgang zu bleiben? Was hat Schl. -- um den höchsten zum Exempel zu ziehn -- sonst als Freund vor mir voraus! Er wird sagen: nichts. Außer Kleinigkeiten, Nüan- cen, die ich auch wieder voraus habe. Warum soll ich grade lügen, wenn ich mich selbst beurtheile? Ich fände dies un- würdig: und solches muß in der gesitteten Welt aufhören. Irren kann ich mich gröblich: und dann, fordre ich von mei- ner Freundin, mir Gutgesinnten, Berichtigung. "Was konnte also wohl dies plötzliche Auseinanderreißen unsres Verkehrs veranlassen?" -- Das fragen Sie? Das ist, verschüchterte Freundin, was ich frage; und zu fragen habe. Ich bleibe überzeugt, Sie kommen wieder, und kehren sich ab von dem falschen Vorhaben, von falscher Scham erzeugt; und also von lauter falschen Gründen gestützt; die ich nie anerkenne! Was hätte wohl unserm Umgang die Unschuld geraubt, rau- ben können? Sie sind lange nicht gekommen: ich freue mich ja Ihrer Freiheit; die ich begehre, die Sie sich schaffen, die Ihnen -- könnte dies sein! -- mehr als jedem Menschen gebührt: kämpfen würd' ich für dies Ihr Gut: aber ganz sein Opfer mag ich nicht werden; und noch dazu, zu Ihrem eige- nen Schaden. Sie verlieren so viel an mir, als ich an Ih- nen; wenn wir uns nie wieder sehn wie vormals. Einem
höchſten Sinn, an den Thaten, an dem Strom Ihres Geiſtes haben. Muß auch bei Ihnen, dennoch ein allgemein gel- tender Titel die Güter ſtemplen, die Sie auf der Erde ge- funden haben? Muß ich berühmt ſein? Geſchrieben haben, zu einer Sekte gehören, gepredigt haben, einen geiſtlichen Ti- tel beſitzen? Von der Welt genehmigt ſein, um Ihre Freun- din, Ihr Umgang zu bleiben? Was hat Schl. — um den höchſten zum Exempel zu ziehn — ſonſt als Freund vor mir voraus! Er wird ſagen: nichts. Außer Kleinigkeiten, Nüan- cen, die ich auch wieder voraus habe. Warum ſoll ich grade lügen, wenn ich mich ſelbſt beurtheile? Ich fände dies un- würdig: und ſolches muß in der geſitteten Welt aufhören. Irren kann ich mich gröblich: und dann, fordre ich von mei- ner Freundin, mir Gutgeſinnten, Berichtigung. „Was konnte alſo wohl dies plötzliche Auseinanderreißen unſres Verkehrs veranlaſſen?“ — Das fragen Sie? Das iſt, verſchüchterte Freundin, was ich frage; und zu fragen habe. Ich bleibe überzeugt, Sie kommen wieder, und kehren ſich ab von dem falſchen Vorhaben, von falſcher Scham erzeugt; und alſo von lauter falſchen Gründen geſtützt; die ich nie anerkenne! Was hätte wohl unſerm Umgang die Unſchuld geraubt, rau- ben können? Sie ſind lange nicht gekommen: ich freue mich ja Ihrer Freiheit; die ich begehre, die Sie ſich ſchaffen, die Ihnen — könnte dies ſein! — mehr als jedem Menſchen gebührt: kämpfen würd’ ich für dies Ihr Gut: aber ganz ſein Opfer mag ich nicht werden; und noch dazu, zu Ihrem eige- nen Schaden. Sie verlieren ſo viel an mir, als ich an Ih- nen; wenn wir uns nie wieder ſehn wie vormals. Einem
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höchſten Sinn, an den Thaten, an dem Strom Ihres Geiſtes
haben. Muß auch bei Ihnen, dennoch ein allgemein gel-
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funden haben? Muß ich berühmt ſein? Geſchrieben haben,
zu einer Sekte gehören, gepredigt haben, einen geiſtlichen Ti-
tel beſitzen? Von der Welt genehmigt ſein, um Ihre Freun-
din, Ihr Umgang zu bleiben? Was hat Schl. — um den
höchſten zum Exempel zu ziehn — ſonſt als Freund vor mir
voraus! Er wird ſagen: nichts. Außer Kleinigkeiten, Nüan-
cen, die ich auch wieder voraus habe. Warum ſoll ich grade
lügen, wenn ich mich ſelbſt beurtheile? Ich fände dies un-
würdig: und ſolches muß in der geſitteten Welt aufhören.
Irren kann ich mich gröblich: und dann, fordre ich von mei-
ner Freundin, mir Gutgeſinnten, Berichtigung. „Was konnte
alſo wohl dies plötzliche Auseinanderreißen unſres Verkehrs
veranlaſſen?“ — Das fragen Sie? Das iſt, verſchüchterte
Freundin, was ich frage; und zu fragen habe. Ich bleibe
überzeugt, Sie kommen wieder, und kehren ſich ab von dem
falſchen Vorhaben, von falſcher Scham erzeugt; und alſo
von lauter falſchen Gründen geſtützt; die ich nie anerkenne!
Was hätte wohl unſerm Umgang die Unſchuld geraubt, rau-
ben können? Sie ſind lange nicht gekommen: ich freue mich
ja Ihrer Freiheit; die ich begehre, die Sie ſich ſchaffen, die
Ihnen — könnte dies ſein! — mehr als jedem Menſchen
gebührt: kämpfen würd’ ich für dies Ihr Gut: aber ganz ſein
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/522>, abgerufen am 25.11.2024.
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