sich noch, Liebe! wie wir hier gesellig immer beisammen lebten? mit so geringem Aufwand, so angenehm, neidlos, und immer neuer Lust wieder zusammen zu sein?! alles zerstoben! -- lau- ter neue Menschen: ich liebe die alten zu behalten: und neue zu besehn. Aber Eins liebt man, und das Andre hat man. Jedoch konservire ich mir fast mit Gewalt meine alten Be- kannten: durch Gedächtniß, Liebe, Zusammenhang im Innren, Behandlung, Freundschaft. Als Tugend sehe ich das nicht an, aber als Vergnügen. Und noch eine bizarre Behauptung schließt sich dieser Handlungsweise, diesem Geschmacke, dieser Behauptung an: nämlich die, daß nur treue Gemüthsarten des wahren Wankelmuths fähig sind: nur die, welche Men- schen und Gegenstände stark, beziehungs- und bewußtseinvoll aufzufassen vermögen, können auch leicht Neues aufnehmen, und begreifen. Die Andern leben zwischen Alten und Neuen, in dürrer Treue; oder in strohflammendem Wankelmuth. Wir wollen machen, als hätten wir uns gestern gesehn. Auch ist wenig dazwischen; was abgelebt ist, ist wie abgestorben; nur was wir wollten war sein Inhalt: und das wollen wir noch: also können wir gleich weiter leben; und schon ehe wir uns nur ansichtig werden; schon in einem Briefe. Und also bitte ich Sie hier um eine Gefälligkeit! Antworten Sie mir! Und auch recht kindisch: recht detaillirt. Und bald: und danu sagen Sie mir, was Mad. B. Constant macht: ich schrieb ihr bald nach des Mannes Tod; bat sie, mich durch Hrn. von Hum- boldt oder Sie etwas von sich erfahren zu lassen. Ich habe nichts erfahren. Auch ihrer Kousine, der Fürstin Pückler, hat sie nicht geantwortet. Gar zu gerne wüßte ich wie sie sich
ſich noch, Liebe! wie wir hier geſellig immer beiſammen lebten? mit ſo geringem Aufwand, ſo angenehm, neidlos, und immer neuer Luſt wieder zuſammen zu ſein?! alles zerſtoben! — lau- ter neue Menſchen: ich liebe die alten zu behalten: und neue zu beſehn. Aber Eins liebt man, und das Andre hat man. Jedoch konſervire ich mir faſt mit Gewalt meine alten Be- kannten: durch Gedächtniß, Liebe, Zuſammenhang im Innren, Behandlung, Freundſchaft. Als Tugend ſehe ich das nicht an, aber als Vergnügen. Und noch eine bizarre Behauptung ſchließt ſich dieſer Handlungsweiſe, dieſem Geſchmacke, dieſer Behauptung an: nämlich die, daß nur treue Gemüthsarten des wahren Wankelmuths fähig ſind: nur die, welche Men- ſchen und Gegenſtände ſtark, beziehungs- und bewußtſeinvoll aufzufaſſen vermögen, können auch leicht Neues aufnehmen, und begreifen. Die Andern leben zwiſchen Alten und Neuen, in dürrer Treue; oder in ſtrohflammendem Wankelmuth. Wir wollen machen, als hätten wir uns geſtern geſehn. Auch iſt wenig dazwiſchen; was abgelebt iſt, iſt wie abgeſtorben; nur was wir wollten war ſein Inhalt: und das wollen wir noch: alſo können wir gleich weiter leben; und ſchon ehe wir uns nur anſichtig werden; ſchon in einem Briefe. Und alſo bitte ich Sie hier um eine Gefälligkeit! Antworten Sie mir! Und auch recht kindiſch: recht detaillirt. Und bald: und danu ſagen Sie mir, was Mad. B. Conſtant macht: ich ſchrieb ihr bald nach des Mannes Tod; bat ſie, mich durch Hrn. von Hum- boldt oder Sie etwas von ſich erfahren zu laſſen. Ich habe nichts erfahren. Auch ihrer Kouſine, der Fürſtin Pückler, hat ſie nicht geantwortet. Gar zu gerne wüßte ich wie ſie ſich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0487"n="479"/>ſich noch, Liebe! wie wir hier geſellig immer beiſammen lebten?<lb/>
mit ſo geringem Aufwand, ſo angenehm, neidlos, und immer<lb/>
neuer Luſt wieder zuſammen zu ſein?! alles zerſtoben! — lau-<lb/>
ter neue Menſchen: ich liebe die alten zu behalten: und neue<lb/>
zu beſehn. Aber Eins liebt man, und das Andre hat man.<lb/>
Jedoch konſervire <hirendition="#g">ich</hi> mir faſt mit Gewalt meine alten Be-<lb/>
kannten: durch Gedächtniß, Liebe, Zuſammenhang im Innren,<lb/>
Behandlung, Freundſchaft. Als Tugend ſehe ich das nicht an,<lb/>
aber als Vergnügen. Und noch eine bizarre Behauptung<lb/>ſchließt ſich dieſer Handlungsweiſe, dieſem Geſchmacke, dieſer<lb/>
Behauptung an: nämlich die, daß nur treue Gemüthsarten<lb/>
des wahren Wankelmuths fähig ſind: nur die, welche Men-<lb/>ſchen und Gegenſtände ſtark, beziehungs- und bewußtſeinvoll<lb/>
aufzufaſſen vermögen, können auch leicht Neues aufnehmen,<lb/>
und begreifen. Die Andern leben <hirendition="#g">zwiſchen</hi> Alten und Neuen,<lb/>
in dürrer Treue; oder in ſtrohflammendem Wankelmuth. <hirendition="#g">Wir</hi><lb/>
wollen machen, als hätten wir uns <hirendition="#g">geſtern</hi> geſehn. Auch<lb/>
iſt wenig dazwiſchen; was abgelebt iſt, iſt wie abge<hirendition="#g">ſtorben</hi>;<lb/>
nur was wir <hirendition="#g">wollten</hi> war ſein Inhalt: und das wollen wir<lb/><hirendition="#g">noch</hi>: alſo können wir gleich weiter leben; und ſchon ehe wir<lb/>
uns nur anſichtig werden; ſchon in einem Briefe. Und alſo<lb/>
bitte ich Sie hier um eine Gefälligkeit! Antworten Sie mir!<lb/>
Und auch recht kindiſch: recht detaillirt. Und bald: und danu<lb/>ſagen Sie mir, was Mad. B. Conſtant macht: ich ſchrieb ihr<lb/>
bald nach des Mannes Tod; bat ſie, mich durch Hrn. von Hum-<lb/>
boldt oder Sie etwas von ſich erfahren zu laſſen. Ich habe<lb/>
nichts erfahren. Auch ihrer Kouſine, der Fürſtin Pückler, hat<lb/>ſie nicht geantwortet. Gar zu gerne wüßte ich wie ſie ſich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[479/0487]
ſich noch, Liebe! wie wir hier geſellig immer beiſammen lebten?
mit ſo geringem Aufwand, ſo angenehm, neidlos, und immer
neuer Luſt wieder zuſammen zu ſein?! alles zerſtoben! — lau-
ter neue Menſchen: ich liebe die alten zu behalten: und neue
zu beſehn. Aber Eins liebt man, und das Andre hat man.
Jedoch konſervire ich mir faſt mit Gewalt meine alten Be-
kannten: durch Gedächtniß, Liebe, Zuſammenhang im Innren,
Behandlung, Freundſchaft. Als Tugend ſehe ich das nicht an,
aber als Vergnügen. Und noch eine bizarre Behauptung
ſchließt ſich dieſer Handlungsweiſe, dieſem Geſchmacke, dieſer
Behauptung an: nämlich die, daß nur treue Gemüthsarten
des wahren Wankelmuths fähig ſind: nur die, welche Men-
ſchen und Gegenſtände ſtark, beziehungs- und bewußtſeinvoll
aufzufaſſen vermögen, können auch leicht Neues aufnehmen,
und begreifen. Die Andern leben zwiſchen Alten und Neuen,
in dürrer Treue; oder in ſtrohflammendem Wankelmuth. Wir
wollen machen, als hätten wir uns geſtern geſehn. Auch
iſt wenig dazwiſchen; was abgelebt iſt, iſt wie abgeſtorben;
nur was wir wollten war ſein Inhalt: und das wollen wir
noch: alſo können wir gleich weiter leben; und ſchon ehe wir
uns nur anſichtig werden; ſchon in einem Briefe. Und alſo
bitte ich Sie hier um eine Gefälligkeit! Antworten Sie mir!
Und auch recht kindiſch: recht detaillirt. Und bald: und danu
ſagen Sie mir, was Mad. B. Conſtant macht: ich ſchrieb ihr
bald nach des Mannes Tod; bat ſie, mich durch Hrn. von Hum-
boldt oder Sie etwas von ſich erfahren zu laſſen. Ich habe
nichts erfahren. Auch ihrer Kouſine, der Fürſtin Pückler, hat
ſie nicht geantwortet. Gar zu gerne wüßte ich wie ſie ſich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/487>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.