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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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sich noch, Liebe! wie wir hier gesellig immer beisammen lebten?
mit so geringem Aufwand, so angenehm, neidlos, und immer
neuer Lust wieder zusammen zu sein?! alles zerstoben! -- lau-
ter neue Menschen: ich liebe die alten zu behalten: und neue
zu besehn. Aber Eins liebt man, und das Andre hat man.
Jedoch konservire ich mir fast mit Gewalt meine alten Be-
kannten: durch Gedächtniß, Liebe, Zusammenhang im Innren,
Behandlung, Freundschaft. Als Tugend sehe ich das nicht an,
aber als Vergnügen. Und noch eine bizarre Behauptung
schließt sich dieser Handlungsweise, diesem Geschmacke, dieser
Behauptung an: nämlich die, daß nur treue Gemüthsarten
des wahren Wankelmuths fähig sind: nur die, welche Men-
schen und Gegenstände stark, beziehungs- und bewußtseinvoll
aufzufassen vermögen, können auch leicht Neues aufnehmen,
und begreifen. Die Andern leben zwischen Alten und Neuen,
in dürrer Treue; oder in strohflammendem Wankelmuth. Wir
wollen machen, als hätten wir uns gestern gesehn. Auch
ist wenig dazwischen; was abgelebt ist, ist wie abgestorben;
nur was wir wollten war sein Inhalt: und das wollen wir
noch: also können wir gleich weiter leben; und schon ehe wir
uns nur ansichtig werden; schon in einem Briefe. Und also
bitte ich Sie hier um eine Gefälligkeit! Antworten Sie mir!
Und auch recht kindisch: recht detaillirt. Und bald: und danu
sagen Sie mir, was Mad. B. Constant macht: ich schrieb ihr
bald nach des Mannes Tod; bat sie, mich durch Hrn. von Hum-
boldt oder Sie etwas von sich erfahren zu lassen. Ich habe
nichts erfahren. Auch ihrer Kousine, der Fürstin Pückler, hat
sie nicht geantwortet. Gar zu gerne wüßte ich wie sie sich

ſich noch, Liebe! wie wir hier geſellig immer beiſammen lebten?
mit ſo geringem Aufwand, ſo angenehm, neidlos, und immer
neuer Luſt wieder zuſammen zu ſein?! alles zerſtoben! — lau-
ter neue Menſchen: ich liebe die alten zu behalten: und neue
zu beſehn. Aber Eins liebt man, und das Andre hat man.
Jedoch konſervire ich mir faſt mit Gewalt meine alten Be-
kannten: durch Gedächtniß, Liebe, Zuſammenhang im Innren,
Behandlung, Freundſchaft. Als Tugend ſehe ich das nicht an,
aber als Vergnügen. Und noch eine bizarre Behauptung
ſchließt ſich dieſer Handlungsweiſe, dieſem Geſchmacke, dieſer
Behauptung an: nämlich die, daß nur treue Gemüthsarten
des wahren Wankelmuths fähig ſind: nur die, welche Men-
ſchen und Gegenſtände ſtark, beziehungs- und bewußtſeinvoll
aufzufaſſen vermögen, können auch leicht Neues aufnehmen,
und begreifen. Die Andern leben zwiſchen Alten und Neuen,
in dürrer Treue; oder in ſtrohflammendem Wankelmuth. Wir
wollen machen, als hätten wir uns geſtern geſehn. Auch
iſt wenig dazwiſchen; was abgelebt iſt, iſt wie abgeſtorben;
nur was wir wollten war ſein Inhalt: und das wollen wir
noch: alſo können wir gleich weiter leben; und ſchon ehe wir
uns nur anſichtig werden; ſchon in einem Briefe. Und alſo
bitte ich Sie hier um eine Gefälligkeit! Antworten Sie mir!
Und auch recht kindiſch: recht detaillirt. Und bald: und danu
ſagen Sie mir, was Mad. B. Conſtant macht: ich ſchrieb ihr
bald nach des Mannes Tod; bat ſie, mich durch Hrn. von Hum-
boldt oder Sie etwas von ſich erfahren zu laſſen. Ich habe
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[479/0487] ſich noch, Liebe! wie wir hier geſellig immer beiſammen lebten? mit ſo geringem Aufwand, ſo angenehm, neidlos, und immer neuer Luſt wieder zuſammen zu ſein?! alles zerſtoben! — lau- ter neue Menſchen: ich liebe die alten zu behalten: und neue zu beſehn. Aber Eins liebt man, und das Andre hat man. Jedoch konſervire ich mir faſt mit Gewalt meine alten Be- kannten: durch Gedächtniß, Liebe, Zuſammenhang im Innren, Behandlung, Freundſchaft. Als Tugend ſehe ich das nicht an, aber als Vergnügen. Und noch eine bizarre Behauptung ſchließt ſich dieſer Handlungsweiſe, dieſem Geſchmacke, dieſer Behauptung an: nämlich die, daß nur treue Gemüthsarten des wahren Wankelmuths fähig ſind: nur die, welche Men- ſchen und Gegenſtände ſtark, beziehungs- und bewußtſeinvoll aufzufaſſen vermögen, können auch leicht Neues aufnehmen, und begreifen. Die Andern leben zwiſchen Alten und Neuen, in dürrer Treue; oder in ſtrohflammendem Wankelmuth. Wir wollen machen, als hätten wir uns geſtern geſehn. Auch iſt wenig dazwiſchen; was abgelebt iſt, iſt wie abgeſtorben; nur was wir wollten war ſein Inhalt: und das wollen wir noch: alſo können wir gleich weiter leben; und ſchon ehe wir uns nur anſichtig werden; ſchon in einem Briefe. Und alſo bitte ich Sie hier um eine Gefälligkeit! Antworten Sie mir! Und auch recht kindiſch: recht detaillirt. Und bald: und danu ſagen Sie mir, was Mad. B. Conſtant macht: ich ſchrieb ihr bald nach des Mannes Tod; bat ſie, mich durch Hrn. von Hum- boldt oder Sie etwas von ſich erfahren zu laſſen. Ich habe nichts erfahren. Auch ihrer Kouſine, der Fürſtin Pückler, hat ſie nicht geantwortet. Gar zu gerne wüßte ich wie ſie ſich

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/487>, abgerufen am 24.11.2024.