din sehn, Mad. Schröder-Devrient. Euryanthe sah ich von ihr. Gerne wäre ich von ihr eingenommen gewesen; ich konnte ihr aber nur Gerechtigkeit widerfahren lassen. Eine schöne, karnationsschöne Frau; mit schönen Augen: und besonders rei- zendem Profil; nicht schlecht angezogen: den Kopf sehr gut arrangirt; hatte aber zum Kleide Aprikosenfarbe, zu dem blondlichen Teint -- das erstemal -- an. Spielt innig und gut, für mich aber zu sehr im eigenen Spiel befangen, und mit zu wenig Herrschaft darüber: dies bedingt aber Vortheile, die man bei Andern gar vermißt; als innigen Blick, und gar keine Acht auf Logen, Parterre und Souffleur. Sie macht auch Koups, wie man's nennt: aber sie kommen zu gehetzt, und doch wie mit zu vielem Bewußtsein; und dann das Ganze, mit dem gesteigerten, sturmgeborenen Nachdruck, den die Fran- zosen gern dulden; sonst forderten, und der das Nüchternste von der Welt ist. Diese Gründe zum Tadel zerrissen mir das Ganze ihres lobenswerthen Spiels, welches ihr Natur erlaubt, und fleißiges Studium einbrachte. Vor dem Urtheil ihres Ge- sangs schicke ich die Erklärung voraus, daß ich gar keine deutsche Gesangmethode anerkenne; sondern nur Eine: die italiänische, die den besten Gebrauch der Organe lehrt; und dann den besten Gebrauch des Gesanges; welcher wieder seine Gränzen in Schönheit, und in dem hat, was er auszudrücken vermag: welches von Franzosen nicht erahndet, von Deutschen dünkelhaft verdreht wird. Mad. Devrient singt nicht in ita- liänischer Art; etwas französirt im Geschrei; aber auch nicht brutal-deutsch: sondern -- nun kommt ihr wahrer Ruhm -- sie singt zuweilen beim höchsten Ausdruck in einer selbstge-
din ſehn, Mad. Schröder-Devrient. Euryanthe ſah ich von ihr. Gerne wäre ich von ihr eingenommen geweſen; ich konnte ihr aber nur Gerechtigkeit widerfahren laſſen. Eine ſchöne, karnationsſchöne Frau; mit ſchönen Augen: und beſonders rei- zendem Profil; nicht ſchlecht angezogen: den Kopf ſehr gut arrangirt; hatte aber zum Kleide Aprikoſenfarbe, zu dem blondlichen Teint — das erſtemal — an. Spielt innig und gut, für mich aber zu ſehr im eigenen Spiel befangen, und mit zu wenig Herrſchaft darüber: dies bedingt aber Vortheile, die man bei Andern gar vermißt; als innigen Blick, und gar keine Acht auf Logen, Parterre und Souffleur. Sie macht auch Koups, wie man’s nennt: aber ſie kommen zu gehetzt, und doch wie mit zu vielem Bewußtſein; und dann das Ganze, mit dem geſteigerten, ſturmgeborenen Nachdruck, den die Fran- zoſen gern dulden; ſonſt forderten, und der das Nüchternſte von der Welt iſt. Dieſe Gründe zum Tadel zerriſſen mir das Ganze ihres lobenswerthen Spiels, welches ihr Natur erlaubt, und fleißiges Studium einbrachte. Vor dem Urtheil ihres Ge- ſangs ſchicke ich die Erklärung voraus, daß ich gar keine deutſche Geſangmethode anerkenne; ſondern nur Eine: die italiäniſche, die den beſten Gebrauch der Organe lehrt; und dann den beſten Gebrauch des Geſanges; welcher wieder ſeine Gränzen in Schönheit, und in dem hat, was er auszudrücken vermag: welches von Franzoſen nicht erahndet, von Deutſchen dünkelhaft verdreht wird. Mad. Devrient ſingt nicht in ita- liäniſcher Art; etwas franzöſirt im Geſchrei; aber auch nicht brutal-deutſch: ſondern — nun kommt ihr wahrer Ruhm — ſie ſingt zuweilen beim höchſten Ausdruck in einer ſelbſtge-
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din ſehn, Mad. Schröder-Devrient. Euryanthe ſah ich von
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karnationsſchöne Frau; mit ſchönen Augen: und beſonders rei-
zendem Profil; nicht ſchlecht angezogen: den Kopf ſehr gut
arrangirt; hatte aber zum Kleide Aprikoſenfarbe, zu dem
blondlichen Teint — das erſtemal — an. Spielt innig und
gut, für mich aber zu ſehr im eigenen Spiel befangen, und
mit zu wenig Herrſchaft darüber: dies bedingt aber Vortheile,
die man bei Andern gar vermißt; als innigen Blick, und gar
keine Acht auf Logen, Parterre und Souffleur. Sie macht
auch Koups, wie man’s nennt: aber ſie kommen zu gehetzt,
und doch wie mit zu vielem Bewußtſein; und dann das Ganze,
mit dem geſteigerten, ſturmgeborenen Nachdruck, den die Fran-
zoſen gern dulden; ſonſt forderten, und der das Nüchternſte
von der Welt iſt. Dieſe Gründe zum Tadel zerriſſen mir das
Ganze ihres lobenswerthen Spiels, welches ihr Natur erlaubt,
und fleißiges Studium einbrachte. Vor dem Urtheil ihres Ge-
ſangs ſchicke ich die Erklärung voraus, daß ich gar keine
deutſche Geſangmethode anerkenne; ſondern nur Eine: die
italiäniſche, die den beſten Gebrauch der Organe lehrt; und
dann den beſten Gebrauch des Geſanges; welcher wieder ſeine
Gränzen in Schönheit, und in dem hat, was er auszudrücken
vermag: welches von Franzoſen nicht erahndet, von Deutſchen
dünkelhaft verdreht wird. Mad. Devrient ſingt nicht in ita-
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brutal-deutſch: ſondern — nun kommt ihr wahrer Ruhm —
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/484>, abgerufen am 24.11.2024.
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