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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Lande lebe, bestimmt mich, Ihnen unser Beileid zeigen zu
wollen. Schmerzlich getroffen waren wir auch hier von die-
sem Schlag: da wir hier nicht einmal seine kurze Krankheit
vermuthen konnten, weil er noch sechs Tage vorher gespro-
chen
hatte! Daß er viel litt, hat mich am meisten gekränkt.
Den Tod überhaupt müssen wir ja mit dem Leben herunter
schlucken. Der ist ein Stein in der Mauer der Unbegreiflich-
keit, die uns umringt. Aber Leiden, und besonders Körper-
schmerzen, fordern fast Rechenschaft! Nicht ein Wort, was
Trost ähnlich sehen kann, theure Traurende, mag ich Ihnen
sagen; Sie werden Ihren Schmerz an's Herz drücken: er wird
Ihnen Gesellschaft sein; und vertrautester Freund; mit
demselben Recht, und derselben Tiefe, werden Sie empfinden,
daß Ihrem Mann ein vollständiges Leben gelungen ist; nach
Willen und Überzeugung; und daß dies die anerkennen, die
ihm die Liebsten sein müssen; und deren sich in dieser Zeit
eine Großzahl gesellt. Ein größeres Monument, als Mei-
nung, kann niemanden gesetzt werden; schneller kann kein
Rundschreiben in der civilisirten Welt umhergehen! Seinen
Umgang, seinen aus lauter Gütigkeit reizenden, und alle
Strenge des Geistes geschmeidigenden, werden Sie vermissen,
sich ihn stündlich wiederholen; und ihn so fortsetzen. Könnte
es helfen, Eingang finden, würde ich, verehrte Frau von Con-
stant, sagen: Schonen Sie Ihre Gesundheit! wo möglich:
man stirbt nicht: man muß krank leben, wenn man alles
in sich famentirt. Ich habe es an mir selbst erlebt. -- Ver-
zeihen Sie mir, meiner Talentlosigkeit wegen, dies lange
Schreiben: ich kann nicht kurze Briefe schreiben; deren Schön-

Lande lebe, beſtimmt mich, Ihnen unſer Beileid zeigen zu
wollen. Schmerzlich getroffen waren wir auch hier von die-
ſem Schlag: da wir hier nicht einmal ſeine kurze Krankheit
vermuthen konnten, weil er noch ſechs Tage vorher geſpro-
chen
hatte! Daß er viel litt, hat mich am meiſten gekränkt.
Den Tod überhaupt müſſen wir ja mit dem Leben herunter
ſchlucken. Der iſt ein Stein in der Mauer der Unbegreiflich-
keit, die uns umringt. Aber Leiden, und beſonders Körper-
ſchmerzen, fordern faſt Rechenſchaft! Nicht ein Wort, was
Troſt ähnlich ſehen kann, theure Traurende, mag ich Ihnen
ſagen; Sie werden Ihren Schmerz an’s Herz drücken: er wird
Ihnen Geſellſchaft ſein; und vertrauteſter Freund; mit
demſelben Recht, und derſelben Tiefe, werden Sie empfinden,
daß Ihrem Mann ein vollſtändiges Leben gelungen iſt; nach
Willen und Überzeugung; und daß dies die anerkennen, die
ihm die Liebſten ſein müſſen; und deren ſich in dieſer Zeit
eine Großzahl geſellt. Ein größeres Monument, als Mei-
nung, kann niemanden geſetzt werden; ſchneller kann kein
Rundſchreiben in der civiliſirten Welt umhergehen! Seinen
Umgang, ſeinen aus lauter Gütigkeit reizenden, und alle
Strenge des Geiſtes geſchmeidigenden, werden Sie vermiſſen,
ſich ihn ſtündlich wiederholen; und ihn ſo fortſetzen. Könnte
es helfen, Eingang finden, würde ich, verehrte Frau von Con-
ſtant, ſagen: Schonen Sie Ihre Geſundheit! wo möglich:
man ſtirbt nicht: man muß krank leben, wenn man alles
in ſich famentirt. Ich habe es an mir ſelbſt erlebt. — Ver-
zeihen Sie mir, meiner Talentloſigkeit wegen, dies lange
Schreiben: ich kann nicht kurze Briefe ſchreiben; deren Schön-

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[473/0481] Lande lebe, beſtimmt mich, Ihnen unſer Beileid zeigen zu wollen. Schmerzlich getroffen waren wir auch hier von die- ſem Schlag: da wir hier nicht einmal ſeine kurze Krankheit vermuthen konnten, weil er noch ſechs Tage vorher geſpro- chen hatte! Daß er viel litt, hat mich am meiſten gekränkt. Den Tod überhaupt müſſen wir ja mit dem Leben herunter ſchlucken. Der iſt ein Stein in der Mauer der Unbegreiflich- keit, die uns umringt. Aber Leiden, und beſonders Körper- ſchmerzen, fordern faſt Rechenſchaft! Nicht ein Wort, was Troſt ähnlich ſehen kann, theure Traurende, mag ich Ihnen ſagen; Sie werden Ihren Schmerz an’s Herz drücken: er wird Ihnen Geſellſchaft ſein; und vertrauteſter Freund; mit demſelben Recht, und derſelben Tiefe, werden Sie empfinden, daß Ihrem Mann ein vollſtändiges Leben gelungen iſt; nach Willen und Überzeugung; und daß dies die anerkennen, die ihm die Liebſten ſein müſſen; und deren ſich in dieſer Zeit eine Großzahl geſellt. Ein größeres Monument, als Mei- nung, kann niemanden geſetzt werden; ſchneller kann kein Rundſchreiben in der civiliſirten Welt umhergehen! Seinen Umgang, ſeinen aus lauter Gütigkeit reizenden, und alle Strenge des Geiſtes geſchmeidigenden, werden Sie vermiſſen, ſich ihn ſtündlich wiederholen; und ihn ſo fortſetzen. Könnte es helfen, Eingang finden, würde ich, verehrte Frau von Con- ſtant, ſagen: Schonen Sie Ihre Geſundheit! wo möglich: man ſtirbt nicht: man muß krank leben, wenn man alles in ſich famentirt. Ich habe es an mir ſelbſt erlebt. — Ver- zeihen Sie mir, meiner Talentloſigkeit wegen, dies lange Schreiben: ich kann nicht kurze Briefe ſchreiben; deren Schön-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/481>, abgerufen am 24.11.2024.