terhalte ich mich mit mir: aber auch lesen kann ich leider nicht hintereinander, und nicht ohne Nachtheil. Den 26. De- cember war Mendelssohn-Bartholdy's silberne Hochzeit, wo ich und Varnh. schon krank hinfuhren; wo hundertundfünfzig Personen waren; und da wollte der Tod Hand an uns legen; und hat uns beschädigt. Es war in der großen Kälte. Am schönsten war die Gutmüthigkeit, die Gesinnung der Gäste und Wirthe; und ein himmlisches Gedicht, welches ihnen Ludwig Robert gemacht hatte. Von allen Theatern und Wintergesel- ligkeiten weiß ich nichts: Zerstreuung möchte ich; aber kaum regrettire ich Einzelnes versäumt zu haben, was ich auch da- von höre; und wie ich es mir auch vorzustellen habe. Das Alter thut sich bei mir vorzüglich dadurch kund, daß ich im- mer delikater, exigeanter werde. Meine Kritik steigert sich; nämlich, ich dulde noch alles! -- aber nicht als Vergnügen. Bücher, Gedichte, Musik, Darstellungen, Betragen; ist mir al- les bei weitem nicht schön genug. Ich selbst leiste weit, weit, weit weniger, als sonst; und finde mich isolirt: also alt. Auch die Krankheiten, und die schlechten Sommer, und Winter, und die zunehmend große Stadt unterstützen mich nicht in Genuß und Bequemlichkeit, die ein altes Weib immer mehr bedarf. Nun weißt du das Schlechteste: und zugleich weßwegen ich nicht schreibe. Mein Haus ist noch immer wie ein Zollhaus, wo sich mitten in Krankheiten ununterbrochen Männer und Frauen einführen lassen; und Verkehr und Verbindungen ge- hen ihren Gang: aber eine mir liebe genügende Kotterie wüßte ich nicht. -- --
Du glaubst es nicht! Wie unsre Mutter mich immer
terhalte ich mich mit mir: aber auch leſen kann ich leider nicht hintereinander, und nicht ohne Nachtheil. Den 26. De- cember war Mendelsſohn-Bartholdy’s ſilberne Hochzeit, wo ich und Varnh. ſchon krank hinfuhren; wo hundertundfünfzig Perſonen waren; und da wollte der Tod Hand an uns legen; und hat uns beſchädigt. Es war in der großen Kälte. Am ſchönſten war die Gutmüthigkeit, die Geſinnung der Gäſte und Wirthe; und ein himmliſches Gedicht, welches ihnen Ludwig Robert gemacht hatte. Von allen Theatern und Wintergeſel- ligkeiten weiß ich nichts: Zerſtreuung möchte ich; aber kaum regrettire ich Einzelnes verſäumt zu haben, was ich auch da- von höre; und wie ich es mir auch vorzuſtellen habe. Das Alter thut ſich bei mir vorzüglich dadurch kund, daß ich im- mer delikater, exigeanter werde. Meine Kritik ſteigert ſich; nämlich, ich dulde noch alles! — aber nicht als Vergnügen. Bücher, Gedichte, Muſik, Darſtellungen, Betragen; iſt mir al- les bei weitem nicht ſchön genug. Ich ſelbſt leiſte weit, weit, weit weniger, als ſonſt; und finde mich iſolirt: alſo alt. Auch die Krankheiten, und die ſchlechten Sommer, und Winter, und die zunehmend große Stadt unterſtützen mich nicht in Genuß und Bequemlichkeit, die ein altes Weib immer mehr bedarf. Nun weißt du das Schlechteſte: und zugleich weßwegen ich nicht ſchreibe. Mein Haus iſt noch immer wie ein Zollhaus, wo ſich mitten in Krankheiten ununterbrochen Männer und Frauen einführen laſſen; und Verkehr und Verbindungen ge- hen ihren Gang: aber eine mir liebe genügende Kotterie wüßte ich nicht. — —
Du glaubſt es nicht! Wie unſre Mutter mich immer
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terhalte ich mich mit mir: aber auch leſen kann ich leider
nicht hintereinander, und nicht ohne Nachtheil. Den 26. De-
cember war Mendelsſohn-Bartholdy’s ſilberne Hochzeit, wo
ich und Varnh. ſchon krank hinfuhren; wo hundertundfünfzig
Perſonen waren; und da wollte der Tod Hand an uns legen;
und hat uns beſchädigt. Es war in der großen Kälte. Am
ſchönſten war die Gutmüthigkeit, die Geſinnung der Gäſte und
Wirthe; und ein himmliſches Gedicht, welches ihnen Ludwig
Robert gemacht hatte. Von allen Theatern und Wintergeſel-
ligkeiten weiß ich nichts: Zerſtreuung möchte ich; aber kaum
regrettire ich Einzelnes verſäumt zu haben, was ich auch da-
von höre; und wie ich es mir auch vorzuſtellen habe. Das
Alter thut ſich bei mir vorzüglich dadurch kund, daß ich im-
mer delikater, exigeanter werde. Meine Kritik ſteigert ſich;
nämlich, ich dulde noch alles! — aber nicht als Vergnügen.
Bücher, Gedichte, Muſik, Darſtellungen, Betragen; iſt mir al-
les bei weitem nicht ſchön genug. Ich ſelbſt leiſte weit, weit,
weit weniger, als ſonſt; und finde mich iſolirt: alſo alt. Auch
die Krankheiten, und die ſchlechten Sommer, und Winter, und
die zunehmend große Stadt unterſtützen mich nicht in Genuß
und Bequemlichkeit, die ein altes Weib immer mehr bedarf.
Nun weißt du das Schlechteſte: und zugleich weßwegen ich
nicht ſchreibe. Mein Haus iſt noch immer wie ein Zollhaus,
wo ſich mitten in Krankheiten ununterbrochen Männer und
Frauen einführen laſſen; und Verkehr und Verbindungen ge-
hen ihren Gang: aber eine mir liebe genügende Kotterie wüßte
ich nicht. — —
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/430>, abgerufen am 28.09.2024.
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