haben wir selbst keine Vorstellung von irgend einer Central- eigenschaft: ja, wir müssen Centraleigenschaft sagen, um ein Annäherndes eines Absoluten, Eigenschaft gebenden zu denken. Und deßhalb wird so viel um den Begriff Leben herum gesprochen, weil er der einzige ist, in dem wir uns als uns selbst fühlen, aber in Thätigkeit zersplittert, und [ - 1 Zeichen fehlt][o] Zeit- augenblicken begriffen. Zersplittert sind wir: in einer Arbeit begriffen: in eine Arbeit, in eine Zersplitterung gegangen -- aus dem Paradies; zum Verständniß; -- in eine Arbeit vertieft, in einen Theil unseres Vermögens: wie hier, wenn wir uns in einer Wissenschaft augenblicklich verlieren. Dessen bin ich gewiß: bis Zauberschlag -- des Denkens, zum Bei- spiel -- uns nicht rettet, hilft nichts als Ergebung, -- oder Spiel, im weitesten Sinne dieses Wortes, -- die Gewiß- heit aber, daß wir nur mit einem Theil des Verständnisses hier hausen, die habe ich: und dies ist Trost und Religion. Umsonst sind wir auch so nicht abgegangen, so zersplittert. Es ist schlimm: aber hat gewiß einen guten Grund; wie all unsre Thorheiten noch immer. -- Dieser Gedanke war vor- gestern Nacht der Anfang meiner vielen mir wie zuströmen- den; erleuchteten, hätte ich sie ihrer Hellheit und Umrisse we- gen nennen können, -- inmitten welcher mich ein Krampf und eine Unfähigkeit überfiel.
Freitag Abend halb 8 Uhr, den 14. December 1829.
III. 27
haben wir ſelbſt keine Vorſtellung von irgend einer Central- eigenſchaft: ja, wir müſſen Centraleigenſchaft ſagen, um ein Annäherndes eines Abſoluten, Eigenſchaft gebenden zu denken. Und deßhalb wird ſo viel um den Begriff Leben herum geſprochen, weil er der einzige iſt, in dem wir uns als uns ſelbſt fühlen, aber in Thätigkeit zerſplittert, und [ – 1 Zeichen fehlt][o] Zeit- augenblicken begriffen. Zerſplittert ſind wir: in einer Arbeit begriffen: in eine Arbeit, in eine Zerſplitterung gegangen — aus dem Paradies; zum Verſtändniß; — in eine Arbeit vertieft, in einen Theil unſeres Vermögens: wie hier, wenn wir uns in einer Wiſſenſchaft augenblicklich verlieren. Deſſen bin ich gewiß: bis Zauberſchlag — des Denkens, zum Bei- ſpiel — uns nicht rettet, hilft nichts als Ergebung, — oder Spiel, im weiteſten Sinne dieſes Wortes, — die Gewiß- heit aber, daß wir nur mit einem Theil des Verſtändniſſes hier hauſen, die habe ich: und dies iſt Troſt und Religion. Umſonſt ſind wir auch ſo nicht abgegangen, ſo zerſplittert. Es iſt ſchlimm: aber hat gewiß einen guten Grund; wie all unſre Thorheiten noch immer. — Dieſer Gedanke war vor- geſtern Nacht der Anfang meiner vielen mir wie zuſtrömen- den; erleuchteten, hätte ich ſie ihrer Hellheit und Umriſſe we- gen nennen können, — inmitten welcher mich ein Krampf und eine Unfähigkeit überfiel.
Freitag Abend halb 8 Uhr, den 14. December 1829.
III. 27
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haben wir ſelbſt keine Vorſtellung von irgend einer Central-
eigenſchaft: ja, wir müſſen Centraleigenſchaft ſagen, um
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denken. Und deßhalb wird ſo viel um den Begriff Leben
herum geſprochen, weil er der einzige iſt, in dem wir uns als
uns ſelbſt fühlen, aber in Thätigkeit zerſplittert, und _o Zeit-
augenblicken begriffen. Zerſplittert ſind wir: in einer Arbeit
begriffen: in eine Arbeit, in eine Zerſplitterung gegangen —
aus dem Paradies; zum Verſtändniß; — in eine Arbeit
vertieft, in einen Theil unſeres Vermögens: wie hier, wenn
wir uns in einer Wiſſenſchaft augenblicklich verlieren. Deſſen
bin ich gewiß: bis Zauberſchlag — des Denkens, zum Bei-
ſpiel — uns nicht rettet, hilft nichts als Ergebung, — oder
Spiel, im weiteſten Sinne dieſes Wortes, — die Gewiß-
heit aber, daß wir nur mit einem Theil des Verſtändniſſes
hier hauſen, die habe ich: und dies iſt Troſt und Religion.
Umſonſt ſind wir auch ſo nicht abgegangen, ſo zerſplittert.
Es iſt ſchlimm: aber hat gewiß einen guten Grund; wie all
unſre Thorheiten noch immer. — Dieſer Gedanke war vor-
geſtern Nacht der Anfang meiner vielen mir wie zuſtrömen-
den; erleuchteten, hätte ich ſie ihrer Hellheit und Umriſſe we-
gen nennen können, — inmitten welcher mich ein Krampf und
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Freitag Abend halb 8 Uhr, den 14. December 1829.
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/425>, abgerufen am 03.01.2025.
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