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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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ist wenigstens der Sinn seiner Schmerzensworte. So ging es
mir mit Ihnen! Wie Schatten, ohne Farbe noch feste Ge-
stalt, entschwand mir das eben kürzlich Erlebte. Uns hier
war eben eine Freundin und Nachbarin an einem unendlichen
Leiden von Krankheit gestorben; und noch nicht begraben.
Meiner ältesten Freundin einziger Sohn und Hoffnung, ein
junger Architekt, der mit General Menu reiste, in Alexandrien
gestorben, und die Nachricht eben frisch angekommen. --
Alles schwand mir gegen Ihre Schilderung, armer Freund!
Wie haben Sie unvermuthet die tüchtige, edle, thätig gesunde
Freundin mitgeschildert! Die liebe, treue, kluge, starke Mut-
ter! Ich sehe sie, obgleich ich sie nie sah; und weine mit
Ihnen. Da ist nichts zu sagen; als Gott anzusehen, ob er
uns nichts sagen wird. Der spricht aber nur ein- für alle-
mal, wenn er uns in's Leben ruft. Und richtig citiren Sie
den, der da sagt: il y a des moments, ou l'on ne peut rien
faire que de vivre.
Leben; ist die große Uressenz, der tiefe
Urstoff, woraus alles entquillt, mit und ohne unser Zuthun.
Solchen Gemüthern, wie Sie eins sind, kann man am wenig-
sten arbeiten helfen, weil sie alle Arbeit selbst übernehmen:
denen mag ich nur zeigen, daß ich ihnen nachfühlte, und
nachdenken konnte; das ist ihr einziger Trost, weil dieser Trost
eine Art Umgang ist. Am erschütterndsten, lieber Freund, in
ihrem Schreiben war mir das, daß Sie für alle übrigen Le-
bensverhältnisse so klar blieben, so voller Haltung und erfor-
derliche Thätigkeit. Diese Stärke und Macht über sich selbst
ist mir der sicherste Bürge über durchgefühltes Leid, ich kenne
schon die, die sich nicht fassen können: die können sich bloß

iſt wenigſtens der Sinn ſeiner Schmerzensworte. So ging es
mir mit Ihnen! Wie Schatten, ohne Farbe noch feſte Ge-
ſtalt, entſchwand mir das eben kürzlich Erlebte. Uns hier
war eben eine Freundin und Nachbarin an einem unendlichen
Leiden von Krankheit geſtorben; und noch nicht begraben.
Meiner älteſten Freundin einziger Sohn und Hoffnung, ein
junger Architekt, der mit General Menu reiſte, in Alexandrien
geſtorben, und die Nachricht eben friſch angekommen. —
Alles ſchwand mir gegen Ihre Schilderung, armer Freund!
Wie haben Sie unvermuthet die tüchtige, edle, thätig geſunde
Freundin mitgeſchildert! Die liebe, treue, kluge, ſtarke Mut-
ter! Ich ſehe ſie, obgleich ich ſie nie ſah; und weine mit
Ihnen. Da iſt nichts zu ſagen; als Gott anzuſehen, ob er
uns nichts ſagen wird. Der ſpricht aber nur ein- für alle-
mal, wenn er uns in’s Leben ruft. Und richtig citiren Sie
den, der da ſagt: il y a des moments, où l’on ne peut rien
faire que de vivre.
Leben; iſt die große Ureſſenz, der tiefe
Urſtoff, woraus alles entquillt, mit und ohne unſer Zuthun.
Solchen Gemüthern, wie Sie eins ſind, kann man am wenig-
ſten arbeiten helfen, weil ſie alle Arbeit ſelbſt übernehmen:
denen mag ich nur zeigen, daß ich ihnen nachfühlte, und
nachdenken konnte; das iſt ihr einziger Troſt, weil dieſer Troſt
eine Art Umgang iſt. Am erſchütterndſten, lieber Freund, in
ihrem Schreiben war mir das, daß Sie für alle übrigen Le-
bensverhältniſſe ſo klar blieben, ſo voller Haltung und erfor-
derliche Thätigkeit. Dieſe Stärke und Macht über ſich ſelbſt
iſt mir der ſicherſte Bürge über durchgefühltes Leid, ich kenne
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[34/0042] iſt wenigſtens der Sinn ſeiner Schmerzensworte. So ging es mir mit Ihnen! Wie Schatten, ohne Farbe noch feſte Ge- ſtalt, entſchwand mir das eben kürzlich Erlebte. Uns hier war eben eine Freundin und Nachbarin an einem unendlichen Leiden von Krankheit geſtorben; und noch nicht begraben. Meiner älteſten Freundin einziger Sohn und Hoffnung, ein junger Architekt, der mit General Menu reiſte, in Alexandrien geſtorben, und die Nachricht eben friſch angekommen. — Alles ſchwand mir gegen Ihre Schilderung, armer Freund! Wie haben Sie unvermuthet die tüchtige, edle, thätig geſunde Freundin mitgeſchildert! Die liebe, treue, kluge, ſtarke Mut- ter! Ich ſehe ſie, obgleich ich ſie nie ſah; und weine mit Ihnen. Da iſt nichts zu ſagen; als Gott anzuſehen, ob er uns nichts ſagen wird. Der ſpricht aber nur ein- für alle- mal, wenn er uns in’s Leben ruft. Und richtig citiren Sie den, der da ſagt: il y a des moments, où l’on ne peut rien faire que de vivre. Leben; iſt die große Ureſſenz, der tiefe Urſtoff, woraus alles entquillt, mit und ohne unſer Zuthun. Solchen Gemüthern, wie Sie eins ſind, kann man am wenig- ſten arbeiten helfen, weil ſie alle Arbeit ſelbſt übernehmen: denen mag ich nur zeigen, daß ich ihnen nachfühlte, und nachdenken konnte; das iſt ihr einziger Troſt, weil dieſer Troſt eine Art Umgang iſt. Am erſchütterndſten, lieber Freund, in ihrem Schreiben war mir das, daß Sie für alle übrigen Le- bensverhältniſſe ſo klar blieben, ſo voller Haltung und erfor- derliche Thätigkeit. Dieſe Stärke und Macht über ſich ſelbſt iſt mir der ſicherſte Bürge über durchgefühltes Leid, ich kenne ſchon die, die ſich nicht faſſen können: die können ſich bloß

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/42>, abgerufen am 28.11.2024.