erst nachdem es ausgestanden war, durch des Hrn. von Cotta's Schreiben selbst erfahren: und so, möchte ich sagen, ärgert es mich nur, Sie mir in einem solchen Leidensgang vorstellen zu müssen! -- wie tief kränkend nach einer Erholungskur einen geliebten Angehörigen wieder einfallen zu sehen! In einer Art, leiden da die Pfleger mehr noch, als die Kranken! Alles das macht' ich schnell mit Ihnen durch, in wehen Gedanken; nicht einmal einen Rath kann man da vorzubringen glauben von besserem Ausruhen, längerem Badeaufenthalt: etc. -- Es ist ja nicht eine Sache allein zu ändern: sondern ihre Eltern, Verwandte, und die schon hervorgewachsene Nachkommenschaft dieser Sache müßte mitgezwungen werden; und die bezwingen uns: ja, wir werden es schon, durch die Thaten, und Einrich- tungen unserer Vorältern. Schon lange sage ich: jeder stirbt an seinem Karakter. Der ist das Einzige, was eigentlich wir sind: und nachdem wir das Bischen Selbstthat, was uns noch gelassen ist, (oft uns selbst) heimlich einrichten. "Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen," ist das eigentlich. Und wird unserem Gespinnst Einhalt gethan, so thut man's unserem Leben; und eigentlich daran sterben noch mehr, -- der Kultivirten. Wie sehr pedantisch dehn' ich mich hier aus: ohne auf das zu kommen, was ich eigentlich sagen will: aber bei allem, was heilig ist; nicht aus Pedantism. Nicht aus Prahlerei; sondern aus Drang meine wenigen Resultate aus- zustoßen; das bischen Ärnte; nach dem langen Ackern mit Händen; ohne erfundenen Pflug, der großen Arbeit in der Hitze der Ärnte, deni großen Wetter, und Kriegesschaden; und allen Schäden! und dies Bischen auf Ihren Schooß zu
erſt nachdem es ausgeſtanden war, durch des Hrn. von Cotta’s Schreiben ſelbſt erfahren: und ſo, möchte ich ſagen, ärgert es mich nur, Sie mir in einem ſolchen Leidensgang vorſtellen zu müſſen! — wie tief kränkend nach einer Erholungskur einen geliebten Angehörigen wieder einfallen zu ſehen! In einer Art, leiden da die Pfleger mehr noch, als die Kranken! Alles das macht’ ich ſchnell mit Ihnen durch, in wehen Gedanken; nicht einmal einen Rath kann man da vorzubringen glauben von beſſerem Ausruhen, längerem Badeaufenthalt: ꝛc. — Es iſt ja nicht eine Sache allein zu ändern: ſondern ihre Eltern, Verwandte, und die ſchon hervorgewachſene Nachkommenſchaft dieſer Sache müßte mitgezwungen werden; und die bezwingen uns: ja, wir werden es ſchon, durch die Thaten, und Einrich- tungen unſerer Vorältern. Schon lange ſage ich: jeder ſtirbt an ſeinem Karakter. Der iſt das Einzige, was eigentlich wir ſind: und nachdem wir das Bischen Selbſtthat, was uns noch gelaſſen iſt, (oft uns ſelbſt) heimlich einrichten. „Verbiete du dem Seidenwurm zu ſpinnen,“ iſt das eigentlich. Und wird unſerem Geſpinnſt Einhalt gethan, ſo thut man’s unſerem Leben; und eigentlich daran ſterben noch mehr, — der Kultivirten. Wie ſehr pedantiſch dehn’ ich mich hier aus: ohne auf das zu kommen, was ich eigentlich ſagen will: aber bei allem, was heilig iſt; nicht aus Pedantism. Nicht aus Prahlerei; ſondern aus Drang meine wenigen Reſultate aus- zuſtoßen; das bischen Ärnte; nach dem langen Ackern mit Händen; ohne erfundenen Pflug, der großen Arbeit in der Hitze der Ärnte, deni großen Wetter, und Kriegesſchaden; und allen Schäden! und dies Bischen auf Ihren Schooß zu
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0415"n="407"/>
erſt nachdem es ausgeſtanden war, durch des Hrn. von Cotta’s<lb/>
Schreiben ſelbſt erfahren: und ſo, möchte ich ſagen, ärgert es<lb/>
mich nur, Sie mir in einem ſolchen Leidensgang vorſtellen zu<lb/>
müſſen! — wie tief kränkend nach einer Erholungskur einen<lb/>
geliebten Angehörigen wieder einfallen zu ſehen! In einer<lb/>
Art, leiden da die Pfleger mehr noch, als die Kranken! Alles<lb/>
das macht’ ich ſchnell mit Ihnen durch, in wehen Gedanken;<lb/>
nicht einmal einen Rath kann man da vorzubringen glauben<lb/>
von beſſerem Ausruhen, längerem Badeaufenthalt: ꝛc. — Es<lb/>
iſt ja nicht <hirendition="#g">eine</hi> Sache allein zu ändern: ſondern ihre Eltern,<lb/>
Verwandte, und die ſchon hervorgewachſene Nachkommenſchaft<lb/>
dieſer Sache müßte mitgezwungen werden; und die bezwingen<lb/>
uns: ja, wir werden es ſchon, durch die Thaten, und Einrich-<lb/>
tungen unſerer Vorältern. Schon lange ſage ich: jeder ſtirbt<lb/>
an ſeinem Karakter. Der iſt das Einzige, was eigentlich wir<lb/>ſind: und nachdem wir das Bischen Selbſtthat, was uns noch<lb/>
gelaſſen iſt, (oft uns ſelbſt) heimlich einrichten. „Verbiete du<lb/>
dem Seidenwurm zu ſpinnen,“ iſt das eigentlich. Und wird<lb/>
unſerem Geſpinnſt Einhalt gethan, ſo thut man’s unſerem<lb/><hirendition="#g">Leben</hi>; und eigentlich <hirendition="#g">daran</hi>ſterben <hirendition="#g">noch</hi> mehr, — der<lb/>
Kultivirten. Wie ſehr pedantiſch dehn’ ich mich hier aus:<lb/>
ohne auf das zu kommen, was ich eigentlich ſagen will: aber<lb/>
bei allem, was heilig iſt; nicht aus Pedantism. Nicht aus<lb/>
Prahlerei; ſondern aus Drang meine wenigen Reſultate aus-<lb/>
zuſtoßen; das bischen Ärnte; nach dem langen Ackern mit<lb/><hirendition="#g">Händen</hi>; ohne erfundenen Pflug, der großen Arbeit in der<lb/>
Hitze der Ärnte, deni großen Wetter, und <hirendition="#g">Krieges</hi>ſchaden;<lb/>
und allen Schäden! und dies Bischen auf <hirendition="#g">Ihren</hi> Schooß zu<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[407/0415]
erſt nachdem es ausgeſtanden war, durch des Hrn. von Cotta’s
Schreiben ſelbſt erfahren: und ſo, möchte ich ſagen, ärgert es
mich nur, Sie mir in einem ſolchen Leidensgang vorſtellen zu
müſſen! — wie tief kränkend nach einer Erholungskur einen
geliebten Angehörigen wieder einfallen zu ſehen! In einer
Art, leiden da die Pfleger mehr noch, als die Kranken! Alles
das macht’ ich ſchnell mit Ihnen durch, in wehen Gedanken;
nicht einmal einen Rath kann man da vorzubringen glauben
von beſſerem Ausruhen, längerem Badeaufenthalt: ꝛc. — Es
iſt ja nicht eine Sache allein zu ändern: ſondern ihre Eltern,
Verwandte, und die ſchon hervorgewachſene Nachkommenſchaft
dieſer Sache müßte mitgezwungen werden; und die bezwingen
uns: ja, wir werden es ſchon, durch die Thaten, und Einrich-
tungen unſerer Vorältern. Schon lange ſage ich: jeder ſtirbt
an ſeinem Karakter. Der iſt das Einzige, was eigentlich wir
ſind: und nachdem wir das Bischen Selbſtthat, was uns noch
gelaſſen iſt, (oft uns ſelbſt) heimlich einrichten. „Verbiete du
dem Seidenwurm zu ſpinnen,“ iſt das eigentlich. Und wird
unſerem Geſpinnſt Einhalt gethan, ſo thut man’s unſerem
Leben; und eigentlich daran ſterben noch mehr, — der
Kultivirten. Wie ſehr pedantiſch dehn’ ich mich hier aus:
ohne auf das zu kommen, was ich eigentlich ſagen will: aber
bei allem, was heilig iſt; nicht aus Pedantism. Nicht aus
Prahlerei; ſondern aus Drang meine wenigen Reſultate aus-
zuſtoßen; das bischen Ärnte; nach dem langen Ackern mit
Händen; ohne erfundenen Pflug, der großen Arbeit in der
Hitze der Ärnte, deni großen Wetter, und Kriegesſchaden;
und allen Schäden! und dies Bischen auf Ihren Schooß zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/415>, abgerufen am 03.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.