Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

trat selbst aus der Menschheit. -- Dies alles ist lange noch
nichts Klares und Bestimmtes: aber auf diesem Wege wird
es gewiß gefunden werden, was das Gewissen ist. Eigentlich,
wir selbst: unsre Nabelschnur an einer hohen Mutter, von
der das Kind nichts weiß. Da allein fängt Persönlichkeit an.
Miteinsicht. --




An Frau von Sun Sun Sun.

Mit einer kleinen Variation könnte ich Ihnen schreiben,
womit Sie Ihren Brief anfangen: "Ich habe so lange ge-
schwiegen, daß ich mir fast das Recht aus den Händen gege-
ben, endlich sprechen zu dürfen." Ich möchte schweigen.
Weil ich zu viel, und besonders zu gründlich zu sprechen
hätte; und doch würd' ich die Schwierigkeit des Federhaltens
überwinden, und dann bald in die Tiefe mich konzentrirt fin-
den, die mir, die Feder in der Hand, eigentlich natürlich ist;
könnt' ich nur irgend glauben, daß dies Sie mit in diese Tiefe
führte, oder vielmehr, darin erhielte. Aber nur zu bald läch-
len und sprechen Sie sich daraus wieder empor; wo verführ-
liche Liebenswürdigkeit gilt, wie eine Münze; und verschmähen
es nicht, sich selbst damit auszuzahlen. Diese Worte, Liebe,
stehen nun Einmal hier: stünden aber nicht, ohne die Veran-
lassungen, die Sie selbst in Ihrem Briefe, wie willentlich da-
zu ausspielten (wie im Kartenspiel). Ich hätte sonst meine

III. 26

trat ſelbſt aus der Menſchheit. — Dies alles iſt lange noch
nichts Klares und Beſtimmtes: aber auf dieſem Wege wird
es gewiß gefunden werden, was das Gewiſſen iſt. Eigentlich,
wir ſelbſt: unſre Nabelſchnur an einer hohen Mutter, von
der das Kind nichts weiß. Da allein fängt Perſönlichkeit an.
Miteinſicht. —




An Frau von ☉ ☉ ☉.

Mit einer kleinen Variation könnte ich Ihnen ſchreiben,
womit Sie Ihren Brief anfangen: „Ich habe ſo lange ge-
ſchwiegen, daß ich mir faſt das Recht aus den Händen gege-
ben, endlich ſprechen zu dürfen.“ Ich möchte ſchweigen.
Weil ich zu viel, und beſonders zu gründlich zu ſprechen
hätte; und doch würd’ ich die Schwierigkeit des Federhaltens
überwinden, und dann bald in die Tiefe mich konzentrirt fin-
den, die mir, die Feder in der Hand, eigentlich natürlich iſt;
könnt’ ich nur irgend glauben, daß dies Sie mit in dieſe Tiefe
führte, oder vielmehr, darin erhielte. Aber nur zu bald läch-
len und ſprechen Sie ſich daraus wieder empor; wo verführ-
liche Liebenswürdigkeit gilt, wie eine Münze; und verſchmähen
es nicht, ſich ſelbſt damit auszuzahlen. Dieſe Worte, Liebe,
ſtehen nun Einmal hier: ſtünden aber nicht, ohne die Veran-
laſſungen, die Sie ſelbſt in Ihrem Briefe, wie willentlich da-
zu ausſpielten (wie im Kartenſpiel). Ich hätte ſonſt meine

III. 26
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0409" n="401"/>
trat &#x017F;elb&#x017F;t aus der Men&#x017F;chheit. &#x2014; Dies alles i&#x017F;t lange noch<lb/>
nichts Klares und Be&#x017F;timmtes: aber auf die&#x017F;em Wege wird<lb/>
es gewiß gefunden werden, was das Gewi&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t. Eigentlich,<lb/>
wir &#x017F;elb&#x017F;t: un&#x017F;re Nabel&#x017F;chnur an einer hohen Mutter, von<lb/>
der das Kind nichts weiß. Da allein fängt Per&#x017F;önlichkeit an.<lb/><hi rendition="#g">Mite</hi>in&#x017F;icht. &#x2014;</p><lb/>
            <dateline> <hi rendition="#et">Donnerstag, den 15. Oktober 1829.</hi> </dateline>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Frau von &#x2609; &#x2609; &#x2609;.</head><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Sonntag Abend, den 17. Oktober 1829.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Mit einer kleinen Variation könnte ich Ihnen &#x017F;chreiben,<lb/>
womit <hi rendition="#g">Sie Ihren</hi> Brief anfangen: &#x201E;Ich habe &#x017F;o lange ge-<lb/>
&#x017F;chwiegen, daß ich mir fa&#x017F;t das Recht aus den Händen gege-<lb/>
ben, endlich &#x017F;prechen zu dürfen.&#x201C; Ich <hi rendition="#g">möchte</hi> &#x017F;chweigen.<lb/>
Weil ich zu viel, und be&#x017F;onders zu gründlich zu &#x017F;prechen<lb/>
hätte; und doch würd&#x2019; ich die Schwierigkeit des Federhaltens<lb/>
überwinden, und dann bald in die Tiefe mich konzentrirt fin-<lb/>
den, die mir, die Feder in der Hand, eigentlich natürlich i&#x017F;t;<lb/>
könnt&#x2019; ich nur irgend glauben, daß dies Sie mit in die&#x017F;e Tiefe<lb/>
führte, oder vielmehr, darin erhielte. Aber nur zu bald läch-<lb/>
len und &#x017F;prechen Sie &#x017F;ich <hi rendition="#g">dar</hi>aus wieder empor; wo verführ-<lb/>
liche Liebenswürdigkeit gilt, wie eine Münze; und ver&#x017F;chmähen<lb/>
es nicht, <hi rendition="#g">&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t</hi> damit auszuzahlen. Die&#x017F;e Worte, Liebe,<lb/>
&#x017F;tehen nun Einmal hier: &#x017F;tünden aber nicht, ohne die Veran-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;ungen, die Sie &#x017F;elb&#x017F;t in Ihrem Briefe, wie willentlich da-<lb/>
zu aus&#x017F;pielten (wie im Karten&#x017F;piel). Ich hätte &#x017F;on&#x017F;t meine<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">III.</hi> 26</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[401/0409] trat ſelbſt aus der Menſchheit. — Dies alles iſt lange noch nichts Klares und Beſtimmtes: aber auf dieſem Wege wird es gewiß gefunden werden, was das Gewiſſen iſt. Eigentlich, wir ſelbſt: unſre Nabelſchnur an einer hohen Mutter, von der das Kind nichts weiß. Da allein fängt Perſönlichkeit an. Miteinſicht. — Donnerstag, den 15. Oktober 1829. An Frau von ☉ ☉ ☉. Sonntag Abend, den 17. Oktober 1829. Mit einer kleinen Variation könnte ich Ihnen ſchreiben, womit Sie Ihren Brief anfangen: „Ich habe ſo lange ge- ſchwiegen, daß ich mir faſt das Recht aus den Händen gege- ben, endlich ſprechen zu dürfen.“ Ich möchte ſchweigen. Weil ich zu viel, und beſonders zu gründlich zu ſprechen hätte; und doch würd’ ich die Schwierigkeit des Federhaltens überwinden, und dann bald in die Tiefe mich konzentrirt fin- den, die mir, die Feder in der Hand, eigentlich natürlich iſt; könnt’ ich nur irgend glauben, daß dies Sie mit in dieſe Tiefe führte, oder vielmehr, darin erhielte. Aber nur zu bald läch- len und ſprechen Sie ſich daraus wieder empor; wo verführ- liche Liebenswürdigkeit gilt, wie eine Münze; und verſchmähen es nicht, ſich ſelbſt damit auszuzahlen. Dieſe Worte, Liebe, ſtehen nun Einmal hier: ſtünden aber nicht, ohne die Veran- laſſungen, die Sie ſelbſt in Ihrem Briefe, wie willentlich da- zu ausſpielten (wie im Kartenſpiel). Ich hätte ſonſt meine III. 26

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/409
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/409>, abgerufen am 22.12.2024.