ob wir recht oder unrecht thun, sondern auch, ob uns unrecht oder recht geschieht; ob wir eine Behauptung, ein Ereigniß, einen Zustand, der Wahrheit gemäß finden, oder nicht. Es ist das letzte, einfache Wollen in uns; welches wir eingepflanzt in uns vorfinden, von einem höheren, uns unbekannten Prin- zip; es ist eine von den Vernunftswurzeln der Intelligenz über- haupt. So schien mir; es ist wie Vernunft, ein letztes Ja oder Nein: man kann ihm vorschwatzen, was man will; es antwortet auch auf einen Lügenvortrag, aber von seiner Seite immer ehrlich. Nur auf Einem Punkt ist es in unserm -- überhaupt künstlichem -- Dasein mit unserer leiblichen, indi- viduellen Person zum höchsten Organismus, zu Eins erschaf- fen, verwachsen. Wir können über alles betrügerisch sein, oder über alles uns irren, und dem innersten Wollen, dem Gewis- sen, einen falschen Bericht erstatten: nur nicht über Leiden des Körpers; für dessen Wohl ist noch eine andere, schon in un- sern Körper übergegangene Wache gestellt: das Zucken unse- rer Nerven, das Zusammenziehen unseres Herzens bei Lei- den, die wir einer Kreatur anthun, oder anzuthun suchen. -- Strafen müssen, ist hier Vernunft; also gewissengemäß, und tilgt dieses Zucken und Beklemmen -- hier kann kein "so oder anders denken wollen" mehr wirken; und hier wird unsre ganze Person Gewissen, Bewußtsein: hier auch tritt das un- mittelbare Recht weltlicher Strafe ein. Weil keine Frage mehr obwaltet; und, wer Mensch ist, richten kann: der Pro- zeß von hin und her, und für und wider, ist aus. Und Milde im weltlichen Richteramt, ist die That klar, muß da ganz aufhören; das einmalige Gesetz vollzogen sein. Der Thäter
trat
ob wir recht oder unrecht thun, ſondern auch, ob uns unrecht oder recht geſchieht; ob wir eine Behauptung, ein Ereigniß, einen Zuſtand, der Wahrheit gemäß finden, oder nicht. Es iſt das letzte, einfache Wollen in uns; welches wir eingepflanzt in uns vorfinden, von einem höheren, uns unbekannten Prin- zip; es iſt eine von den Vernunftswurzeln der Intelligenz über- haupt. So ſchien mir; es iſt wie Vernunft, ein letztes Ja oder Nein: man kann ihm vorſchwatzen, was man will; es antwortet auch auf einen Lügenvortrag, aber von ſeiner Seite immer ehrlich. Nur auf Einem Punkt iſt es in unſerm — überhaupt künſtlichem — Daſein mit unſerer leiblichen, indi- viduellen Perſon zum höchſten Organismus, zu Eins erſchaf- fen, verwachſen. Wir können über alles betrügeriſch ſein, oder über alles uns irren, und dem innerſten Wollen, dem Gewiſ- ſen, einen falſchen Bericht erſtatten: nur nicht über Leiden des Körpers; für deſſen Wohl iſt noch eine andere, ſchon in un- ſern Körper übergegangene Wache geſtellt: das Zucken unſe- rer Nerven, das Zuſammenziehen unſeres Herzens bei Lei- den, die wir einer Kreatur anthun, oder anzuthun ſuchen. — Strafen müſſen, iſt hier Vernunft; alſo gewiſſengemäß, und tilgt dieſes Zucken und Beklemmen — hier kann kein „ſo oder anders denken wollen“ mehr wirken; und hier wird unſre ganze Perſon Gewiſſen, Bewußtſein: hier auch tritt das un- mittelbare Recht weltlicher Strafe ein. Weil keine Frage mehr obwaltet; und, wer Menſch iſt, richten kann: der Pro- zeß von hin und her, und für und wider, iſt aus. Und Milde im weltlichen Richteramt, iſt die That klar, muß da ganz aufhören; das einmalige Geſetz vollzogen ſein. Der Thäter
trat
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ob wir recht oder unrecht thun, ſondern auch, ob uns unrecht
oder recht geſchieht; ob wir eine Behauptung, ein Ereigniß,
einen Zuſtand, der Wahrheit gemäß finden, oder nicht. Es
iſt das letzte, einfache Wollen in uns; welches wir eingepflanzt
in uns vorfinden, von einem höheren, uns unbekannten Prin-
zip; es iſt eine von den Vernunftswurzeln der Intelligenz über-
haupt. So ſchien mir; es iſt wie Vernunft, ein letztes Ja
oder Nein: man kann ihm vorſchwatzen, was man will; es
antwortet auch auf einen Lügenvortrag, aber von ſeiner Seite
immer ehrlich. Nur auf Einem Punkt iſt es in unſerm —
überhaupt künſtlichem — Daſein mit unſerer leiblichen, indi-
viduellen Perſon zum höchſten Organismus, zu Eins erſchaf-
fen, verwachſen. Wir können über alles betrügeriſch ſein, oder
über alles uns irren, und dem innerſten Wollen, dem Gewiſ-
ſen, einen falſchen Bericht erſtatten: nur nicht über Leiden des
Körpers; für deſſen Wohl iſt noch eine andere, ſchon in un-
ſern Körper übergegangene Wache geſtellt: das Zucken unſe-
rer Nerven, das Zuſammenziehen unſeres Herzens bei Lei-
den, die wir einer Kreatur anthun, oder anzuthun ſuchen. —
Strafen müſſen, iſt hier Vernunft; alſo gewiſſengemäß, und
tilgt dieſes Zucken und Beklemmen — hier kann kein „ſo
oder anders denken wollen“ mehr wirken; und hier wird unſre
ganze Perſon Gewiſſen, Bewußtſein: hier auch tritt das un-
mittelbare Recht weltlicher Strafe ein. Weil keine Frage
mehr obwaltet; und, wer Menſch iſt, richten kann: der Pro-
zeß von hin und her, und für und wider, iſt aus. Und Milde
im weltlichen Richteramt, iſt die That klar, muß da ganz
aufhören; das einmalige Geſetz vollzogen ſein. Der Thäter
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/408>, abgerufen am 22.12.2024.
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