Genuß, den es schaffen kann, an dem, den mir Ähnliches gewährt, wenn ich's finde. Das sind die Brüder, die wir auf der Erde haben, und hatten; diese Brüder, diese "Gleich- gesinnten" (Freunde, ruft Goethe in der Elegie "Gleichgesinnte, herein!") sind einer dem andern der Magnetkompaß, der Bürge, daß er recht segelt: der Trost, in Leiden ohne Trost; und der ist so erhabenen Ursprungs, und Wirkung, daß er schon über die Zeit hinaus wirkt! "Es winken sich die Weisen aller Zei- ten" sagt wieder Goethe. Und Sie geben mir nun auch das Glück, bei meinem Leben, zu erkennen, und zu sagen: "Hier hat ein Mensch gesprochen, und gelebt: ich Mensch erkenne das, und sage dir es gern und freudig." Das freut meine Seele: und ich sage es Ihnen gerne; darum dankbar.
Wohl, meine Liebe, ist es, wie sie sagen, "Eitelkeit und Beschränkheit, wenn Leute sich in eines Menschen Gesell- schaft gedrückt fühlen." Aber noch eigentlicher: Lüge. Sie wollen nicht sein, wie sie sind: und davon werden sie Leute; gemachte Fabrikwesen. Jeder Mensch ist ein Original; sonst wär' er nicht geschaffen: ist es noch immer in der Tiefe, wo der Wahrheitsquell wogt; er verschütte sie noch so sehr mit Lug und Trug, und Fälschlichkeit, die gegen ihn selbst ge- kehrt Irrthum wird. Am Ende ist's eine Tugend, eine Ge- müthseigenschaft, der Muth, der uns erschafft: uns selbst ist es überlassen, Menschen aus uns zu machen; oder vielmehr, uns gegen die immer vernichtend-anstrebende ganze Welt -- nicht nur Leute -- dazu zu lassen. Dies erfordert Muth; unendlichen Muth; Vernunftmuth (nicht den, gegen Unver-
Genuß, den es ſchaffen kann, an dem, den mir Ähnliches gewährt, wenn ich’s finde. Das ſind die Brüder, die wir auf der Erde haben, und hatten; dieſe Brüder, dieſe „Gleich- geſinnten“ (Freunde, ruft Goethe in der Elegie „Gleichgeſinnte, herein!“) ſind einer dem andern der Magnetkompaß, der Bürge, daß er recht ſegelt: der Troſt, in Leiden ohne Troſt; und der iſt ſo erhabenen Urſprungs, und Wirkung, daß er ſchon über die Zeit hinaus wirkt! „Es winken ſich die Weiſen aller Zei- ten“ ſagt wieder Goethe. Und Sie geben mir nun auch das Glück, bei meinem Leben, zu erkennen, und zu ſagen: „Hier hat ein Menſch geſprochen, und gelebt: ich Menſch erkenne das, und ſage dir es gern und freudig.“ Das freut meine Seele: und ich ſage es Ihnen gerne; darum dankbar.
Wohl, meine Liebe, iſt es, wie ſie ſagen, „Eitelkeit und Beſchränkheit, wenn Leute ſich in eines Menſchen Geſell- ſchaft gedrückt fühlen.“ Aber noch eigentlicher: Lüge. Sie wollen nicht ſein, wie ſie ſind: und davon werden ſie Leute; gemachte Fabrikweſen. Jeder Menſch iſt ein Original; ſonſt wär’ er nicht geſchaffen: iſt es noch immer in der Tiefe, wo der Wahrheitsquell wogt; er verſchütte ſie noch ſo ſehr mit Lug und Trug, und Fälſchlichkeit, die gegen ihn ſelbſt ge- kehrt Irrthum wird. Am Ende iſt’s eine Tugend, eine Ge- müthseigenſchaft, der Muth, der uns erſchafft: uns ſelbſt iſt es überlaſſen, Menſchen aus uns zu machen; oder vielmehr, uns gegen die immer vernichtend-anſtrebende ganze Welt — nicht nur Leute — dazu zu laſſen. Dies erfordert Muth; unendlichen Muth; Vernunftmuth (nicht den, gegen Unver-
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Genuß, den es ſchaffen kann, an dem, den mir Ähnliches
gewährt, wenn ich’s finde. Das ſind die Brüder, die wir
auf der Erde haben, und hatten; dieſe Brüder, dieſe „Gleich-
geſinnten“ (Freunde, ruft Goethe in der Elegie „Gleichgeſinnte,
herein!“) ſind einer dem andern der Magnetkompaß, der Bürge,
daß er recht ſegelt: der Troſt, in Leiden ohne Troſt; und der
iſt ſo erhabenen Urſprungs, und Wirkung, daß er ſchon über
die Zeit hinaus wirkt! „Es winken ſich die Weiſen aller Zei-
ten“ ſagt wieder Goethe. Und Sie geben mir nun auch das
Glück, bei meinem Leben, zu erkennen, und zu ſagen:
„Hier hat ein Menſch geſprochen, und gelebt: ich Menſch
erkenne das, und ſage dir es gern und freudig.“ Das
freut meine Seele: und ich ſage es Ihnen gerne; darum
dankbar.
Wohl, meine Liebe, iſt es, wie ſie ſagen, „Eitelkeit und
Beſchränkheit, wenn Leute ſich in eines Menſchen Geſell-
ſchaft gedrückt fühlen.“ Aber noch eigentlicher: Lüge. Sie
wollen nicht ſein, wie ſie ſind: und davon werden ſie Leute;
gemachte Fabrikweſen. Jeder Menſch iſt ein Original; ſonſt
wär’ er nicht geſchaffen: iſt es noch immer in der Tiefe, wo
der Wahrheitsquell wogt; er verſchütte ſie noch ſo ſehr mit
Lug und Trug, und Fälſchlichkeit, die gegen ihn ſelbſt ge-
kehrt Irrthum wird. Am Ende iſt’s eine Tugend, eine Ge-
müthseigenſchaft, der Muth, der uns erſchafft: uns ſelbſt iſt
es überlaſſen, Menſchen aus uns zu machen; oder vielmehr,
uns gegen die immer vernichtend-anſtrebende ganze Welt —
nicht nur Leute — dazu zu laſſen. Dies erfordert Muth;
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/406>, abgerufen am 22.12.2024.
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