Ich bitte Sie, liebe Frau von Horn, meinen verbindlich- sten Dank für Ihre graziöse Gefälligkeit noch heute annehmen zu wollen! Gestern traf mich Ihr Bote erschöpft, erhitzt; zwei Kinder und einen Bruder auf dem Hals, die amüsirt, der un- terhalten sein wollte, ohne Rücksicht, daß mir ein Leinewand- händler vier verschiedene Leinewande zu einer Art von Haus- aussteuer abmaß, die man endlich selbst besorgen muß, wenn man nie eine erhalten hat. Eine der Anomalien meines darin genialen Lebens! So wälzen sich frühe Versäumnisse bis in unser spätes Leben hinein; und zerreißen strafend die Tage, welche wir zu genießen, und meist nachzuholen, dann erst fähig, und am bedürftigsten werden. Eine von den stren- gen Folgen; Vergeltung, Strafe genannt: und auch hier, büßen die Kinder die Fehler der Eltern. Hätte ich nicht sonst gestern gleich gebührend geantwortet, anstatt Linnen, nöthiges Linnenzeug, besorgen zu müssen! Heute ist wieder heiliger Mitt- woch: morgen Prinzenball; aber auch das bloße Wetter würde mir den Muth Sie einzuladen rauben; vielleicht erhellt es sich in ein paar Tagen; und Sie können mich erfreuen.
Ergebenst Fr. V.
An Antonie von Horn.
Mittwoch, den 25. Februar 1829.
Ich bitte Sie, liebe Frau von Horn, meinen verbindlich- ſten Dank für Ihre graziöſe Gefälligkeit noch heute annehmen zu wollen! Geſtern traf mich Ihr Bote erſchöpft, erhitzt; zwei Kinder und einen Bruder auf dem Hals, die amüſirt, der un- terhalten ſein wollte, ohne Rückſicht, daß mir ein Leinewand- händler vier verſchiedene Leinewande zu einer Art von Haus- ausſteuer abmaß, die man endlich ſelbſt beſorgen muß, wenn man nie eine erhalten hat. Eine der Anomalien meines darin genialen Lebens! So wälzen ſich frühe Verſäumniſſe bis in unſer ſpätes Leben hinein; und zerreißen ſtrafend die Tage, welche wir zu genießen, und meiſt nachzuholen, dann erſt fähig, und am bedürftigſten werden. Eine von den ſtren- gen Folgen; Vergeltung, Strafe genannt: und auch hier, büßen die Kinder die Fehler der Eltern. Hätte ich nicht ſonſt geſtern gleich gebührend geantwortet, anſtatt Linnen, nöthiges Linnenzeug, beſorgen zu müſſen! Heute iſt wieder heiliger Mitt- woch: morgen Prinzenball; aber auch das bloße Wetter würde mir den Muth Sie einzuladen rauben; vielleicht erhellt es ſich in ein paar Tagen; und Sie können mich erfreuen.
Ergebenſt Fr. V.
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An Antonie von Horn.
Mittwoch, den 25. Februar 1829.
Ich bitte Sie, liebe Frau von Horn, meinen verbindlich-
ſten Dank für Ihre graziöſe Gefälligkeit noch heute annehmen
zu wollen! Geſtern traf mich Ihr Bote erſchöpft, erhitzt; zwei
Kinder und einen Bruder auf dem Hals, die amüſirt, der un-
terhalten ſein wollte, ohne Rückſicht, daß mir ein Leinewand-
händler vier verſchiedene Leinewande zu einer Art von Haus-
ausſteuer abmaß, die man endlich ſelbſt beſorgen muß, wenn
man nie eine erhalten hat. Eine der Anomalien meines
darin genialen Lebens! So wälzen ſich frühe Verſäumniſſe
bis in unſer ſpätes Leben hinein; und zerreißen ſtrafend die
Tage, welche wir zu genießen, und meiſt nachzuholen, dann
erſt fähig, und am bedürftigſten werden. Eine von den ſtren-
gen Folgen; Vergeltung, Strafe genannt: und auch hier,
büßen die Kinder die Fehler der Eltern. Hätte ich nicht ſonſt
geſtern gleich gebührend geantwortet, anſtatt Linnen, nöthiges
Linnenzeug, beſorgen zu müſſen! Heute iſt wieder heiliger Mitt-
woch: morgen Prinzenball; aber auch das bloße Wetter würde
mir den Muth Sie einzuladen rauben; vielleicht erhellt es ſich
in ein paar Tagen; und Sie können mich erfreuen.
Ergebenſt Fr. V.
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/374>, abgerufen am 22.12.2024.
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