Kaltes, ungesundes Wetter, wie überall, nach den Zeitungen.
-- Sehen Sie Mad. Huber, die das Morgenblatt her- ausgiebt? Sahen Sie bei ihr eine Frau von Pobeheim, eine Freundin von mir aus Berlin, auf die ich unendlich halte? Sehen Sie Lindner? Sagen Sie ihm, erst jetzt hätte ich mit unendlichem Vergnügen seine Antwort auf A. W. Schlegels Attake in der Allgemeinen Zeitung gelesen. Der Zorn stieg mir bis an den Hals über A. W. S.'s Benehmen, daß er die -- sonst von mir so geschätzten -- französischen Phrasen bis in sein innerstes Blut dringen, und sie im Deutschen bis zur Niedrigkeit werden ließ, und die Stael "Beschützerin" nennt! Ein Freund ist er ihr: ist sie reich, und theilte mit ihm, so ist das, weil er es nicht mehr als sie war und nicht mit ihr theilen konnte. Geschützt muß er sie auf Reisen und im Le- ben haben: genutzt hat er ihr mit seiner Nationalität hun- derttausendmal mehr, als sie ihm: ihre ist unser altes Eigen- thum, von unserer Litteratur hätte sie nie ohne diesen Freund faseln können! Es mußte ihm endlich, und dieser Stael An- betung so aufgetrumpft werden. Ich danke Lindner innigst dafür; auch geschickt machte er's. Mir war das Balsam. Ich kann ordentlich litterarisch leiden. Es gilt in allen Fächern, Handlungs- und Gedankenkreisen, um dieselbe Sitt- lichkeit. Wahrheit oder nicht Wahrheit; die lieben, ist sitt-
An Auguſte Brede, in Stuttgart.
Berlin, den 20. Juni 1820.
Kaltes, ungeſundes Wetter, wie überall, nach den Zeitungen.
— Sehen Sie Mad. Huber, die das Morgenblatt her- ausgiebt? Sahen Sie bei ihr eine Frau von Pobeheim, eine Freundin von mir aus Berlin, auf die ich unendlich halte? Sehen Sie Lindner? Sagen Sie ihm, erſt jetzt hätte ich mit unendlichem Vergnügen ſeine Antwort auf A. W. Schlegels Attake in der Allgemeinen Zeitung geleſen. Der Zorn ſtieg mir bis an den Hals über A. W. S.’s Benehmen, daß er die — ſonſt von mir ſo geſchätzten — franzöſiſchen Phraſen bis in ſein innerſtes Blut dringen, und ſie im Deutſchen bis zur Niedrigkeit werden ließ, und die Staël „Beſchützerin“ nennt! Ein Freund iſt er ihr: iſt ſie reich, und theilte mit ihm, ſo iſt das, weil er es nicht mehr als ſie war und nicht mit ihr theilen konnte. Geſchützt muß er ſie auf Reiſen und im Le- ben haben: genutzt hat er ihr mit ſeiner Nationalität hun- derttauſendmal mehr, als ſie ihm: ihre iſt unſer altes Eigen- thum, von unſerer Litteratur hätte ſie nie ohne dieſen Freund faſeln können! Es mußte ihm endlich, und dieſer Staël An- betung ſo aufgetrumpft werden. Ich danke Lindner innigſt dafür; auch geſchickt machte er’s. Mir war das Balſam. Ich kann ordentlich litterariſch leiden. Es gilt in allen Fächern, Handlungs- und Gedankenkreiſen, um dieſelbe Sitt- lichkeit. Wahrheit oder nicht Wahrheit; die lieben, iſt ſitt-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0034"n="26"/><divn="2"><head>An Auguſte Brede, in Stuttgart.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Berlin, den 20. Juni 1820.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#et">Kaltes, ungeſundes Wetter, wie überall, nach<lb/>
den Zeitungen.</hi></p><lb/><p>— Sehen Sie Mad. Huber, die das Morgenblatt her-<lb/>
ausgiebt? Sahen Sie bei ihr eine Frau von Pobeheim, eine<lb/>
Freundin von mir aus Berlin, auf die ich unendlich halte?<lb/>
Sehen Sie Lindner? Sagen Sie ihm, erſt jetzt hätte ich mit<lb/>
unendlichem Vergnügen ſeine Antwort auf A. W. Schlegels<lb/>
Attake in der Allgemeinen Zeitung geleſen. Der Zorn ſtieg<lb/>
mir bis an den Hals über A. W. S.’s Benehmen, daß er die<lb/>—ſonſt von mir ſo geſchätzten — franzöſiſchen Phraſen bis<lb/>
in ſein innerſtes Blut dringen, und ſie im Deutſchen bis zur<lb/>
Niedrigkeit werden ließ, und die Sta<hirendition="#aq">ë</hi>l „Beſchützerin“ nennt!<lb/>
Ein <hirendition="#g">Freund</hi> iſt er ihr: iſt <hirendition="#g">ſie</hi> reich, und theilte mit ihm, ſo<lb/>
iſt das, weil er es nicht <hirendition="#g">mehr</hi> als ſie war und nicht mit ihr<lb/>
theilen konnte. Geſchützt muß <hirendition="#g">er</hi>ſie auf Reiſen und im Le-<lb/>
ben haben: genutzt hat er ihr mit ſeiner Nationalität hun-<lb/>
derttauſendmal mehr, als ſie ihm: ihre iſt unſer altes Eigen-<lb/>
thum, von <hirendition="#g">unſerer</hi> Litteratur hätte ſie nie ohne dieſen Freund<lb/>
faſeln können! Es mußte ihm endlich, und dieſer Sta<hirendition="#aq">ë</hi>l An-<lb/>
betung ſo aufgetrumpft werden. Ich danke Lindner innigſt<lb/>
dafür; auch geſchickt machte er’s. Mir war das Balſam.<lb/>
Ich kann ordentlich litterariſch <hirendition="#g">leiden</hi>. Es gilt in <hirendition="#g">allen<lb/>
Fächern</hi>, Handlungs- und Gedankenkreiſen, um dieſelbe Sitt-<lb/>
lichkeit. Wahrheit oder nicht Wahrheit; <hirendition="#g">die</hi> lieben, iſt ſitt-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[26/0034]
An Auguſte Brede, in Stuttgart.
Berlin, den 20. Juni 1820.
Kaltes, ungeſundes Wetter, wie überall, nach
den Zeitungen.
— Sehen Sie Mad. Huber, die das Morgenblatt her-
ausgiebt? Sahen Sie bei ihr eine Frau von Pobeheim, eine
Freundin von mir aus Berlin, auf die ich unendlich halte?
Sehen Sie Lindner? Sagen Sie ihm, erſt jetzt hätte ich mit
unendlichem Vergnügen ſeine Antwort auf A. W. Schlegels
Attake in der Allgemeinen Zeitung geleſen. Der Zorn ſtieg
mir bis an den Hals über A. W. S.’s Benehmen, daß er die
— ſonſt von mir ſo geſchätzten — franzöſiſchen Phraſen bis
in ſein innerſtes Blut dringen, und ſie im Deutſchen bis zur
Niedrigkeit werden ließ, und die Staël „Beſchützerin“ nennt!
Ein Freund iſt er ihr: iſt ſie reich, und theilte mit ihm, ſo
iſt das, weil er es nicht mehr als ſie war und nicht mit ihr
theilen konnte. Geſchützt muß er ſie auf Reiſen und im Le-
ben haben: genutzt hat er ihr mit ſeiner Nationalität hun-
derttauſendmal mehr, als ſie ihm: ihre iſt unſer altes Eigen-
thum, von unſerer Litteratur hätte ſie nie ohne dieſen Freund
faſeln können! Es mußte ihm endlich, und dieſer Staël An-
betung ſo aufgetrumpft werden. Ich danke Lindner innigſt
dafür; auch geſchickt machte er’s. Mir war das Balſam.
Ich kann ordentlich litterariſch leiden. Es gilt in allen
Fächern, Handlungs- und Gedankenkreiſen, um dieſelbe Sitt-
lichkeit. Wahrheit oder nicht Wahrheit; die lieben, iſt ſitt-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/34>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.