Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

diesem Kinde freundliches Leben; Freundesberührung aller Art;
was Künste, Litteratur, und gesellige Bewegung mit sich bringt,
durch die Seele rinnen lassen! Hier sind Sie von all dem er-
wartet. -- Sie sind alt, und würdig, und -- auch mate-
riell
-- frei genug, um sich zu zeigen, wie Sie eben grad
sind, eben grad sein wollen. Leben Sie doch -- was fast
Schuldigkeit ist -- in Ihnen angemessener Mittheilung und
Bewegung Ihr Leben ab! Wir sind die Geschöpfe mit Sprache
geschaffen; zur Erörterung, zur Vernunftdarlegung bis in die
kleinsten Dinge hinab: Mittheilung ist unser Wesen: daher
unsre Pflicht. Durch sie nur werden wir urbar. Kommen
Sie, liebe gute Freundin. Ihr Neffe Kalckreuth denkt dar-
über wie ich: wir haben schon alles erörtert. Er wünscht es;
er bittet wie ich; doch zweifelt er mehr als ich. Er war
gestern Abend mit ein paar Leuten, erst allein bei mir, alles
zufällig. Die große Welt kann Sie gar nicht stören: die
lebt sehr eingeschränkt. Fragen Sie Einmal Graf Kalckreuth,
Ihren Neffen von Siegersdorf -- ich spreche immer nur von
dem. -- Und für die sind Sie nur die Gräfin Schlabren-
dorf. Schicken Sie also keine Karten mit dem Worte drauf,
so existiren Sie nicht für sie. Sie existirt doch nun auch
nicht für Sie. Zu Hofe wollen Sie nicht; Ämter auch nicht:
Amüsement ist nicht da. Also; sie kommen an, schicken Kar-
ten zu denen, die Sie wollen, mögen, sie seien aus wel-
chem Kreise Sie wollen. Es macht sich in dem großen Orte
alles. Sie kommen Ihrer Gesundheit wegen: einiger Freunde,
heißt es, wegen Vorlesungen; was Sie wollen. -- Zeigen sich
unerschütterlich über caquet, verbieten es, verbitten sich es-

dieſem Kinde freundliches Leben; Freundesberührung aller Art;
was Künſte, Litteratur, und geſellige Bewegung mit ſich bringt,
durch die Seele rinnen laſſen! Hier ſind Sie von all dem er-
wartet. — Sie ſind alt, und würdig, und — auch mate-
riell
— frei genug, um ſich zu zeigen, wie Sie eben grad
ſind, eben grad ſein wollen. Leben Sie doch — was faſt
Schuldigkeit iſt — in Ihnen angemeſſener Mittheilung und
Bewegung Ihr Leben ab! Wir ſind die Geſchöpfe mit Sprache
geſchaffen; zur Erörterung, zur Vernunftdarlegung bis in die
kleinſten Dinge hinab: Mittheilung iſt unſer Weſen: daher
unſre Pflicht. Durch ſie nur werden wir urbar. Kommen
Sie, liebe gute Freundin. Ihr Neffe Kalckreuth denkt dar-
über wie ich: wir haben ſchon alles erörtert. Er wünſcht es;
er bittet wie ich; doch zweifelt er mehr als ich. Er war
geſtern Abend mit ein paar Leuten, erſt allein bei mir, alles
zufällig. Die große Welt kann Sie gar nicht ſtören: die
lebt ſehr eingeſchränkt. Fragen Sie Einmal Graf Kalckreuth,
Ihren Neffen von Siegersdorf — ich ſpreche immer nur von
dem. — Und für die ſind Sie nur die Gräfin Schlabren-
dorf. Schicken Sie alſo keine Karten mit dem Worte drauf,
ſo exiſtiren Sie nicht für ſie. Sie exiſtirt doch nun auch
nicht für Sie. Zu Hofe wollen Sie nicht; Ämter auch nicht:
Amüſement iſt nicht da. Alſo; ſie kommen an, ſchicken Kar-
ten zu denen, die Sie wollen, mögen, ſie ſeien aus wel-
chem Kreiſe Sie wollen. Es macht ſich in dem großen Orte
alles. Sie kommen Ihrer Geſundheit wegen: einiger Freunde,
heißt es, wegen Vorleſungen; was Sie wollen. — Zeigen ſich
unerſchütterlich über caquet, verbieten es, verbitten ſich es-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0324" n="316"/>
die&#x017F;em Kinde freundliches Leben; Freundesberührung aller Art;<lb/>
was Kün&#x017F;te, Litteratur, und ge&#x017F;ellige Bewegung mit &#x017F;ich bringt,<lb/>
durch die Seele rinnen la&#x017F;&#x017F;en! Hier &#x017F;ind Sie von all dem er-<lb/>
wartet. &#x2014; Sie &#x017F;ind alt, und würdig, und &#x2014; auch <hi rendition="#g">mate-<lb/>
riell</hi> &#x2014; frei genug, um &#x017F;ich zu zeigen, wie Sie eben grad<lb/>
&#x017F;ind, eben grad &#x017F;ein wollen. Leben Sie doch &#x2014; was fa&#x017F;t<lb/>
Schuldigkeit i&#x017F;t &#x2014; in Ihnen angeme&#x017F;&#x017F;ener Mittheilung und<lb/>
Bewegung Ihr Leben ab! Wir &#x017F;ind die Ge&#x017F;chöpfe mit Sprache<lb/>
ge&#x017F;chaffen; zur Erörterung, zur Vernunftdarlegung bis in die<lb/>
klein&#x017F;ten Dinge hinab: Mittheilung i&#x017F;t un&#x017F;er We&#x017F;en: daher<lb/>
un&#x017F;re Pflicht. Durch &#x017F;ie nur werden wir urbar. Kommen<lb/>
Sie, liebe gute Freundin. Ihr Neffe Kalckreuth denkt dar-<lb/>
über wie ich: wir haben &#x017F;chon alles erörtert. Er wün&#x017F;cht es;<lb/><hi rendition="#g">er bittet wie ich</hi>; doch zweifelt er mehr als ich. Er war<lb/>
ge&#x017F;tern Abend mit ein paar Leuten, er&#x017F;t allein bei mir, alles<lb/>
zufällig. Die große Welt kann Sie <hi rendition="#g">gar</hi> nicht &#x017F;tören: die<lb/>
lebt &#x017F;ehr einge&#x017F;chränkt. Fragen Sie Einmal Graf Kalckreuth,<lb/>
Ihren Neffen von Siegersdorf &#x2014; ich &#x017F;preche immer nur von<lb/>
dem. &#x2014; Und für die &#x017F;ind Sie nur die <hi rendition="#g">Gräfin</hi> Schlabren-<lb/>
dorf. Schicken Sie al&#x017F;o keine Karten mit <hi rendition="#g">dem</hi> Worte drauf,<lb/>
&#x017F;o <hi rendition="#g">exi&#x017F;tiren</hi> Sie nicht für &#x017F;ie. Sie exi&#x017F;tirt doch nun auch<lb/>
nicht für Sie. Zu Hofe wollen Sie nicht; Ämter auch nicht:<lb/>
Amü&#x017F;ement i&#x017F;t nicht da. Al&#x017F;o; &#x017F;ie kommen an, &#x017F;chicken Kar-<lb/>
ten zu denen, die Sie <hi rendition="#g">wollen</hi>, mögen, &#x017F;ie &#x017F;eien aus wel-<lb/>
chem Krei&#x017F;e Sie wollen. Es macht &#x017F;ich in dem großen Orte<lb/>
alles. Sie kommen Ihrer Ge&#x017F;undheit wegen: einiger Freunde,<lb/>
heißt es, wegen Vorle&#x017F;ungen; was Sie wollen. &#x2014; Zeigen &#x017F;ich<lb/>
uner&#x017F;chütterlich über <hi rendition="#aq">caquet,</hi> verbieten es, <hi rendition="#g">verbitten</hi> &#x017F;ich es-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[316/0324] dieſem Kinde freundliches Leben; Freundesberührung aller Art; was Künſte, Litteratur, und geſellige Bewegung mit ſich bringt, durch die Seele rinnen laſſen! Hier ſind Sie von all dem er- wartet. — Sie ſind alt, und würdig, und — auch mate- riell — frei genug, um ſich zu zeigen, wie Sie eben grad ſind, eben grad ſein wollen. Leben Sie doch — was faſt Schuldigkeit iſt — in Ihnen angemeſſener Mittheilung und Bewegung Ihr Leben ab! Wir ſind die Geſchöpfe mit Sprache geſchaffen; zur Erörterung, zur Vernunftdarlegung bis in die kleinſten Dinge hinab: Mittheilung iſt unſer Weſen: daher unſre Pflicht. Durch ſie nur werden wir urbar. Kommen Sie, liebe gute Freundin. Ihr Neffe Kalckreuth denkt dar- über wie ich: wir haben ſchon alles erörtert. Er wünſcht es; er bittet wie ich; doch zweifelt er mehr als ich. Er war geſtern Abend mit ein paar Leuten, erſt allein bei mir, alles zufällig. Die große Welt kann Sie gar nicht ſtören: die lebt ſehr eingeſchränkt. Fragen Sie Einmal Graf Kalckreuth, Ihren Neffen von Siegersdorf — ich ſpreche immer nur von dem. — Und für die ſind Sie nur die Gräfin Schlabren- dorf. Schicken Sie alſo keine Karten mit dem Worte drauf, ſo exiſtiren Sie nicht für ſie. Sie exiſtirt doch nun auch nicht für Sie. Zu Hofe wollen Sie nicht; Ämter auch nicht: Amüſement iſt nicht da. Alſo; ſie kommen an, ſchicken Kar- ten zu denen, die Sie wollen, mögen, ſie ſeien aus wel- chem Kreiſe Sie wollen. Es macht ſich in dem großen Orte alles. Sie kommen Ihrer Geſundheit wegen: einiger Freunde, heißt es, wegen Vorleſungen; was Sie wollen. — Zeigen ſich unerſchütterlich über caquet, verbieten es, verbitten ſich es-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/324
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/324>, abgerufen am 22.11.2024.