Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Den tiefern Ursprung aber, den der Möglichkeit des Irrens,
müssen wir einer höheren Einsicht anheim stellen. -- -- Mitt-
woch, den 26. September 1827. Längst schon erdacht. --



Alle begabten Geister und denkende Menschen haben von
je an nur immer dasselbe ausdrücken können, so verschiedener
Bilder sie sich bedient; von so verschiedener Weise sie die Welt,
oder was sich in ihr bewegen kann, durch Einfälle darzustellen
vermochten; und so lange nicht anders organisirte Geister er-
scheinen, wird das so bleiben müssen. Ein System erfinden, kann
doch nun nichts anders heißen, als die Fähigkeiten des mensch-
lichen Geistes selbst ergründen, benennen, klassifiziren, und ihm
die Ordnungen anweisen, nach denen er handeln muß, und
worunter auch alle Einfälle (oder Eingebungen), die er haben
kann, zu stellen sind. Dies thut Fichte. Wie der Mensch
aber sich das vorstellen mag, worin er gar keine Thätigkeit
ausüben kann, nämlich das Vorgefundene; seine Fähigkeiten,
die Natur, sein unwillkürliches Handeln: gehört nicht mehr
zu seiner Philosophie und Thätigkeit, zu dem, was sein Kopf
sich zu seinem eigenen Genügen auseinandersetzen, zum Ver-
stehn darlegen kann. Das sind lauter parties de plaisir im
höhern Sinn: generöse Voraussetzungen; Dichtungen. Alles
im höchsten Sinn: wie denn in dem überhaupt nur gelebt
sein soll. -- Donnerstag, den 27. September 1827. Bei
Franz von Baaders religiöser Philosophie.



Den tiefern Urſprung aber, den der Möglichkeit des Irrens,
müſſen wir einer höheren Einſicht anheim ſtellen. — — Mitt-
woch, den 26. September 1827. Längſt ſchon erdacht. —



Alle begabten Geiſter und denkende Menſchen haben von
je an nur immer daſſelbe ausdrücken können, ſo verſchiedener
Bilder ſie ſich bedient; von ſo verſchiedener Weiſe ſie die Welt,
oder was ſich in ihr bewegen kann, durch Einfälle darzuſtellen
vermochten; und ſo lange nicht anders organiſirte Geiſter er-
ſcheinen, wird das ſo bleiben müſſen. Ein Syſtem erfinden, kann
doch nun nichts anders heißen, als die Fähigkeiten des menſch-
lichen Geiſtes ſelbſt ergründen, benennen, klaſſifiziren, und ihm
die Ordnungen anweiſen, nach denen er handeln muß, und
worunter auch alle Einfälle (oder Eingebungen), die er haben
kann, zu ſtellen ſind. Dies thut Fichte. Wie der Menſch
aber ſich das vorſtellen mag, worin er gar keine Thätigkeit
ausüben kann, nämlich das Vorgefundene; ſeine Fähigkeiten,
die Natur, ſein unwillkürliches Handeln: gehört nicht mehr
zu ſeiner Philoſophie und Thätigkeit, zu dem, was ſein Kopf
ſich zu ſeinem eigenen Genügen auseinanderſetzen, zum Ver-
ſtehn darlegen kann. Das ſind lauter parties de plaisir im
höhern Sinn: generöſe Vorausſetzungen; Dichtungen. Alles
im höchſten Sinn: wie denn in dem überhaupt nur gelebt
ſein ſoll. — Donnerstag, den 27. September 1827. Bei
Franz von Baaders religiöſer Philoſophie.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0321" n="313"/>
Den tiefern Ur&#x017F;prung aber, den der Möglichkeit des Irrens,<lb/>&#x017F;&#x017F;en wir einer höheren Ein&#x017F;icht anheim &#x017F;tellen. &#x2014; &#x2014; Mitt-<lb/>
woch, den 26. September 1827. Läng&#x017F;t &#x017F;chon erdacht. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <p>Alle begabten Gei&#x017F;ter und denkende Men&#x017F;chen haben von<lb/>
je an nur immer da&#x017F;&#x017F;elbe ausdrücken können, &#x017F;o ver&#x017F;chiedener<lb/>
Bilder &#x017F;ie &#x017F;ich bedient; von &#x017F;o ver&#x017F;chiedener Wei&#x017F;e &#x017F;ie die Welt,<lb/>
oder was &#x017F;ich in ihr bewegen kann, durch Einfälle darzu&#x017F;tellen<lb/>
vermochten; und &#x017F;o lange nicht anders organi&#x017F;irte Gei&#x017F;ter er-<lb/>
&#x017F;cheinen, wird das &#x017F;o bleiben mü&#x017F;&#x017F;en. Ein Sy&#x017F;tem erfinden, kann<lb/>
doch nun nichts anders heißen, als die Fähigkeiten des men&#x017F;ch-<lb/>
lichen Gei&#x017F;tes &#x017F;elb&#x017F;t ergründen, benennen, kla&#x017F;&#x017F;ifiziren, und ihm<lb/>
die Ordnungen anwei&#x017F;en, nach denen er handeln muß, und<lb/>
worunter auch alle Einfälle (oder Eingebungen), die er haben<lb/>
kann, zu &#x017F;tellen &#x017F;ind. Dies thut Fichte. Wie der Men&#x017F;ch<lb/>
aber &#x017F;ich das vor&#x017F;tellen mag, worin er gar keine Thätigkeit<lb/>
ausüben kann, nämlich das Vorgefundene; &#x017F;eine Fähigkeiten,<lb/>
die Natur, &#x017F;ein unwillkürliches Handeln: gehört nicht mehr<lb/>
zu <hi rendition="#g">&#x017F;einer</hi> Philo&#x017F;ophie und Thätigkeit, zu dem, was &#x017F;ein Kopf<lb/>
&#x017F;ich zu &#x017F;einem eigenen Genügen auseinander&#x017F;etzen, zum Ver-<lb/>
&#x017F;tehn darlegen kann. Das &#x017F;ind lauter <hi rendition="#aq">parties de plaisir</hi> im<lb/>
höhern Sinn: generö&#x017F;e Voraus&#x017F;etzungen; Dichtungen. Alles<lb/>
im höch&#x017F;ten Sinn: wie denn in dem überhaupt nur gelebt<lb/>
&#x017F;ein &#x017F;oll. &#x2014; Donnerstag, den 27. September 1827. Bei<lb/>
Franz von Baaders religiö&#x017F;er Philo&#x017F;ophie.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[313/0321] Den tiefern Urſprung aber, den der Möglichkeit des Irrens, müſſen wir einer höheren Einſicht anheim ſtellen. — — Mitt- woch, den 26. September 1827. Längſt ſchon erdacht. — Alle begabten Geiſter und denkende Menſchen haben von je an nur immer daſſelbe ausdrücken können, ſo verſchiedener Bilder ſie ſich bedient; von ſo verſchiedener Weiſe ſie die Welt, oder was ſich in ihr bewegen kann, durch Einfälle darzuſtellen vermochten; und ſo lange nicht anders organiſirte Geiſter er- ſcheinen, wird das ſo bleiben müſſen. Ein Syſtem erfinden, kann doch nun nichts anders heißen, als die Fähigkeiten des menſch- lichen Geiſtes ſelbſt ergründen, benennen, klaſſifiziren, und ihm die Ordnungen anweiſen, nach denen er handeln muß, und worunter auch alle Einfälle (oder Eingebungen), die er haben kann, zu ſtellen ſind. Dies thut Fichte. Wie der Menſch aber ſich das vorſtellen mag, worin er gar keine Thätigkeit ausüben kann, nämlich das Vorgefundene; ſeine Fähigkeiten, die Natur, ſein unwillkürliches Handeln: gehört nicht mehr zu ſeiner Philoſophie und Thätigkeit, zu dem, was ſein Kopf ſich zu ſeinem eigenen Genügen auseinanderſetzen, zum Ver- ſtehn darlegen kann. Das ſind lauter parties de plaisir im höhern Sinn: generöſe Vorausſetzungen; Dichtungen. Alles im höchſten Sinn: wie denn in dem überhaupt nur gelebt ſein ſoll. — Donnerstag, den 27. September 1827. Bei Franz von Baaders religiöſer Philoſophie.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/321
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/321>, abgerufen am 22.12.2024.