Öl da sein, als die Flamme braucht; der letzte Tropfen am Licht muß von den andern getragen sein." Und nach einer nachdenklichen, fast Schmerzenspause: "A--ch! es ist alles richtig, wir verstehn's nur nicht!" V. wollte das aufgeschrie- ben haben. Er hat Recht. Selten wohl ist eine solch innige Mischung von intellektuellen, allgemein-tiefen Gedanken, und tiefster Trauer, mit ihrem wahren Grunde, zugleich ausge- sprochen worden. --
(Mündlich.)
Ein Musikstück, von Felix Mendelssohn-Bartholdy groß- artig gesetzt und meisterhaft gespielt, gefiel Rahel außerordent- lich; sie ergoß sich in Lobsprüchen: "Ein gebildeter Sturm- wind," sagte sie unter anderm.
Den 13. August 1826.
An Leopold Ranke, in Berlin.
Dienstag, den 15. August 1826.
Sie haben mir ein großes Vergnügen verschafft. Dies möge Ihnen der beste Dank sein, den ich Ihnen geben kann. Welch schönes Gedicht! Es bewegt sich aber auch schon in einem Gedichte, und kann nur Stoff ergreifen aus Dichtung überhaupt. Ist verliebte Liebe nicht schon ein Gedicht und nur darum ewig wiederholt, weil wir ohne Dichtung nicht leben können, mit dem Leben nicht auskämen? So sind mir auch die vielen Blumen und Edelsteine nicht zuwider, die
16 *
Öl da ſein, als die Flamme braucht; der letzte Tropfen am Licht muß von den andern getragen ſein.“ Und nach einer nachdenklichen, faſt Schmerzenspauſe: „A—ch! es iſt alles richtig, wir verſtehn’s nur nicht!“ V. wollte das aufgeſchrie- ben haben. Er hat Recht. Selten wohl iſt eine ſolch innige Miſchung von intellektuellen, allgemein-tiefen Gedanken, und tiefſter Trauer, mit ihrem wahren Grunde, zugleich ausge- ſprochen worden. —
(Mündlich.)
Ein Muſikſtück, von Felix Mendelsſohn-Bartholdy groß- artig geſetzt und meiſterhaft geſpielt, gefiel Rahel außerordent- lich; ſie ergoß ſich in Lobſprüchen: „Ein gebildeter Sturm- wind,“ ſagte ſie unter anderm.
Den 13. Auguſt 1826.
An Leopold Ranke, in Berlin.
Dienstag, den 15. Auguſt 1826.
Sie haben mir ein großes Vergnügen verſchafft. Dies möge Ihnen der beſte Dank ſein, den ich Ihnen geben kann. Welch ſchönes Gedicht! Es bewegt ſich aber auch ſchon in einem Gedichte, und kann nur Stoff ergreifen aus Dichtung überhaupt. Iſt verliebte Liebe nicht ſchon ein Gedicht und nur darum ewig wiederholt, weil wir ohne Dichtung nicht leben können, mit dem Leben nicht auskämen? So ſind mir auch die vielen Blumen und Edelſteine nicht zuwider, die
16 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0251"n="243"/>
Öl da ſein, als die Flamme braucht; der letzte Tropfen am<lb/>
Licht muß von den andern getragen ſein.“ Und nach einer<lb/>
nachdenklichen, faſt Schmerzenspauſe: „A—ch! es iſt alles<lb/>
richtig, wir verſtehn’s nur nicht!“ V. wollte das aufgeſchrie-<lb/>
ben haben. Er hat Recht. Selten wohl iſt eine ſolch innige<lb/>
Miſchung von intellektuellen, allgemein-tiefen Gedanken, und<lb/>
tiefſter Trauer, mit ihrem wahren Grunde, zugleich ausge-<lb/>ſprochen worden. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><p><hirendition="#c">(<hirendition="#g">Mündlich</hi>.)</hi></p><lb/><p>Ein Muſikſtück, von Felix Mendelsſohn-Bartholdy groß-<lb/>
artig geſetzt und meiſterhaft geſpielt, gefiel Rahel außerordent-<lb/>
lich; ſie ergoß ſich in Lobſprüchen: „Ein gebildeter Sturm-<lb/>
wind,“ſagte ſie unter anderm.</p><lb/><dateline><hirendition="#et">Den 13. Auguſt 1826.</hi></dateline></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Leopold Ranke, in Berlin.</head><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Dienstag, den 15. Auguſt 1826.</hi></dateline><lb/><p>Sie haben mir ein großes Vergnügen verſchafft. Dies<lb/>
möge Ihnen der beſte Dank ſein, den ich Ihnen geben kann.<lb/>
Welch ſchönes Gedicht! Es bewegt ſich aber auch ſchon in<lb/>
einem Gedichte, und kann nur Stoff ergreifen aus Dichtung<lb/>
überhaupt. Iſt verliebte Liebe nicht ſchon ein Gedicht und<lb/>
nur darum ewig wiederholt, weil wir ohne Dichtung nicht<lb/>
leben können, mit dem Leben nicht auskämen? So ſind mir<lb/>
auch die vielen Blumen und Edelſteine nicht zuwider, die<lb/><fwplace="bottom"type="sig">16 *</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[243/0251]
Öl da ſein, als die Flamme braucht; der letzte Tropfen am
Licht muß von den andern getragen ſein.“ Und nach einer
nachdenklichen, faſt Schmerzenspauſe: „A—ch! es iſt alles
richtig, wir verſtehn’s nur nicht!“ V. wollte das aufgeſchrie-
ben haben. Er hat Recht. Selten wohl iſt eine ſolch innige
Miſchung von intellektuellen, allgemein-tiefen Gedanken, und
tiefſter Trauer, mit ihrem wahren Grunde, zugleich ausge-
ſprochen worden. —
(Mündlich.)
Ein Muſikſtück, von Felix Mendelsſohn-Bartholdy groß-
artig geſetzt und meiſterhaft geſpielt, gefiel Rahel außerordent-
lich; ſie ergoß ſich in Lobſprüchen: „Ein gebildeter Sturm-
wind,“ ſagte ſie unter anderm.
Den 13. Auguſt 1826.
An Leopold Ranke, in Berlin.
Dienstag, den 15. Auguſt 1826.
Sie haben mir ein großes Vergnügen verſchafft. Dies
möge Ihnen der beſte Dank ſein, den ich Ihnen geben kann.
Welch ſchönes Gedicht! Es bewegt ſich aber auch ſchon in
einem Gedichte, und kann nur Stoff ergreifen aus Dichtung
überhaupt. Iſt verliebte Liebe nicht ſchon ein Gedicht und
nur darum ewig wiederholt, weil wir ohne Dichtung nicht
leben können, mit dem Leben nicht auskämen? So ſind mir
auch die vielen Blumen und Edelſteine nicht zuwider, die
16 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/251>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.